Von den Folterern auf einem Ohr taub geschlagen
Franz Muther kam im Jänner 1922 in Laas im Vinschgau zur Welt und musste in der Faschistenzeit die italienische Schule besuchen. Deutsch lernte er zu Hause. Am Wochenende zog es den jungen Burschen mit seinen Freunden zu Kletterpartien oder Schitouren in die Berge. Am Abend, auf dem Hochganghaus, konnten sie ungestört deutsche Lieder singen, ohne Bestrafung fürchten zu müssen.
Er diente im Zweiten Weltkrieg in der Deutschen Wehrmacht und führte nach Kriegsende heimlich Heimkehrer über die ihm wohlbekannten Jöcher zurück in die Heimat.
Später heiratete er Hanna Tappeiner und widmete sich in seiner Freizeit neben seinem Beruf als Elektriker dem Aufbau des Alpenvereins und der Ortsfeuerwehr von Laas, deren erster Hauptmann er 1949 wurde. Bald gehörte Franz Muther mit seinen Freunden zu jenen Südtirolern, die gegen die Unterdrückung und Unterwanderung aufbegehrten. 1957 sah man die Laaser auf der Kundgebung auf Schloss Sigmundskron und 1959 marschierte eine starke Vinschger Abordnung im Landesfestzug in Innsbruck mit, um so für die Landeseinheit zu demonstrieren. An der Wiedergründung Südtirols bis dahin verbotener Schützen war Muther als Bezirksmajor ebenso maßgeblich beteiligt, wie am Aufbau der politischen Vertretung der Südtiroler, der Südtiroler Volkspartei (SVP), im Kampf um das Recht auf Sprache, Kultur und Arbeit.
Der Verrat
Franz Muther war auch ein enger Gesinnungsfreund des Göflaner SVP-Politikers Hans Dietl, sah jedoch immer klarer, dass die offizielle Politik ohne begleitenden Freiheitskampf die Not des Landes nicht wenden würde. So gehörte Franz Muther bald zu den Mitverschwörern um Sepp Kerschbaumer.
Nach der Feuernacht 1961 blieb er zunächst unentdeckt, bis der „Alto Adige“-Journalist Benno Steiner ihn denunzierte. Am 10. Juli 1961 hielten ihn die Carabinieri auf seinem Weg nach Hause auf und brachten ihn unter dem Vorwand, dort sei eine Elektroreparatur zu machen, in die Laaser Kaserne.
Was dann geschah, schilderte Franz Muther Anfang November 1961 in einem Brief an die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei. Es war ein Hilfeschrei, der mit der vergeblichen Bitte schloss, alles daranzusetzen, weitere Folterungen zu verhindern:
Bozen, 3.11.1961
An die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei, Bozen
Möchte Ihnen folgendes mitteilen, damit Sie, Ihnen ein Bild machen können, wie man in einem freien, Demokratischen-Staat die Polizeiverhöre führt.
Ich wurde am 10. Juli dieses Jahr, vom Carabinieri Brigadier von Laas in die Kaserne gerufen, es war gegen 17.30 Uhr. In der Kaserne sagte der Brigadier, es würde jemand kommen, um einige Fragen an mich zu richten, dann könnte ich gleich wieder nach Hause gehen. Ich mußte warten, gegen 21 Uhr wurde ich aus der Kaserne geführt und mußte in eine Kampagnola (richtig „campagnola“, Geländefahrzeug der Carabinieri und der Polizei) welche vor der Kaserne stand, einsteigen. Gleich darauf brachte man Matthias Parth aus Eyrs, welcher ebenfalls im Wagen Platz nehmen mußte. Es wurde schnell die Plane verschürcht und abgefahren. Ein Carabinieri hat uns gegenüber Platz genommen mit der Maschinenpistole im Anschlag. Wir wurden nach Meran in die Carabinieri-Kaserne gebracht, in einem Zimmer geführt, wo wir unter Bewachung stehen mussten, ohne sich bewegen zu dürfen. Gegen Mitternacht wurde ich in einem anderen Zimmer geführt, dort stellte ein Mann in Zivilkleidung einige Fragen an mich. Wie ich nachher erfahren konnte, war es Capitano Gazolla oder Marzolla. Nachdem ich diese Fragen nicht zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte, wurde ich beschimpft und verhöhnt, er drohte mir mit Misshandlungen, unter anderem würde er mir die ganzen Haare ausreißen. Ich musste die Hände hochhalten, dann schlug er mir mit einem Eisenstäbchen mir auf den Finger. Gazolla rief dann nach einem gewissen Lungo, dies war ein großer kräftiger Mann, und gab ihm den Befehl, mich abzuführen zur „cura speciale“, wie er sich ausdrückte.
Ich wurde wiederum in einem anderen Zimmer gebracht, mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt, von zwei kleinen Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe, 80 cm vor mir aufgestellt wurden, angestrahlt. Nach kurzer Zeit, als meine Augen genügend geblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um mich herum standen ungefähr 6–8 Mann in Zivilkleidung und einer in Uniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhöhnte, beschimpfte, drohte mich auf das Schärfste, dann auf einmal, fasste er mich an die Brust, riss mir das Hemd runter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mit der Faust auf meine Schlädeldecke los, zugleich schlug der Lungo an der Seite meines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute immer noch Schmerzen habe und auch schlecht höre.
Dieses Bein war längere Zeit angeschwollen und ganz gelb. Diese Tortur vor dem großen Scheinwerfer dauerte 5-6 Stunden ununterbrochen, ich glaubte wahnsinnig zu werden. Meine Bitte um Wasser wurde höhnisch verneint. Als endlich der Scheinwerfer abgedreht wurde, glaubte ich, das Augenlicht verloren zu haben, da ich einige Zeit nicht mehr sehen konnte. Ich war am ganzen Körper nass vom Schweiß, besonders im Kopf. Ich wurde in die Mitte des Zimmers auf einen Stuhl gesetzt, es war ein fürchterliches Zugluft, da Fenster und Tür offen waren. Gazolla drohte mir auch damit, noch eine Geschlechtsbehandlung zu lassen. Ein Carabinieri sagte, wenn ich nicht rede, würden sie auch meine Frau holen, die dann müßte sprechen bringen. Es war nicht mehr auszuhalten, der Gedanke, daß man jetzt auch noch eine unschuldige Frau auf solche Weise, wofür es für einen zivilisierten Menschen keinen Ausdruck mehr gibt, verhört werden soll, war für mich furchtbar. Ja, zuzumuten war es ihnen ohne weiteres, habe es doch am eigenen Leid erfahren, und wo nun einmal die moralische Vernunft versagt, der Haß überhand bekommt, dort beginnen die Wahnsinnstaten.
Ja, und dies alles in einer Zeit wo man an einem vereinten Europa denkt. In diesem Sinne habe ich auch Anfang Oktober eine Anzeige wegen der Misshandlung an die Staatsanwaltschaft von Bozen gemacht. Nachdem ich aber heute nichts davon gehört habe, befürchte ich, das man alles vertuschen will. Nachdem ich seelisch, moralisch und körperlich vollkommen geschlagen war, kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich bei den Carabinieri, so wie auch beim Staatsanwalt Dr. Castelano aussagte und unterschrieb. Die hier angeführten Misshandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchte Sie aufrichtig bitten, dass Sie alles daransetzen, um weitere solche Schandtaten an das Südtiroler Volk zu vermeiden. Es wäre noch viel zu sagen, aber ich habe kein Papier mehr.
Es zeichnet Hochachtungsvoll
Franz Muther, Laas
(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)
Das blutige Hemd
Muther’s Mitgefangener Luis Steinegger berichtete später: „Noch zwei Monate nach seiner Folterung floss Blut und Eiter aus seinen Ohren.“ („Laaser Schützenbuch“, Auer 2001, S. 201)
Als Muthers Frau Hanna ihn im Gefängnis besuchen durfte, nahm sie einen Sack Wäsche aus dem Gefängnis zum Waschen nach Hause mit. Was sie sehen musste, als sie die Wäsche auspackte, schildert Wilfried, der Sohn ihrer Schwester Berta: „Auf der Brustseite war ein großer dunkler Fleck Blut. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie setzte sich hin und sagte: ‚Ich wusste, es wird ihm was geschehen! Gott wurde ich schuldig.‘“ (Bericht in: „Laaser Schützenbuch“, a.a.O., S. 195)
Im Übrigen war Muthers Frau aus demselben Holz geschnitzt wie ihr Mann, die sie laufend im Gefängnis besuchte. Dies bedeutete für die Frau, die sich als Schneiderin durchbrachte, einen erheblichen finanziellen Aufwand. Ein Aktenvermerk der Südtirolabteilung Referat „S“ im Amt der Tiroler Landesregierung hielt dazu fest, dass „Frau Muther äußerst bescheiden ist und nicht gerne Hilfe in Anspruch nehmen will.“ (Liste der Häftlingsfamilien. Südtirolakten des Referates „S“ der Nordtiroler Landesregierung, Präs. I, Ref. „S“, Res. 1964, Tiroler Landesarchiv Innsbruck)
Kopf- und Ohrenschmerzen als Folge der Misshandlungen
Durch die erlittenen Schläge auf die Ohren und auf die Schädeldecke litt Franz Muther überdies an starken Ohren- und Kopfschmerzen. Er wurde deshalb in die Gefängnisirrenanstalt nach Reggio Emilia verlegt. Dass die Kopfschmerzen eine Folge der Misshandlungen waren, wollte man nicht zugeben. Also wurde so getan, als hätten sie womöglich psychische Ursachen. Und so fand sich Muther plötzlich in der überbelasteten Gefängnispsychiatrie von Reggio Emilia wieder.
Eine Verwandte, die ihn besuchte, berichtete, wie sie „ihn bei einem Besuch mit den Händen am Kopf durch den Gefängnishof laufen sah, die Hände an die Ohren gedrückt.“ (Bericht in: „Laaser Schützenbuch“, a.a.O., S. 199)
Später kam Franz Muther wieder in das Gefängnis von Trient. Als er in Ketten zur Gerichtsverhandlung gebracht wurde, trug er wollene Ohrenschützer, jeder Luftzug tat ihm weh.
Am 16. Juli 1964 wurde Franz Muther im Ersten Mailänder Südtirolprozess zu 9 Jahren und 5 Monaten Kerker verurteilt, nachdem er in seinem Schlusswort vor Gericht darauf hingewiesen hatte, dass der Gerichtshof durch sein Urteil dazu beitragen könne, „aus einem schwergeprüften und betrogenen Volk ein glückliches und zufriedenes Volk zu machen.“
Während seiner Haft stand der ganze Heimatort zu ihm und seinen mitgefangenen Laasern Franz Tappeiner und Engelbert Angerer. Auch der Ortspfarrer Georg Tumler kümmerte sich in besonders anständiger Weise um die Familien der Inhaftierten. Am 27. August 1963 bekam er dafür die Quittung. Die Carabinieri überfielen buchstäblich den Ort, nahmen vorübergehend an die 30 Personen fest und verhörten sie. Darunter befanden sich der Bürgermeister und der Pfarrer Georg Tumler. In zahlreichen Häusern wurden ergebnislose Hausdurchsuchungen durchgeführt, die Verwüstungen glichen. Auch der Pfarrhof wurde regelrecht verwüstet. Als Franz Muther am 10. August 1967 nach 6 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen wurde, begrüßten ihn der Bürgermeister Platter und die Dorfgemeinschaft auf das herzlichste. Pfarrer Tumler kletterte in die Jennwand oberhalb von Laas und pflückte einige Edelweiß, welche er in der Kirche vor versammelter Gemeinde Franz Muther als heimatlichen Willkommensgruß überreichte.
Lange Zeit litt Muther unter Schlafstörungen, schreckte immer wieder in der Nacht auf. Die Kopfschmerzen waren ihm geblieben und das linke Ohr war taub.
Er blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1986 dem Gemeinwohl und Gedächtnis verpflichtet. Er betätigte sich bei der Jugendarbeit im Schützenbund, im Pfarrgemeinderat und wurde Ortsobmann der SVP.
Zu seinem Begräbnis erschienen zahlreiche Schützen aus Nord und Süd, Feuerwehrmänner, ehemalige Mitkämpfer und vor allem die Bevölkerung. „Die Trauerfeier für ihn war eine Würdigung seiner Standfestigkeit und seiner Menschenfreundlichkeit”, so steht es im “Laaser Schützenbuch”, in welchem ihm die nun nach ihm benannte Schützenkompanie ein dauerndes Denkmal gesetzt hat.
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9
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