von gk 28.11.2024 16:24 Uhr

Südtirols zögerlicher Widerstand gegen Italien 1945

Im Mai 1945, während Europa das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte, stand Südtirol am Scheideweg. Doch statt einer entschlossenen Positionierung hinterließen Passivität, Angst und mangelnde Führung ein politisches Vakuum, das von italienischen Kräften gefüllt wurde. Ein Rückblick auf ein entscheidendes Kapitel, in dem es den Südtirolern an revolutionärem Elan und einer klaren Strategie fehlte.

Als die Amerikaner bis zum Brenner vorrückten, fanden sie bereits eine unter italienischer Verwaltung stehende Provinz vor (Bild: Effekt Verlag).

Der Mai 1945 markierte eine Schlüsselphase für Südtirol, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Italien und Österreich hin- und hergeschoben wurde. Mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Rückzug der deutschen Wehrmacht entstand ein Machtvakuum, das viele als Gelegenheit sahen, Südtirols Zukunft neu zu verhandeln. Doch statt einer entschlossenen Widerstandsbewegung prägten Unsicherheit und Zögerlichkeit das Verhalten der Südtiroler Bevölkerung und ihrer politischen Vertreter.

Historiker und Zeitzeugen beschreiben die Region als unorganisiert, während italienische Befreiungskomitees (Comitati di Liberazione Nazionale, CLN) gezielt Positionen besetzten. Diese Umstände führten dazu, dass Südtiroler Interessen in dieser historischen Übergangsphase kaum vertreten wurden.

Das Versagen der Südtiroler Führung

Ein Hauptkritikpunkt ist die mangelnde Führung und Entschlossenheit der Südtiroler Widerstandsbewegung. Der Andreas-Hofer-Bund (AHB), der von Persönlichkeiten wie Hans Egarter gegründet wurde, setzte sich zwar gegen den Faschismus und Nationalsozialismus ein, blieb jedoch in entscheidenden Momenten passiv. Egarter, der als zentrale Figur des Widerstands angesehen wurde, agierte im Verborgenen und konnte die Bewegung weder koordinieren noch zu einer schlagkräftigen Kraft entwickeln.

Dr. Friedl Volgger, ein potenzieller Anführer der Bewegung, war zu dieser Zeit im KZ Dachau inhaftiert. Sein Fehlen wird als symbolisch für das Führungsdefizit beschrieben, das eine geeinte Position Südtirols verhinderte.

  • Hans Egarter (Bild: Effekt Verlag)

Angst und Zögerlichkeit

Neben fehlenden Führungspersönlichkeiten war die Angst vor Repressionen ein prägendes Merkmal der Südtiroler Gesellschaft. Die Bevölkerung zögerte, klare Positionen zu beziehen, und befürchtete Vergeltungsmaßnahmen durch Partisanen und die italienische Regierung. Historiker sprechen von einer „erschreckenden Kleingeistigkeit und Verwirrung“, die dazu führte, dass Südtirols Interessen in dieser entscheidenden Phase unverteidigt blieben.

Die Unsicherheit war so groß, dass deutsche Amtsträger und Beamte sogar noch kurz vor ihrem Abzug offiziell weiterarbeiteten, bevor sie durch italienische Funktionäre ersetzt wurden. Auch symbolische Aktionen wie das Hissen der österreichischen Flagge wurden nicht umgesetzt, was den Alliierten das Bild einer unentschlossenen Bevölkerung vermittelte.

Kritik aus Österreich: Verpasste Chancen

Österreichische Widerstandskämpfer wie Dr. Ludwig Steiner und Fritz Molden äußerten deutliche Kritik an der Untätigkeit der Südtiroler. Sie argumentierten, dass ein Volksaufstand oder eine klare Positionierung notwendig gewesen wären, um den Anschluss an Österreich zu sichern. Dr. Steiner war überzeugt, dass die Südtiroler ihre Gelegenheit verpasst hatten, während Molden bemängelte, dass wertvolle Zeit durch organisatorische Schwächen verschwendet wurde.

Diese Kritik wird durch den historischen Kontext gestützt: In den letzten Kriegstagen war die politische Bühne in Südtirol weitgehend leer, während italienische CLN-Vertreter ihre Machtpositionen ausbauten. Steiner und Molden sehen die Passivität der Südtiroler als einen der Gründe, warum die Region bei späteren Verhandlungen nicht zugunsten Österreichs berücksichtigt wurde.

  • Der junge Fritz Molden (Bild: Effekt Verlag)

Die Perspektive der Alliierten

Die Alliierten, insbesondere die Amerikaner, betrachteten Südtirol als Teil eines politischen Machtspiels zwischen Italien und Österreich. Sie suchten pragmatische Partner, die Stabilität garantieren konnten, und arbeiteten daher mit moderaten Gruppen wie dem Andreas-Hofer-Bund zusammen. Revolutionäre Aktionen, die das fragile Gleichgewicht gestört hätten, waren aus ihrer Sicht nicht erwünscht.

Fritz Molden, der als Verbindungsoffizier der Alliierten in Südtirol tätig war, beschrieb die Südtiroler als hoffnungsvoll, aber ohne klare Vision oder Plan. Er bemängelte, dass die damaligen Politiker nicht in der Lage gewesen seien, die Situation strategisch zu nutzen:

 

Ich persönlich glaube, dass [...] in der Zeit zwischen Anfang Mai und dem August 1945, als es den Italienern erst möglich war, die effektive Regierungsgewalt in den Provinzen Bozen und Trient wieder an sich zu ziehen, möglich gewesen wäre, Südtirol via facti wieder an Österreich anzugliedern. Die britischen und amerikanischen Truppen, die in Südtirol einmarschierten, hatten wenig Verständnis für die Expansionsgelüste der Italiener, die sei eben drei Jahre lang bekämpft hatten, hatten auch wenig Erfahrung mit der Provinz Südtirol und hätten wahrscheinlich eine resolute Aktion der Südtiroler Bevölkerung ganz einfach zur Kenntnis genommen. Es wäre dann bei den nachherigen Friedensverhandlungen wesentlich schwieriger gewesen, die Südtirolfrage so leichthin und unter Beibehaltung der Brennergrenze von St. Germain zu behandeln. Dass es zu der schnellen Aktion im Mai 1945 nicht gekommen ist, ist auf das Zögern der Südtiroler selbst zurückzuführen.

Fritz Molden sollte übrigens ebenso wie Helmut Heuberger in den 1960er-Jahren den Südtiroler Widerstand des “Befreiungsausschuss Südtirol” (BAS) unterstützen.

Fortsetzung folgt…

(Zur Vorgeschichte und zu vorherigen Artikeln hier entlang.)

  • Repression Band 1 (Bild: Effekt Verlag)

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2020. ISBN: 978-88-97053-68-2

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