von gk 01.12.2024 18:29 Uhr

Die Gründung der Südtiroler Volkspartei (SVP)

Die Gründung der Südtiroler Volkspartei (SVP) im Jahr 1945 war ein komplexer Prozess, geprägt von politischem Pragmatismus und den Interessen der Alliierten Militärregierung. Erich Amonn, als zentrale Figur, führte die Partei in einer Zeit, in der Südtirol zwischen den Einflüssen der Alliierten, den Erwartungen der Bevölkerung und den Spannungen mit Italien stand.

Der Obmann der neu gegründeten Südtiroler Volkspartei (SVP), Erich Amonn, und sein Parteiausweis (Bild: Effekt Verlag).

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand Südtirol unter alliierter Militärverwaltung. Die Region, die zuvor von faschistischem Italien annektiert und später von nationalsozialistischen Kräften beherrscht worden war, befand sich in einem politischen und gesellschaftlichen Vakuum. Die Alliierten, insbesondere die US-amerikanische und britische Besatzungsmacht, sahen sich vor der Herausforderung, die Region zu stabilisieren und Konflikte zwischen der deutschsprachigen Bevölkerung und Italien zu verhindern.

Die Alliierten setzten auf eine moderate politische Vertretung, um die Spannungen in Südtirol zu entschärfen. Dies führte zur Gründung der Südtiroler Volkspartei (SVP), die als Sammelpartei die Interessen der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung bündeln sollte.

Erich Amonn, ein Bozner Kaufmann und politisch versierter Netzwerker, spielte eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der SVP. Bereits während des Krieges knüpfte er Kontakte zu Exilanten und politischen Akteuren in der Schweiz sowie zu den alliierten Geheimdiensten. Amonn erkannte früh die Bedeutung einer geordneten politischen Vertretung für Südtirol und arbeitete daran, die Forderung nach Selbstbestimmung diplomatisch umzusetzen.

In seinen Erinnerungen beschrieb Amonn die Herausforderungen der Gründung und die Notwendigkeit, die Interessen der Alliierten zu berücksichtigen:

„Zuerst aber, und zwar schon vor dem Ende des Krieges, mussten Bundesgenossen gefunden werden, die uns in irgendeiner Weise helfen konnten.“

Die Gründung der SVP: Ein politisches Experiment

Am 8. Mai 1945 fand die Gründung der Südtiroler Volkspartei statt. Unter dem Schutz der französischen Delegation in der Villa Malfer in Bozen trafen sich etwa zwei Dutzend Vertrauensleute, um eine Partei ins Leben zu rufen, die einerseits die Interessen der Südtiroler vertreten, andererseits die Zusammenarbeit mit den Alliierten gewährleisten sollte.

Die Alliierten gaben der Partei klare Auflagen. So war es der SVP untersagt, separatistische Bestrebungen zu fördern. Stattdessen sollte sie sich auf die Bewahrung von Ruhe und Ordnung konzentrieren und die Forderung nach Selbstbestimmung in einem gemäßigten Rahmen halten.

„Die neue Partei erhielt die Auflage, keine separatistische Agitation zu betreiben, solange die Provinz unter der Kontrolle der Alliierten stand.“

Die Forderung nach Selbstbestimmung und ihre Grenzen

Ein zentrales Anliegen der SVP war die Selbstbestimmung der Südtiroler Bevölkerung. Doch dieser Begriff war von Beginn an umstritten. Während Teile der Bevölkerung und der Partei eine Abspaltung von Italien forderten, sahen die Alliierten darin eine potenzielle Gefahr für die Stabilität der Region.

Die Partei positionierte sich deshalb vorsichtig und verband die Forderung nach Selbstbestimmung mit kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Rechten. Erich Amonn betonte in internen Schreiben, dass die Partei keine „Loslösungspropaganda“ betreiben dürfe, da dies die Beziehung zu den Alliierten gefährden würde:

„Wer glaubt, dass Südtirol nur der geeignete Ort für eine Loslösungspropaganda sei, schadet der Sache und hat keinen Platz in unserer Partei.“

„Ruhe und Ordnung“: Der Pakt zwischen SVP und Alliierten

Mit dem Pakt zwischen der SVP und den Alliierten war es, „Ruhe und Ordnung“ in Südtirol zu gewährleisten. Die Alliierten setzten die SVP unter Druck, politische Aktivitäten so zu gestalten, dass keine Unruhen ausgelöst werden. Besonders die Forderung nach Selbstbestimmung sollte nicht zu separatistischen Agitationen führen.

Der sogenannte „Partisanenhauptmann“ Alberto Nastati, ein Vertreter der italienischen Präfektur, betrieb massive Einschüchterung gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung. Es kam zu Drohungen, Spenden und Mitgliedsausweise der SVP wurden beschlagnahmt. Diese Einschüchterung hatte das Ziel, eine klare Dominanz der italienischen Behörden zu demonstrieren.

Die SVP musste laut Amonn auf jede Form der Provokation verzichten. Ein Beispiel ist der Verzicht auf politische Kundgebungen und aggressive Forderungen:

„Wir lehnten zwar die Teilnahme am CLN (Comitato di Liberazione Nazionale) ab, da wir uns nicht als italienische Partei sahen […] Wir erklärten uns aber mit den italienischen Parteien dahingehend einig, für Ruhe und Ordnung, den Frieden und gegenseitige Achtung einzutreten.“

Dieser Pakt war notwendig, um die Zustimmung der Alliierten zu erhalten, die Südtiroler Interessen überhaupt vertreten zu können. Am 14. Juni 1945 wurde die Vereinbarung unter dem Titel „Ein Schritt zum Frieden“ veröffentlicht.

  • Der junge Parteisekretär Dr. Toni Ebner mit dem zum Vizepräfekten bestellten Bruder Erich Amonns, Walter Amonn (Bild: Effekt Verlag).

Die wirtschaftliche und politische Basis der Amonn-Familie

Erich Amonn und sein Bruder Walter Amonn stammten aus einer der angesehensten Unternehmerfamilien Südtirols. Walter Amonn, der Mitglied der faschistischen Partei gewesen war, erklärte, dass er dies nur getan habe, um geschäftliche Beziehungen mit Italienern aufrechtzuerhalten.

Die Familie besaß eine Kartonagenfabrik, eine Lackfabrik und Immobilien. Diese wirtschaftliche Macht half dabei, die SVP zu organisieren und finanzielle Unabhängigkeit zu wahren. Walter Amonn wurde später zum Vizepräfekten der Provinz Bozen ernannt und spielte eine wichtige Rolle bei der Organisation der Partei in den ländlichen Gebieten.

„Die Familie Amonn war […] die führende Wirtschaftskraft in der Region und nutzte diesen Einfluss, um politische Ziele zu unterstützen.“

Forderung nach Selbstbestimmung

Die Selbstbestimmung war das zentrale Thema der SVP, allerdings in einem von den Alliierten klar definierten Rahmen. Erich Amonn versuchte, die Forderung nach Selbstbestimmung so zu formulieren, dass sie weder als Abtrennung von Italien interpretiert werden konnte noch die Unterstützung der Alliierten gefährdete.

Er warnte die Mitglieder der Partei eindringlich vor einer zu radikalen Auslegung des Begriffs und drohte mit Parteiausschlüssen:

Die SVP sprach sich für „freie Lebensrechte des Südtirolers“ aus, die kulturell, sprachlich und wirtschaftlich definiert wurden. Dies war eine bewusste Abgrenzung von einer rein politischen Loslösung von Italien, die von den Alliierten nicht geduldet worden wäre.

Der Konflikt mit radikalen Kräften innerhalb der SVP

Die SVP hatte bereits während ihrer Gründungszeit nicht nur mit äußeren Feinden, sondern auch mit internen Spannungen zu kämpfen. Während gemäßigte Kräfte wie Erich Amonn für Kooperation mit den Alliierten und Italien plädierten, drängten andere Kräfte auf eine offensivere Selbstbestimmungspolitik.

Ein besonders spannender Punkt ist Amonns Reaktion auf diese innerparteilichen Konflikte. Er schrieb Rundschreiben an die Vertrauensleute der SVP, um die Partei auf einen pragmatischen Kurs zu bringen. In einem Schreiben an den SVP-Obmann des Bezirks Bruneck vom Juli 1945 verdrehte und erweiterte Amonn den Begriff „Selbstbestimmung“, um die radikalen Forderungen abzuschwächen:

„Selbstbestimmung bedeutet nicht nur die Loslösung von Italien, sondern vielmehr die Freiheit, unsere kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Rechte selbst zu definieren.“

Der Einfluss der Alliierten: Kontrolle und Restriktionen

Die Alliierten spielten eine entscheidende Rolle bei der politischen Entwicklung der SVP. Sie erteilten der Partei nicht nur Auflagen, sondern überwachten ihre Aktivitäten genau. Besonders der US-amerikanische Geheimdienst und britische Beamte hatten ein Interesse daran, dass die SVP keine radikalen Positionen einnahm.

Ein prominentes Beispiel hierfür ist ein Bericht des britischen politischen Beraters Hopkinson vom Juni 1945, in dem betont wurde, dass die Partei unter keinen Umständen separatistische Propaganda verbreiten dürfe:

„Die Südtiroler Volkspartei wurde gegründet, um Ruhe und Ordnung zu bewahren und den alliierten Interessen zu dienen.“

Die Zusammenarbeit mit den Alliierten war zwar hilfreich, um die Partei organisatorisch aufzubauen, führte jedoch dazu, dass die SVP unter ständigem Druck stand, sowohl die Interessen der Bevölkerung als auch die der Besatzungsmächte zu bedienen.

  • Dr. Friedl Volgger und Kanonikus Michael Gamper kämpften für das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes (Bild: Effekt Verlag).

Die Pressefreiheit und die Rückkehr von Kanonikus Michael Gamper

Ein weiterer bedeutender Punkt war die Rolle der Presse in Südtirol. Die „Dolomiten“, eine Tageszeitung, war eines der zentralen Organe der SVP und diente als Plattform für ihre politischen Forderungen. Nach der Rückkehr von Kanonikus Michael Gamper aus seinem Exil in Rom wurde die Zeitung wieder zum Sprachrohr für die Selbstbestimmung Südtirols.

Gamper, der zuvor von den Nazis vertrieben worden war, kämpfte weiterhin für die kulturellen und politischen Rechte der Südtiroler Bevölkerung. Zusammen mit jungen SVP-Politikern wie Dr. Toni Ebner und Dr. Friedl Volgger trieb er die volkskulturelle Linie der Partei voran. Die Dolomiten wurden zur Stimme der Selbstbestimmung und der kulturellen Identität Südtirols.

Fortsetzung folgt…

–> Zur Vorgeschichte und zu vorherigen Artikeln hier entlang.

  • Repression Band 1 (Bild: Effekt Verlag)

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2020. ISBN: 978-88-97053-68-2

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