
Gastbeitrag von
Pius Leitner
Europa am Scheideweg: Geht es um Werte oder um Interessen?

Im Klappentext des Buches schreibt Dohnanyi: „Europa ist heute keine Weltmacht mehr und kann es auch im Vergleich zu den USA, Russland und China nicht wieder werden. Wir haben angesichts unserer Geschichte zu viele einzelne europäische Interessen und keinen europäischen Hegemon. Auf dieser Erkenntnis gründend müssen wir Europäer, auch wir Deutsche, unsere eigenen Interessen vertreten und dürfen uns dabei nicht automatisch von einer ‚Wertegemeinschaft‘ oder einer ‚Freundschaft‘ leiten lassen, die ja von Seiten der USA ohnehin nicht im europäischen Sinne praktiziert wird – und wohl auch von der größten Weltmacht so gar nicht praktiziert werden könnte. Wenn es den USA in ihre Politik passen würde, würden sie dann Europa genauso fallen lassen wie jetzt Afghanistan oder andere Staaten zuvor? Ich wage keine Antwort.“
Fehlende Strategie in Europas Politik
Das Buch ist kurz vor Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine erschienen und die Mahnung Dohnanyis erscheint heute mehr als berechtigt. Es zeichnet sich aber immer noch keine Strategie ab, wie Europa und seine Staaten die eigenen Interessen vertreten wollen – nicht in der Sicherheits-, Wirtschafts- oder Asylpolitik. Mit einer Hau-Ruck-Aktion Hunderte von Milliarden Euro für die Aufrüstung zu dekretieren, droht für europäische Staaten und für die EU zu einer Zerreißprobe zu werden. Ein ähnlicher Einsatz für diplomatische Schritte zur Einleitung eines Friedensprozesses mit Russland und der Ukraine ist leider nicht festzustellen. Immer öfter stellen Experten in Abrede, dass die Ukraine Russland militärisch „besiegen“ könne.
Aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens müssen leider feststellen, dass die politischen, wirtschaftlichen und demokratiepolitischen Prozesse wenig transparent und mit vielen Ablenkungsmaßnahmen ablaufen. Anstatt die brennenden Probleme zu lösen, werden all jene diskreditiert oder diffamiert, die sich kritisch äußern und den Mainstream hinterfragen oder ihm gar widersprechen. In großer Übereinstimmung zwischen etablierter Politik und Leitmedien wird die Demokratie, welche man zu schützen vorgibt, mit Füßen getreten.
Kritik an Europas Doppelmoral wächst
Die Kritik von JD Vance, Stellvertreter des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, anlässlich der Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz 2025 hat Europa aufgeschreckt. Da hat es einer doch tatsächlich gewagt, den Rückgang von Demokratie und Meinungsfreiheit in der EU anzuprangern. Die Reaktionen zeigen, dass Vance einen wunden Punkt getroffen hat. Was die meisten Medien verschwiegen, ist die Tatsache, dass sich auch der Außenminister Indiens (des weltweit größten demokratisch verfassten Landes), Subrahmanyam Jainshankar, der Kritik von JD Vance anschloss. Er zeigte wenig Verständnis dafür, wie große Teile der Bevölkerung von der politischen Willensbildung ausgeschlossen werden und er verwehrte sich dagegen, dass europäische Politiker andere Staaten belehren und diese nach ihren Wertvorstellungen beurteilen.
Natürlich ist klar, dass beide Außenminister auch oder vor allem die wirtschaftlichen Interessen ihrer Länder im Auge hatten. Sie trafen die „westliche Wertegemeinschaft“ jedoch ins Herz und legten deren Doppelmoral gegenüber anderen Staaten und Kulturen offen.
Wenn es heute um Werte geht, bestimmen linke Parteien, linke Medien und linke NGO‘s, welches die richtigen und welches die falschen sind. Deren Deutungshoheit legt fest, was gesagt, geschrieben und gedacht werden darf. Da wird man schnell zum Rassisten, Frauenhasser, Homophoben, Sexisten und – wenn nichts mehr reicht – zum Nazi. Dies führt immer öfter dazu, dass sich konservative Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern und sich aus der Diskussion zurückziehen.
Südtirol schaut immer gerne auf Deutschland, wenn es um neue Entwicklungen geht. Dass sich Deutschland, die einst unumstrittenen Wirtschaftsmacht in Europa, im Sinkflug befindet, bereitet auch Südtirol Sorgen. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen schwappen stets auch gesellschaftspolitische Diskussionen nach Südtirol über. Für gute Lösungen, unter Wahrung eigener Werte und Interessen, braucht es überall Offenheit und Mut!

Neueste Meldungen
