Florian Stumfall
Den Staat geentert
Hier bereits staunt der Leser, und er stockt zunächst einmal. Denn eines ist unstrittig, nämlich, dass die Beobachtung aller Bestrebungen gegen die „die Sicherheit des Bundes sowie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ von jeher den konstitutiven Bestand des Verfassungsschutzes bildet als eine seiner grundlegenden Aufgaben überhaupt. Ohne diesen Auftrag ist ein Verfassungsschutz nicht vorstellbar. Dafür muss man keinen neuen „Phänomenbereich“ einrichten. Wenn man es dennoch tut, setzt man sich dem Verdacht aus, man habe diese den Verfassungsschutz kennzeichnende Pflicht zu erfüllen bisher versäumt.
Verfassung steht über den Zuständigkeiten und Privilegien von Politikern
Eine Erklärung für die Benennung einer Selbstverständlichkeit als neuen Aufgabenbereich mag in der Fortführung der Antwort der Bundesregierung zu finden sein. Sie spricht von Bestrebungen, „die durch die systematische Verunglimpfung und Verächtlichmachung des auf der freiheitlich demokratischen Grundordnung basierenden Staates und seiner Institutionen beziehungsweise Repräsentanten geeignet sind“, das Vertrauen der Bevölkerung zu erschüttern. Hier aber ist, fast unkenntlich, ein schwerwiegender Schritt getan.
Zum einen ist vom Schutz des Staates und seiner Institutionen die Rede, im selben Satz aber auch von seinen Repräsentanten. Damit wird eine Gleichstellung von Politikern mit Verfassungsorganen vollzogen, beide stünden demgemäß in derselben Weise unter dem Schutz, welchen die Treuepflicht der Bürger gegenüber dem Staat begründet. Doch dies wäre von Grund auf unzulässig. Eine Verfassung steht in ihrer rechtlichen Bedeutung weit über den Zuständigkeiten und Privilegien von Politikern, die ihr Amt auf Widerruf innehaben. Und nicht einmal eine Verfassung ist gefeit gegen Kritik. Wäre sie es, so hätte das Grundgesetz nicht seit 1949 über 50 Mal geändert werden können.
Spielraum für alle bürgerlichen Kräfte ist stranguliert
Der neue Phänomenbereich des Herrn Haldenwang, der freilich in enger Übereinstimmung mit Innenministerin Nancy Faeser vorgeht, lässt mit der Gleichsetzung des Schutzbedürfnisses von Staat und Politikern eine fatale Entwicklung erkennen, dass sich nämlich die Angehörigen der politischen Kaste über die Bürger erheben, deren Angestellte und Beauftragte sie in Wirklichkeit sind. Doch sie erhalten so einen nicht gerechtfertigten Sonderstatus. Hier wird die Unterscheidung zwischen dem Staat als abstrakter Größe mit Rechtscharakter und konkret handelnden Personen aufgehoben. Eine wesentliche Errungenschaft der Aufklärung wird so abgeschafft. In letzter Folge führt das zum Ausspruch des französischen Königs Ludwigs XIV., der erklärt hat: „Der Staat bin ich!“ Dies aber ist Ausdruck einer autoritären Ordnung.
Was die neue Ausrichtung des Verfassungsschutzes im Vollzug so gefährlich macht, ist die Dehnbarkeit und Ungenauigkeit verschiedener Begriffe, etwa „Verunglimpfung“ oder „Verächtlichmachung“. Damit können leicht verschiedene Mittel der sprachlichen Auseinandersetzung und Kritik kriminalisiert werden: Sarkasmus, Ironie, schwarzer Humor. Künftig wird sich, mehr noch als bisher, mancher zweimal überlegen, was er öffentlich kundtut. Ein Zweites verschärft noch die Gefahrenlage für die Bürger. Das sind die weitum eingerichteten Meldestellen für Anzeigen, über die politisch unkorrektes Verhalten zur Kenntnis der Behörden gebracht werden kann, bei Bedarf auch anonym.
An diesem Punkt gesellt sich zur neuen Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes Innenministerin Faesers proklamierter „Kampf gegen Rechts“. Beides bildet eine politisch-strategische Einheit. Auch hier öffnet eine Unklarheit der Begriffe die Möglichkeit zur Einschränkung der politischen Bewegungsfreiheit. In einer Atmosphäre, in welcher die Feststellung, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt, als Zeichen von Rechtsextremismus gewertet wird, ist der politische Spielraum für alle bürgerlichen Kräfte stranguliert.
Aus dem "Kampf gegen Rechts" scheint ein Kampf gegen das Recht zu werden
Es geht gar nicht mehr um Meinungsfreiheit – es geht bereits darum, ob es erlaubt ist, Tatsachen zu benennen. Insofern ist es bezeichnend, dass die Einrichtung von Haldenwangs neuer Speerspitze unter anderem mit den zurückliegenden Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung begründet wird. Rückblickend kann man zwar feststellen, dass sich von den damaligen Vorwürfen gegen die Politik der Bundesregierung sehr viel als zutreffend erwiesen hat, was aber die Innenministerin nicht daran hindert, die damaligen Einwände mit dem Odium der Verfassungsfeindlichkeit zu belegen.
Als Zeuge dafür, wie bedenklich diese Entwicklung ist, mag ein prominenter Vertreter einer der Ampel-Parteien dienen, Wolfgang Kubicki (FDP): „Aus dem Kampf gegen rechts scheint ein Kampf gegen das Recht zu werden. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass eine sozialdemokratische Innenministerin selbst zu einer Gefahr für die Demokratie wird.“ Insgesamt aber bleiben zwei Fragen offen. Was geschieht, wenn ein AfDler durch Nazi- Vergleiche verächtlich gemacht wird? Und, zweitens, wenn sich ein grüner Minister durch unqualifizierte Aussagen selbst verächtlich macht?
Kolumne von Dr. Florian Stumfall
Erstveröffentlichung PAZ (redaktion@preussische-allgemeine.de)