von gk 10.01.2025 11:30 Uhr

„Es ist Zeit, dich zu kastrieren!“

Das an einem Berghang gelegene und von einer Burgruine überragte Dörfchen Lichtenberg gehört zum Gemeindegebiet von Prad am Stilfserjoch. Am 13. Juli 1961 holten dort die Carabinieri den 37-jährigen verheirateten Tischler Josef Tschenett, Vater von vier Kindern, zum Verhör ab. Was ihm widerfuhr, berichtete er in einem aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelten Schreiben an die Südtiroler Volkspartei.

An die S.V.P. Bozen, Bozen, d. 4.IX.1961

Ein Kurzbericht über meine erlittene Misshandlungen, bei den Karabinieri (Polizei Meran).

Bin am 13. 7. 1961 Nachts verhaftet, und dann ohne Aufklärung gleich nach Meran gebracht worden. Bin dann 24 Stunden aufrecht gestanden, mit Kopf nach oben gehoben. Nach dieser Zeit, kam ich zum ersten Verhör. Da ich habe die Vergehn, die man mir zur Last legte, energisch verneinte, und daß von mir Zugegebene nicht geglaubt wurde. Nun wurde ich vor Scheinwerfer gestellt, wo ich 4 Stunden stand. Da ich nur mehr blau sah, völlig benommen, und von Schweiß überströmt, wollten sie an Hand von falschen Protokollen, mich zu einem Geständnis zwingen.

Erst schlug man mir nur die falschen Protokoll-Rollen ins Gesicht, bis sie in Fetzen flogen. Nun kam, wie sie ihn nannten, der (Lungo und Comp.) Die schlugen mit Fausthiebe und Fußtritte auf mich los. Einer der gewaltige Fausthiebe ins Gesicht verletzte mich so, daß mir ein Stiftzahn in den blutigen Mund fiel, und der gesunde Nebenschneidezahn beide oben losgeschlagen wurde. Durch diesen Schlag fiel ich zu Boden, wie lange ich lag, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einer Einzelzelle, wo man mich, als ich wieder stehen konnte 24 Stunden aufrecht hinstellte, Kopf nach oben. Während der insgesamt 50 Stunden ich ohne Essen und Wasser bleiben musste.

„Ti attachiamo con i coglioni“

Mein letztes Essen, u. Trank hatte ich am Dienstag 19 Uhr daheim, mein Erstes Samstag abends hier in Bozen. Da mich meine vom Krieg verletzten Füße nicht mehr trugen, bewegte ich mich. Jedoch auf jeder meiner Bewegung reagierte die Wachmannschaft, mit Absatz und Gewehrkolbenschläge auf den Körper, und Fußspitzen. Von Zeit zu Zeit kamen die Verhörsbeamte (Lungo u. Comp.),  und fragten, ob man endlich beichten wolle. Ich antwortete, daß ich beim ersten Verhör alles gesagt habe, was ich zu sagen wußte. Mit ein paar weitere gewaltige Hiebe ins Gesicht entfernten sie sich wieder mit den Worte (ti facciamo fino sei uno scheletto) (Anm.: Richtig müsste es heißen: „ti facciamo fino sei uno scheletro“ – „wir werden dich herrichten, bis du ein Skelett bist“) und beauftragten die Posten, mich bei eventuellen Bewegungen oder Zusammenbruch, mit Gewehrschläge und Schuhtritte in die Höhe zu bringen. So stand ich bis zu meiner völligen Erschöpfung, und unterschrieb dann, das mir schon vorbereitete italienisch verfaßte Protokoll ohne das es mir übersetzt wurde, um nun weitere Mißhandlungen zuentgehen. Hätte in dieser Lage jede noch so große Tat unterschrieben.

Von die Spuckereihen ins Gesicht, von die Verspottungen, wie man soll ein Drahtseil spannen und mich („ti attachiamo con i coglioni“) (Übersetzung: „wir werden dich an den Eiern aufhängen“).

"Allora è tempo che ti castriamo"

„Sie fragten mich, wie viele Kinder ich hätte: Antwort: 4 (Allora è tempo che ti castriamo.)“ (Übersetzung: „Dann ist es Zeit, dass wir dich kastrieren.“)

Auf die Bitte, um ein Glas Wasser gab es zur Antwort: (olio d’origena) (Anm.: „Öl aus…?“) War so zusammengeschlagen, als man mich nach Bozen abtransportierte. Man schleppte mich zum Auto in Kasernenhof. Als man mir die Handschellen anlägen wollte, kam Hauptmann Marzolla, und sagte, seht ihr denn nicht wie er beisammen ist. So ging der Transport ohne gebunden nach Bozen. Konnte nicht gehen und stehen. Vom Kiefer bis zur Fußspitze schmerzte der ganze Körper. Von der Schwäche, nach drei Tage ohne Nahrung ist nicht zu beschreiben.

Hier in Bozen wurde ich vom Gefängnisarzt untersucht, da meine Zähne ruiniert waren, und vor Schmerz es nicht auszuhalten war. Es musste mir hier noch ein vollständig gesunder Zahn gezogen werden, eine Wurzel war abgebrochen, und steckte heute noch im Kiefer. Die Zähne habe ich als Andenken im Taschentuch eingebunden, und stetz bei mir. Die Schmerzen im Kiefer habe ich heute noch.

Sechs (6) Tage lang war ich im Bett, wo man mir täglich zweimal Fußwickel mit Essigsäureton-Erde verabreichte, bis endlich die vollständig verschwollenen Beine wieder halbwegs normal waren. Die Füße schwollen mir in Meran so an, wo von vielen mit Absätzen u. Kolbenhiebe, zerschlagen zertrampelt wurden. Konnte nur mehr mit den Socken an existieren.

Der Gefängnisarzt hat zum Teil alles hier im Ärztebuch verprotokolliert. Der Arzt hier konnte erst nach dem sechsten Tage feststellen, daß an meine blau, grün, rot angeloffenen Vorfüße nichts gebrochen war. Werde dies, der Gerichtsbehörde zur Anzeige bringen. Hoffentlich habt Ihr durch dieser kurzen Beschreibung eine kleine Ahnung, was mit uns auf den Polizeistationen getrieben wurde, und dies in einem christlich demokratischen Staat.

Schließe diesen Brief ab, mit dem Wunsch, daß die Gerechtigkeit, Menschlichkeit doch wieder die Überhand bekommen möge.

Für die Richtigkeit, mit besten Grüße verbleibe ich ergebenst

Tschenett Josef
Lichtenberg-Prad a./St.
Vintschgau

Von den Wutausdrücke, Verspottungen usw. uns, und den Südtiroler Volk = Volksvertreter gegenüber, spottet jeder Beschreibung.(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Eine vollends zerstörte Existenz und Familie

Josef Tschenett wurde am 16. Juli 1964 zu 2 Jahren Haft verurteilt. Da die Strafe abgebüßt war, konnte er nach Hause gehen. Seine Geschichte ist aber keine, von der man sagen könnte: „Ende gut, alles gut.“

Seiner Frau Maria war alles zu viel geworden: der Mann in Haft, die Tischlerei verschuldet. Sie hatte noch vor der Entlassung ihres Mannes den Freitod gewählt. Am 13. Juni 1963 hatte man sie tot aus dem Suldenbach geborgen.

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9

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