Georg Dekas
Kerschbaumer Terrorist
Wo der Terror zuhause ist
Sepp Kerschbaumer war ein Terrorist, sagen italienische Politiker in Bozen heute noch. Nein. Der Südtiroler Freiheitskämpfer, Herz und Kopf des Befreiungsauschuss Südtirol (BAS), hat keine Bomben in Banken (Piazza Fontana, Mailand 1969) und Bahnhöfen (Bologna, 1980) hochgehen lassen. In Italien waren lange ultrarechte, faschistische Untergrundverbände hochaktiv, deren Gemüt und Denkart bei gewissen Herren in der Nähe des Bozner Siegesplatzes vertraute „A Noi“-Gefühle auslösen dürfte. Nein, die Südtiroler BAS-Leute der 1960er haben keinen Schleyer (Industrieboss) entführt und keinen Moro (Ministerpräsident) ermordet. Und Ja, wir kennen die Geisel des wirklich „skrupellosen“ Terrorismus längstens: der trägt die Marke des “Ordine Nuovo” und anderer faschistischer Identitäten im Herzen Italiens, die Marken von RAF und Brigate Rosse.
Interessegesteuerte Geschichtslehre
Trotzdem behaupten Landesrat C. Bianchi und der Bozner Onorevole der Fratelli und Autonomiesteurer A. Urzì, Kerschbaumer und seine Mitstreiter seien Terroristen. Urzì fügt dann noch einen von deutscher Seite geliehenen Gedanken an: Die Südtirol-Autonomie sei nicht dank, sondern trotz der gesprengten Strommasten zustande gekommen. Diese Kopfgeburt kennen wir schon. Es hat sie der bundesdeutsche Innsbrucker Historiker Rolf Steininger in die Welt gesetzt und aktenreich montiert. Erst unlängst wurde diese widersinnige These groß in der Tageszeitung „Dolomiten“, dem traditionellen Meinungs-Flaggschiff der Südtiroler, aufgezogen, wo dem Aktenkundler breiter Raum gegeben wird. Nur ist es bei Wissenschaftern der Historie nicht anders als bei den Kollegen Glaziologen: Unbestreitbare Feststellungen aus dem eignen, sehr engen Forschungsbreich verallgemeinern und aufgrund von Indizien zu globalen Theorien hochrechnen ist an sich schon ein (wissenschaftliches) Risiko – daraus aber politische Glaubenslehren abzuleiten, ein glattes Unding.
Was wäre wenn
Der Gedanke, der gezielte Widerstand und die Opfer des BAS seien nur ein lästiger Hinderungsgrund auf dem glatten Parkett zügig dahin gleitender Verhandlungen zur erfolggekrönten Südtirol-Autonomie gewesen, widerspricht all den gelebten Erfahrungen und übrigens auch der menschlichen Natur seit Kain und Abel. Dieser Gedanke lässt sich logisch ummünzen in „hätte es die Sprengstoffattentate nicht gegeben, wäre die Autonomie schneller und schmerzfreier zustande gekommen“. Doch die Zeit und mit ihr die Geschichte haben keinen doppelten oder parallelen Ablauf, der allein nachweisen könnte, dass der eine Weg besser gewesen wäre als der andere. Zeit und Geschichte sind unwiederholbar, einzigartig. Jede Behauptung etwas „hätte“ sein können, ist ein netter, vielleicht eitler Gedanke, aber völlig unwissenschaftlich.
Beinhart der Weg zum Frieden ist
Die beinharte Lebenswirklichkeit lehrt anderes: „Si vis Pacem para Bellum“, sagten die Lateiner: „Wenn du Friede willst, rüste zum Krieg“. Einfacher und allgemeiner wissen es die Deutschen: „Wer nicht hören will, muss fühlen“. Dort, wo die Vernunft und das Verhandeln enden, weil blinde Gier und Hass das Handeln der Mächtigen bestimmen, wo die Uneinsichtigkeit (Arroganz) den guten Willen unmöglich macht, dort beginnt der Krieg und der Kampf um die Freiheit. Oder es wartet die Unterwerfung.
Etwas, das der alte Heraklit in diese unsterblichen Worte fasste:
Πόλεμος πάντων μὲν πατὴρ ἐστι, πάντων δὲ βασιλεύς, καὶ τοὺς μὲν θεοὺς ἔδειξε τοὺς δὲ ἀνθρώπους, τοὺς μὲν δούλους ἐποίησε τοὺς δὲ ἐλευθέρους.
Der Krieg ist Vater von allen und König von allen. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien.
Feuernacht bringt UNO
Glücklich, wer erreicht, dass allein schon die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf dem Gegner anzeigt, dass er sich mäßigen und zurückstecken muss. Das ist das Privileg der großen Mächte (Schmidts Pershings). Sind es Bürger und Zivilisten, die gegen den Staat, seine Polizei und seine Geheimdienste kämpfen müssen, dann ist der bewaffnete Widerstand ungleich schwieriger. Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter haben sich die Sache tausend Mal überlegt und dann riskant, aber chirurgisch gehandelt. Die „Feuernacht“ hat spektakulär eingeschlagen.
Eine unmittelbare Folge war, dass Bruno Kreisky die Südtirol-Frage vor die UNO bringen konnte. Und dadurch ist es zum Einlenken Italiens und letztlich zum Zweiten Autonomiestatut gekommen. Sicher sind, so wie es bei der Gewalt halt ist, einige Dinge danebengegangen. Ja, es gab Tote zu beklagen, auf der einen wie auf der anderen Seite. Aber das Töten und Terrorisieren war bei den Südtirolern nie das erwählte Mittel zum Zweck. Und im Verhältnis zu Belfast und Baskenland, zu Bologna und Bonn ist es bei uns glimpflich abgegangen. Sicher haben dabei die Gemäßigten auf beiden Seiten auch ihre unverzichtbar wertvollen Verdienste. Aber das Schicksal der Kämpfer und ihrer Familien war grausam. Es ist nicht zuviel, Märtyrer jene zu nennen, die sich geopfert haben, die zu Tode gemartert wurden für ihren Glauben an die Freiheit der Heimat und die Rückkehr zur natürlichen Ordnung und Landesverfassung.
Das profitierende Südtirol
Natürlich muss Südtirol dankbar sein. Das späte, einfache „Danke“ an Sepp Kerschaumers Grab zu seinem 60. Todestag ist voll berechtigt. Er war kein Terrorist, er war ein Kämpfer für sein Land. Es ist die bittere Ironie der Geschichte, dass das breite, von den Heldentaten profitierende Südtirol sich nie zu einem Danke durchringen konnte und im Gegenteil das Bild der Männer und Frauen des Widerstands so weit herabwürdigt, dass sie als lächerliche Dummköpfe und Fanatiker dastehen. Der besinnungslose Reichtum, der unser Land nach erfolgreicher Auseinandersetzung heimgesucht hat, hat die Südtiroler in Massen zu denkfaulen, ja manchmal auch arroganten und selbstverliebten Nutznießern gemacht, die mit der „Vergangenheit“ nichts zu tun haben wollen – genau, da kommen sie ja gar nicht her, wohl eher aus dem Fitness-Studio und dem Wellness-Journal.