Ortsnamengebung: peinlicher Versuch wissenschaftlicher Rechtfertigung?
UT24: 48 Professoren aus Italien und Deutschland, unter ihnen überwiegend Sprachwissenschaftler, haben einen Appell an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella für den Erhalt der italienischen Toponomastik in Südtirol unterzeichnet. Herr Kollmann, Sie sind auch Sprachwissenschaftler und zudem Toponomastikexperte. Was halten Sie von dieser Aktion?
Kollmann: Die Aktion ist ganz leicht zu durchschauen: Es ist ein peinlicher Versuch, die tolomeisch-faschistische Orts- und Flurnamengebung in Südtirol nicht nur politisch, sondern auch noch wissenschaftlich zu rechtfertigen. Die Wissenschaft wird für politische Zwecke instrumentalisiert.
UT24: Sie sprechen von tolomeisch-faschistischer Orts- und Flurnamengebung. Davon ist im Appell aber nicht die Rede.
So ist es. Und genau das ist das Problem: Es ist nur von „toponimi italiani“ im so genannten „Alto Adige“ die Rede. Allein schon mit diesen Begriffen demaskiert sich die Aktion bereits von selbst, da alles einseitig dargestellt wird. Kein Wort über Ettore Tolomei, den Erfinder des „Alto Adige“! Kein Wort über den Faschismus! Kein Wort darüber, dass laut UNO-Bericht aus dem Jahr 1985 aufgezwungene Namen einen „kulturellen Übergriff und Aggressionsakt“ darstellen! Es wird so getan, als würde das Problem der faschistisch belasteten Orts- und Flurnamen, die bis heute einen manipulativen Zweck erfüllen, gar nicht existieren. Es wird so getan, als ginge es ausschließlich um die Einhaltung der Zweisprachigkeit. Es wird hierbei nicht differenziert zwischen Zweisprachigkeit von Wörtern und Zweisprachigkeit von Namen, ebenso wenig zwischen authentischen Orts- und Flurnamen, die somit historisch fundiert sind und über eine Etymologie verfügen, und jenen Orts- und Flurnamen, die hingegen unter der Federführung von Ettore Tolomei am Schreibtisch fabriziert wurden, um die Siedlungs- und Sprachgeschichte des heutigen Südtirols in ein falsches Licht zu rücken.
UT24: Warum werden Ihrer Meinung nach diese Unterschiede nicht gemacht?
Weil die gesamte Aktion einen italienisch-nationalistischen Hintergrund hat. Um so beschämender finde ich es, dass sich Wissenschaftler zu so etwas hinreißen lassen. Dabei sollten die Wissenschaftler vielmehr der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtet sein und nicht, weil es nicht ins ideologische Konzept der Auftraggeber passt, Teile der Wahrheit einfach ausblenden. Dies zeugt von mangelnder wissenschaftlicher Integrität und von wissenschaftlicher Oberflächlichkeit.
UT24: Wie meinen Sie das genau?
Bevor man als Wissenschaftler seinen Namen für diese eindeutig politische Aktion hergibt, sollte man sich zuerst über die Situation in Südtirol informieren oder, noch besser, man sollte über Südtirol einschlägige Forschung betrieben haben, die einer wissenschaftlichen Gegenprobe standhält. Aber sämtliche Unterzeichner können weder das Eine noch das Andere nachweisen. Sie verfügen nur über vage bzw. einseitige Südtirol-Kenntnisse. Keiner von ihnen ist je durch eine neue und unwiderlegbare These zu Etymologien von bestimmten Südtiroler Orts- und Flurnamen in Erscheinung getreten. Wenn man also die Probleme nicht einmal aus wissenschaftlicher Sicht kennt bzw. historischer Sicht kennen will, dann sollte man sich davor hüten, für eine politische Aktion Partei zu ergreifen. Es sei denn, man nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Dann hat dies allerdings mit Wissenschaft nichts zu tun.
UT24: Schauen wir uns die Liste der Unterzeichner genauer an,  finden wir unter anderem mit Marinella Pasquinucci eine Unterwasserarchäologin und mit Giovanni Uggeri einen Fachmann für antike Topografie: Wer sind denn die anderen Wissenschaftler?
Der prominenteste Unterzeichner ist sicher Carlo Alberto Mastrelli, der langjährige Direktor des von Ettore Tolomei im Jahr 1904 gegründeten „Istituto di studi per l’Alto Adige“. Das Institut hatte von Anfang an den Zweck, unter dem Deckmantel der Wissenschaft die „italianità “ Tirols im Einzugsgebiet der Etsch zu belegen. Allein schon die Tatsache, dass sich jemand auf eine Liste setzen lässt, auf der der Name dieser Person aufscheint, die nachweislich aus dem Dunstkreis des ersten Südtiroler Faschisten Ettore Tolomei stammt, sollte aufhorchen lassen.
UT24: Die Initiatoren rühmen sich ja damit, dass nicht nur die italienische akademische Welt, sondern auch die deutsche akademische Welt den Appell unterzeichnet haben.
Ja, aber wie viele deutsche Wissenschaftler sind darunter? Insgesamt konnte ich nur vier finden. Die restlichen 44 sind Italiener.
UT24: Sie würden also mehr deutsche Unterstützer erwarten?
Wenn es sich um eine wissenschaftlich seriöse Aktion handeln würde, eher schon. Ich bin froh, dass kein Name aus Österreich, München oder Welschtirol dabei ist. Im Grunde haben nur Personen unterschrieben, die von Südtirol keine Ahnung haben und weit davon entfernt leben. Was mich allerdings sehr enttäuscht, ist, dass sich auch Volker Kohlheim, der Autor des Duden-Familiennamenbuches, gemeinsam mit Faschistenverstehern unter den Unterzeichnern findet. Ich als Autor des Luxemburger Familiennamenbuches hatte gelegentlich mit ihm zu tun. Ich habe ihn nun persönlich angeschrieben, weil ich wissen möchte, was für ihn ausschlaggebend war, bei dieser Aktion mitzumachen.
„Was mich allerdings sehr enttäuscht,
ist dass sich auch Volker Kohlheim,
der Autor des Duden-Familiennamenbuches,
gemeinsam mit Faschistenverstehern
unter den Unterzeichnern findet.“
UT24: Glauben Sie, dass der Appell dieser Wissenschaftler an den italienischen Staatspräsidenten Mattarella etwas bewirken kann?
Das befürchte ich, leider, zumal Italien bereits von sich aus immer schon die nationalistische Position vertreten hat. Umso mehr müssen wir alles daran setzen, dass die wissenschaftliche und politische Wahrheit auf den Tisch gelegt wird! Aber bedauerlicherweise ist es so, dass es nicht nur manche Wissenschaftler, sondern auch viele Politiker mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
UT24: Wie sieht die Wahrheit aus?
Die Mehrsprachigkeit in der Orts- und Flurnamengebung ist auf jeden Fall zu begrüßen. Allerdings muss diese historisch fundiert sein. Im Gebiet des heutigen Südtirol gibt es deutsche, ladinische und ca. 200 echte italienische Orts- und Flurnamen, darunter Bolzano, Merano, Bressanone. All diese Namen sind amtlich festzulegen. Die ca. 8000 von Tolomei & Co. erfundenen Namen sind und bleiben ein Kulturverbrechen! Diese Tatsache wird sich nie ändern, auch nicht, wenn nunmehr auch so genannte „Wissenschaftler“ versuchen wollen, diese Pseudonamen als entfaschistisiertes Kulturgut, als sprachlich-kulturelle Bereicherung und als friedenserhaltende Maßnahme zu reinterpretieren.
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Cristian Kollmann ist Romanist, Germanist und Sprachwissenschaftler (Mag.phil.Mag.phil., Dr.phil.) und forschte unter anderem als Toponomast am Südtiroler Landesarchiv sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Luxemburg. Derzeit ist Kollmann Presse- und Kommunikationsverantwortlicher der Landtagsfraktion der Süd-Tiroler Freiheit. Kollmanns Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind historische Sprachwissenschaft (Laut- und Formenlehre, Sprachkontakt, Etymologie, Onomastik) der Idiome des Tiroler und Luxemburger Raumes.
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16.10.2016
Die deutschen Kampf gegen Rechts -Proleten-Medien und Politiker über das Ausland beweisen schon wieder einmal , dass Sie charakterlose Idioten sind,
ausgerechnet die Lega Nord , die voll auf der Seite der Südtiroler steht, was auch die Ortsnamengebung anbelangt, wird andauernd
schlecht gemacht, aber mit der Huldigung des Faschismus haben Moralisten bei Politik und Medien in Deutschland keine Brührungsängste, wobei
Kaiser-Wilhelm , denn ohne Ihn hätte Österreich keinen Krieg begonnen,seinen Teil und auch Hitler dazu beigetragen haben, dass Tirol ein geteiltes Land blieb.
Es ist einfach nicht mehr als Südtiroler auszuhalten, wenn deutsche (BRD) Sprachwissenschaftler mit Null Ahnung,
über 500 Jahre Alte Tirolerische Namen Italienisieren möchten, was geht in diesen Köpfen vor?
15.10.2016
Die angeblich namhaften Wissenschaftler aus Deutschland und Italien werden sich, um sich nicht dem Vorwurf der Einseitigkeit auszusetzen, auch für die Legitimierung der von den Nazis in Ostpreußen eingeführten Ortsnamen einsetzen müssen.
Nach 1933 wurden eine große Anzahl altpreußischer, litauischer und polnischer Ortsnamen in Ostpreußen, Schlesien und Oberschlesien durch mitunter nazigefällige Neuschöpfungen ersetzt. Nach dem 2. WK erfolgte die Neufestlegung der Namen in den deutschen Ostgebieten durch polnische und sowjetische Behörden.
In Süd-Tirol erfolgte nach dem 2.WK keine Abkehr vom Faschismus samt seinen erfundenen Ortsnamen. Nach wie vor wird alles, was mit Faschismus zusammenhängt, gepflegt und gefördert. Nun selbst mit wissenschaftlicher Unterstützung.