Georg Dekas
Das Kind in der Krippe
Einfaches Volk
Lukas berichtet aus der Sicht der einfachen Leute (Lk 2,1 – 20): Sie müssen Behördengänge machen (Steuerschätzung am Heimatort), sie finden kein Zimmer in der Herberge, und die Engel sprechen zu einfachen Hirten auf dem Feld. Bei Lukas wird die Krippe nur nebenbei erwähnt. Im Mittelpunkt seiner frohen Botschaft steht die Befreiung des Volkes aus Knechtschaft und Armut durch die „himmlischen Heerscharen“ an. Man bemerke, es heißt “Heer“. Heerscharen sind Krieger, und der Retter ist der ankommende Anführer und Heilsbringer. Der von den Engeln angekündigte Retter muss daher nicht unbedingt als gewaltloser Gandhi verstanden werden. Doch bei Lukas bricht weder eine Revolte aus noch ziehen Besatzer ab. Die Hirten sehen das Kind in der Krippe liegen, so einfach und arm wie sie selbst, und sie gehen hin und „loben Gott für alles“. Ende.
Das Besondere am Evangelium des Lukas steht an dessen Anfang. Sein „Evangelium“ schreibt der Hellenist ausdrücklich für Freund Theophilus, offensichtlich kein Jude, damit dieser den „genauen Grund der Lehre“ erfahre durch die Berichte derer, die Jesus tatsächlich erlebt haben. Lukas ist ein Treuhänder, der die Lehren Jesu in den hellenistisch-lateinischen Westen exportieren will und dabei auf das setzt, was die nüchternen Lateiner so lieben: „evidence“, „facts“. Lukas eröffnet das Weihnachtsevangelium als politischer Chronist: „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.“ Warum diese ausdrückliche Einbettung in die römische Herrschaft? Sie zeigt nicht nur an, dass Lukas in der hellenistischen Welt zuhause ist – die Eröffnung soll die historische Authentizität von Jesus Christus unterstreichen. In diese „Zeitung“ baut er dann die übernatürliche Erscheinung ein, die den Hirten auf dem Feld zuteil wird.
Bei Lukas steht gar nichts von Stall, Ochs und Esel. Von der Krippe heißt es lediglich: „sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ Modern gesprochen: Das Hotel war überfüllt und die kleine Familie musste für die Übernachtung auf den hauseigenen Stall (heute Garage) ausweichen. Also keine Hütte auf der Weide, nur bescheidene Verhältnisse im Zuge der Erfüllung politischer Pflichten. Das Kraftfeld der Lukas-Geschichte liegt nicht in der Krippe, sondern in der göttlichen „Vision“ der Hirten auf dem freien Feld. Es heißt: „die Klarheit des Herrn leuchtete um sie“. Die himmlischen Heerscharen verheißen „allem Volk“ Befreiung. Die Hirten loben Gott, ihre Vision aber scheint folgenlos zu erlöschen. Nach der Erzählung Lukas lassen die Eltern acht Tage nach der Niederkunft den Knaben beschneiden, und nach gebotener Zeit gehen sie in den Tempel nach Jerusalem. Normales jüdisches Leben halt. Das Kind wächst auf, entpuppt sich früh als wissbegieriges und selbstbewusstes „Wunderkind“. Die Verheißung der „himmlischen Heerscharen“ verklingt, umweht von einem Hauch Naivität und unerfüllter Sehnsucht.
Mächtige Könige
Matthias ist aus einem ganz anderen Stoff. Bei Matthias stehen nur Könige und ihre Geschäfte im Vordergrund. Er bringt zuerst einmal die Ahnengalerie, um die königliche Natur des Neugeborenen herauszustellen. Jesus ist ein echter Royal, nicht nur ein symbolischer. Zugleich wird klar, dass Matthias eine ausgesprochen jüdische Perspektive einnehmen will, nicht eine hellenistisch-internationale wie Lukas. Königlich ist die Geburt, königlich sind die Ereignisse.
Bei Matthias (Mt 2,1 – 2,23) kommen die drei Könige aus dem Morgenland. Es sind “Magoi” aus der orientalischen Nachbarschaft, wahrscheinlich sind es hohe Priester aus dem Iran. Sie besuchen zuerst den gleichrangigen König Herodes, berichten von einem Stern, der sie zum neugeborenen König der Juden führe. Daraus erwächst ein zweifaches Drama: der Massenmord an Kindern durch den jüdischen König (in Bethlehem, nicht in Gaza) und die Flucht der Jesufamilie in den Westen (Ägypten war damals das, was die USA heute sind). Als Jesus wieder zurückkehrt, ist er ein 12jähriger Knabe, der mit seiner ägyptischen Grundbildung in den Tempel geht und den jüdischen Hohepriestern anfängt Fragen zu stellen – ohne Zweifel ein Wunderkind.
Der politische Psychologe Matthias (Matthäus)
Dem Evangelisten Matthias sind die Römer Augustus und Quirinus schnurzegal, für ihn zählt die autochthone, die eigene, „heimische“ Seite. Sein Evangelium beginnt mit der Aufzählung der Ahnenreihe beginnend mit dem Stammvater Abraham, Glied für Glied bis hin zu Jesus. Doch es bleibt nicht bei der trockenen anagrafischen „Dokumentation“, welche den „heimischen“ Elite-Status von Jesus aufzeigt. Im Kontrast dazu überrascht Matthäus durch feine psychologische Momente. Etwa, als er die Zweifel von Vater Josef enthüllt oder auf das verbrecherische Ränkespiel des Herodes eingeht.
Taufe ist Weihe(nacht)
Das stärkste Stück von Matthäus aber kommt erst nach der Erzählung von der Geburt des königlichen Knaben und dem darauf folgenden Gemetzel des amtierenden Königs. Das Kernstück der Weihnachtsgeschichte bei Matthäus ist das Werden und Wirken von Johannes dem Täufer. Johannes ist der Nachcousin von Jesus, er predigt und heilt am Jordan. (Die Taufe von Jesus durch Johannes ist gewissermaßen die „Stabübergabe“ von einem Heiler zum anderen, größeren und der finale Höhepunkt der Weihe-Nacht). Ganz besonders ins Auge fällt in diesem Kapitel von Matthäus die Stelle, an der Eremit Johannes den doppelmoralinsüßen „Hohepriestern“ (heute Parteichefs und Journalisten) die Leviten liest, als sie sich von ihm taufen – also von ihren Sünden reinigen – lassen wollen. Johannes tauft sie zwar, ruft ihnen aber nach: Glaubt ja nicht, dass deshalb euere Missetaten vergessen sind – ihr werdet im unauslöschlichen Feuer dafür büßen müssen! Kompromisslos, kräftig, hart. Ja, die Welt des Matthäus ist eine robust männliche. Männer sind seine Protagonisten, ihr Leben, ihre Taten, ihre Haltung.
Quellen
Die beiden Evangelien gibt es in der sich modern gebenden Einheitsübersetzung von 1980 oder, wahlweise, in der urwüchsigeren „Luther Bibel“ von 1984. In der Einheitsübersetzung ist Maria „die Verlobte“ Josefs, bei Luther ist sie das „vertraute Weib“. Keine Frage, ich bevorzuge Luther.
Einheitsübersetzung von 1980 im Internet hier: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/
„Luther Bibel“ von 1984 im Internet hier : https://ia601605.us.archive.org/16/items/DieBibel-AltesUndNeuesTestament-NachMartinLuther/DieBibel-Deutsch-Pdf.pdf