Lukas Steinwandter
Nicht Rom, nicht Brüssel: Wir entscheiden selber
Das angebliche Friedensprojekt EU sorgt gerade mal wieder – um es gelinde auszudrücken – für riesen Zoff auf dem alten Kontinent. Die Corona-Krise hat ein zuvor unter dem zehn Jahre andauernden Wirtschaftsboom verdecktes Problem wieder ans Licht der harten Zahlenrealität gezerrt: ökonomisch höchst unterschiedliche Staaten prallen aufeinander, die in dem finanzpolitischen Zwangskorsett namens Euro zusammengedrängt wurden. Plakativ gesagt: Der arme Süden inklusive Frankreich will den reichen Norden inklusive Österreich mit moralischen und leider wirksamen Scheinargumenten in eine gemeinsame Haftung hineinzwängen, um billig neue Schulden für die Bewältigung der Corona-Krise aufnehmen zu können.
Die Corona-Pandemie hat Italien und die Italiener schwer getroffen, nicht nur gesundheitlich. Der Staat war schon vor Ausbruch der Viruskrankheit ökonomisch auf dem absteigenden Ast, obwohl die Weltkonjunktur nach der Finanzkrise von 2008 steil nach oben stieg. Anfang des Jahres veröffentlichte die deutsche Tageszeitung Welt eine umfangreiche Analyse, in der sie anhand von zwölf Kategorien zum Ergebnis kam, dass Italien von seinem Top-3-Platz der ökonomischen Spitzenreiter Europas verdrängt wurde, und zwar von Spanien.
Das Land auf der iberischen Halbinsel überholte den Stiefelstaat bei den Exporten von Olivenöl, in der Autoproduktion und sogar in der Modebranche hat ein spanisches Unternehmen, Zara, die traditionsreichen Marken Prada, Gucci oder Ferrari in Sachen Marktkapitalisierung überholt. Spanien verzeichnete überdies mehr Direktinvestitionen sowie Übernachtungen von Touristen und schoss sogar bei der kaufkraftbereinigten Wirtschaftsleistung pro Kopf an Italien vorbei.
Einem Patienten helfen, nicht mit ihm im Bett liegen
Der bekannte deutsche Journalist und frühere Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart bezeichnete Italien am Freitag als den „römischen Patienten“, der sich vor Schmerzen winde und dennoch mit fiebrigen Augen Nachschlag verlange. Er wies auf die hohe Verschuldung Italiens hin: Italien steht mit seinen 62 Millionen Einwohnern, also 0,77 Prozent der Weltbevölkerung für vier Prozent der weltweiten Schulden. Anders ausgedrückt: Italien schuldet dem Weltfinanzmarkt 130 Prozent seines eigenen Bruttoinlandsprodukts. Die Pro-Kopf-Verschuldung beträgt 41.600 US-Dollar. In Deutschland sind es 24.800 Dollar. Italien ist der viertgrößte Schuldner der Welt.
Nun, einem Patienten muss man nach bester Möglichkeit helfen. Man muss sich aber nicht weiter mit ihm ins Bett legen. Wie chaotisch es dieser Tage zugeht, kann man leicht erfahren, wenn man mit Unternehmern spricht, ob klein oder groß, sie schäumen vor Wut wegen der teils widersprüchlichen Dekrete und Verordnungen aus Rom. Südtirol ist als Teil Italiens einem ständigen Sog ausgesetzt, auf dessen finsteren Boden die ökonomische und bürokratische Hölle wartet. Es sollte sich nicht mit dem Süden messen, sondern mit dem Norden.
Das gilt für alle Bereiche, auch für das Gesundheitswesen. Warum Italien so hart von Corona getroffen wurde, wird sich erst nach und nach aufklären lassen. Fest steht aber, dass das Gesundheitssystem nicht so solide dasteht, wie man das von der drittgrößten Volkswirtschaft der EU erwarten könnte. Eine Ende vergangenen Jahres veröffentlichte Studie fand heraus, dass die Infektionen und Todesfälle aufgrund antibiotikaresistenten Keimen in Italien mit Abstand am höchsten waren. Dort gab es im untersuchten Jahr 2015 fast 202.000 Infektionen und fast 11.000 Todesfälle. Zum Vergleich: Deutschland, das rund 20 Millionen mehr Einwohner hat, registrierte 54.500 Infektionen und weniger als 2.400 Todesfälle; in Österreich waren es 6.600 Infektionen und 276 Tote.
Gemeinschaftsschulden, Eigenverantwortung ade
Mein Großvater sagte einmal: Am Ende schaffen es die Italiener immer aus der Krise heraus, notfalls hängen sie eine Null bei der Lira hintendran und keiner merkt‘s. Heute haben wir den Euro und die italienischen Eliten müssen andere Tricks anwenden, zum Beispiel eine Gemeinschaftshaftung für Schulden in Form von sogenannten Corona-Bonds, die unter dem einen oder anderen Label demnächst kommen werden.
Corona-Bonds sind Anleihen, die die Euro- oder EU-Staaten gemeinsam aufnehmen, um am Finanzmarkt eine bessere Bonität vorzuweisen und weniger Zinsen zu zahlen. Italien hat unter anderem aufgrund der oben beschriebenen Zahlen eine schlechte Bonität, Deutschland dagegen eine sehr gute. Wenn Deutschland nun mithaftet für die aufgenommenen Schulden, muss auch Italien weniger Zinsen zahlen.
Ein italienischer Journalist und Buchautor erzählte mir vor kurzem, wie wütend die Italiener auf die EU, die sie mit Deutschland gleichsetzen, seien und dass sie nicht verstünden, warum reichere Länder nicht pragmatisch helfen würden, wenn ihr Land dermaßen in der Krise stecke. Russland, China und sogar Albanien hätten das schließlich auch getan.
Zwar hat Deutschland auch pragmatisch geholfen, indem es schwerkranke italienische Patienten aufnahm, mit dem Geld hat sich Berlin aber zurückgehalten, will es lieber ganz EU-konform über Brüssel fließen lassen. Dahinter steckt ein ideologischer Hintergrund. Es gibt Politiker und Lobbyisten in allen Ländern, die das Projekt EU unbedingt vorantreiben und intensivieren und schließlich zu einem Art Bundesstaat wandeln wollen.
Einer der bekanntesten deutschen Ökonomen, der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn, sagte schon Mitte März, Deutschland solle Italien auf bilateralem Weg 20 Milliarden Euro schenken, ohne den Umweg über Brüssel zu gehen. Natürlich hat die Bundesregierung nicht auf ihn gehört. Schließlich erreicht man noch tiefere EU-Strukturen, noch mehr EU, noch mehr Brüsseler Zentralismus am schnellsten, indem man die Schulden auf alle verteilt und jeden für jeden haftbar macht. Das hat dann wenig mit Solidarität, sondern vielmehr mit perfider Politik zu tun. Anschließend werden die längst fertigen Pläne für einen gemeinsamen EU-Sozialstaat aus den Schubladen der Bürokraten geholt und als logische Konsequenz wird es heißen, nun müsse es auch in allen anderen Politikfeldern eine „vertiefte Zusammenarbeit“ geben.
Wir können selbst entscheiden, was das Beste für uns ist
Kann man nun in der Corona-Krise also sagen: Die Südeuropäer waren mal wieder faul und wollen von den Nordeuropäern Geld, um aus der Patsche zu kommen? Nein. Die Lega, die in Umfragen derzeit stärkste Partei Italiens, stimmte am Freitag im EU-Parlament gegen Corona-Bonds. Das dürfte viele überrascht haben, die immer plump von „Populisten“ sprechen, wenn sie Lega, AfD, FPÖ und so fort meinen.
Was aber bedeutet das für Südtirol? Wir brauchen nicht den römischen Schlendrian, um die Krise zu meistern und wieder prächtig zu blühen wie unsere Reben im Frühsommer. Wir brauchen aber auch nicht das Brüsseler Elitenprojekt (die EU-Idee kam nicht von unten, vom Volk heraus, sondern wurde von oben auf es übergestülpt), das jedermanns Verantwortung zunächst übernehmen und dann verteilen will. Wir Südtiroler, wir Tiroler können am besten vor Ort entscheiden, was das Beste für uns ist und wir stehen dann auch dazu. Das war und ist in schicksalsschweren Tagen unserer wechselvollen Geschichte so gewesen und so wird es auch künftig wieder sein.
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Lukas Steinwandter, Jg. 1990, der Journalist aus dem Hochpustertal arbeitet als Redakteur bei der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit.