Georg Dekas
Früher war das Glück ein Schwein
Früher war das Glück ein Schwein. Da brauchte man über Glück nicht lange reden. Wer das Muas mit Baumrindenmehl strecken musste, in der oft so fälschlich rosa eingefärbten, alten Bergbauernwelt, für den war das Glück auf Erden eine prallfette Sau – am besten als dampfender Bauch samt Schwarte auf dem Teller. Ja, das Glück war alles andere als weit weg. Das Glück, das waren viele kleine einzelne Glücke, und ein jedes für sich war riesengroß. Vor der Pille war es ein Glück, wenn die eine glückliche Liebesnacht nicht zur Schwangerschaft führte. Noch ein viel größeres Glück war es, wenn die blutjunge Frau das Gebären überlebte. Wie unendlich weit zurück liegt diese Glückswelt mitsamt ihrem Leid!
Die Sau macht nur mehr dick, deswegen stehen wir auf knackigen Bio-Sellerie. Die Kindlein kommen nicht mehr zuhauf, deswegen stehen wir auf Selbstfindung. Weil es viel Spital gibt, hat sich das Glück des Ãœberlebens von Mitte Zwanzig auf Mitte Achtzig verschoben. Anstatt nun all diese achtzig Jahre frei und glücklich zu leben, ist der Mensch schwermütig, legt sich neue Fesseln an, hetzt ohne Unterlass und macht bitterernste Jagd auf das ganz große, das ganz ferne, das ganz unglaubliche Glück – „Lotto-Jackpot!“ „Traummann!“ „Karibik!“ „Spass!“… Niemand findet das Glück, weil alle zu viel wollen. Alles strengt sich an und betrügt sich selber am meisten. Alles im Namen des vermeintlichen Grundrechts auf das eigene große Glück. Geile Abenteuer ohne Risiko sollen sein, Vollversorgung ohne Einsatz, Politik ohne Moral, Karriere ohne Magenkrämpfe, große Liebe ohne Opfer.
Sammelt wieder die einfachen, urigen Glücke rund um euch herum. Erkennt, wie nah und klein das echte Glück doch ist. Am Ende machen sie mehr aus als das verführerische, große, glänzende Abbild vom Glück. Das unendliche Glück auf dieser Welt sowieso nie erreichbar. Besser echt Schwein haben.