Machtwechsel in Bozen
Nach dem Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 und der deutschen Besetzung ab dem 8. September 1943 wurden die Provinzen Südtirol, Trentino und Belluno zur sogenannten „Operationszone Alpenvorland“ zusammengefasst. Diese Zone unterstand nicht der faschistischen Marionettenregierung der Republik von Salò, sondern einem deutschen Kommissariat unter Gauleiter Franz Hofer. Der Einfluss der Deutschen war umfassend: Italienische Ortsnamen und Schilder wurden durch deutsche Bezeichnungen ersetzt, und die Verwaltung wurde rigoros germanisiert. Die deutsche Sprache wurde zur Amtssprache erhoben, und ein Sicherungs- und Ordnungsdienst (SOD) wurde eingerichtet, um Widerstände bereits im Keim zu ersticken.
Die Bevölkerung in Südtirol befand sich in einem Dilemma: Der Großteil der jungen Männer wurde in die deutsche Armee gezwungen, während sich viele, die den Dienst verweigerten, den Partisanen anschlossen oder in die Berge flohen, um der Zwangsrekrutierung zu entgehen. Lebensmittel und Vorräte wurden von den Deutschen beschlagnahmt, und die Bevölkerung litt unter ständigen Überfällen durch den nationalsozialistischen Sicherheitsdienst. Im Untergrund organisierten sich die Kommunisten und stellten eine treibende Kraft im Widerstand dar. Über Verbindungen zu anderen Städten wie Mailand übernahmen sie die Organisation der Versprengten und planten gezielte Aktionen gegen die Besatzungsmacht.
Die Entstehung der Partisanengruppen im Trentino und Belluno
In den angrenzenden Provinzen Trentino und Belluno formierten sich ebenfalls Widerstandsgruppen, die sich gegen die deutsche Besatzung auflehnten. Die Organisation dieser Partisanen war jedoch chaotisch und von internen Spannungen geprägt. Verschiedene politische Lager, darunter Kommunisten, Katholiken und Liberale, hatten unterschiedliche Vorstellungen über die künftige Zugehörigkeit und politische Zukunft der Region. Während einige die sofortige Befreiung durch militärische Aktionen forderten, setzten andere auf eine abwartende Strategie und hofften auf eine Befreiung durch die Alliierten. Dieser Konflikt zwischen aktiven Widerstandshandlungen und einer defensiven Haltung führte zu ständigen Spannungen innerhalb des Widerstands.
Zwei Widerstandsbewegungen in Südtirol: „Andreas Hofer Bund“ und das CLN
Neben den verstreuten Partisanengruppen im Trentino entstand in Südtirol im November 1943 der „Andreas Hofer Bund“, eine Widerstandsorganisation, die sich vor allem für die Autonomie Südtirols und den Schutz der Kultur und Sprache einsetzte. Unter der Führung von Kanonikus Michael Gamper und weiteren prominenten Persönlichkeiten aus der Region, verfolgte der Bund eine nationale und kulturelle Agenda, die darauf abzielte, die Identität Südtirols zu bewahren. Zeitgleich entstand das „Comitato di Liberazione Nazionale“ (CLN), das sich jedoch ebenfalls mit internen Konflikten auseinandersetzen musste. Während der Andreas Hofer Bund eng mit der lokalen Bevölkerung vernetzt war und eine Autonomie innerhalb eines deutschen oder unabhängigen Tirols anstrebte, verfolgte das CLN eine eher italienisch orientierte Befreiungsstrategie, die eine Wiedervereinigung mit Italien ins Auge fasste. Beide Organisationen waren jedoch das Ziel massiver Verfolgung durch die SS und die Gestapo.
Die deutsche Besatzung reagierte auf den wachsenden Widerstand mit brutalen Repressionen. NS-Gegner und mutmaßliche Partisanen wurden gefangen genommen und ohne Gerichtsverfahren in Konzentrationslager gebracht. Auch jüdische Mitbürger fielen der Verfolgung zum Opfer und wurden in Vernichtungslager deportiert. Manlio Longon, ein prominentes Mitglied des CLN, wurde im Dezember 1944 zusammen mit anderen Widerstandskämpfern verhaftet und von der SS ermordet. Dieser Vorfall schwächte die italienische Widerstandsbewegung in Südtirol erheblich, zeigte jedoch auch den unermüdlichen Einsatz vieler Bürger, die bereit waren, ihr Leben für die Freiheit zu opfern.
Geopolitische Interessen der Alliierten und die Zukunft Südtirols
Die Alliierten sahen in Südtirol eine strategisch wichtige Region und waren bestrebt, Italien an den Westen zu binden. Am 29. April 1945 traf der SS-General Karl Wolff geheime Vereinbarungen mit den Alliierten über die Kapitulation der deutschen Truppen in Italien. Die Alliierten, insbesondere die Amerikaner und Engländer, sahen jedoch keine Möglichkeit, Südtirol an Österreich zurückzugeben, da sie Italien als Bollwerk gegen den Bolschewismus sichern wollten. Diese Entscheidung hatte weitreichende Folgen für Südtirol, das sich zwar von der deutschen Besatzung befreien konnte, jedoch nicht die erhoffte Autonomie erreichte. Erich Amonn, ein früherer Vorsitzender der Südtiroler Volkspartei, schrieb später, dass die Alliierten bereit waren, Südtirol im Interesse einer stabilen Nachkriegsordnung Italien zu überlassen, um Europa vor dem Kommunismus zu schützen.
Fortsetzung folgt…
Info: Zum vorherigen Kapitel und zur Vorgeschichte hier entlang.
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ von Dr. Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2020. ISBN: 978-88-97053-68-2