von ih 05.11.2024 06:08 Uhr

Schicksalswahl in den USA: Heute wird gewählt

Tag der Entscheidung in den USA: Nach einem monatelangen Wahlkampf entscheiden die US-Bürger am Dienstag endgültig darüber, ob sie erstmals in der fast 250-jährigen Geschichte der Vereinigten Staaten eine Frau ins höchste Staatsamt wählen – oder ob es zu einem Comeback von Ex-Präsident Donald Trump kommt.

Ex-Präsident kehrt für Wahlkampfauftritt nach Butler zurück - Bild: APA/AFP

Umfragen sagen Kopf-an-Kopf-Rennen bevor

Einer Berechnung der University of Florida haben bis Montag schon mehr als 78 Millionen Menschen gewählt. Bei der Wahl vor vier Jahren wurden insgesamt 160 Millionen Stimmen abgegeben, es war die höchste Wahlbeteiligung seit mehr als einem Jahrhundert. Wegen der starken Polarisierung wurde auch diesmal eine hohe Wahlbeteiligung erwartet. Die ersten Wahllokale sollten bereits um Mitternacht Ortszeit (6.00 Uhr MEZ) in New Hampshire öffnen. Schließen sollten die ersten Wahllokale erst um Mitternacht MEZ – in den Staaten Kentucky und Indiana. Einen Sieger dürfte es wohl nicht vor 5.00 Uhr MEZ geben – vor vier Jahren hatte es wegen der verzögerten Auszählung von Briefwahlstimmen in Pennsylvania fünf Tage gedauert, ehe der Sieg des Demokraten Joe Biden über Trump feststand.

In den Umfragen lieferten sich Harris und Trump bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Fokus lag auf den sogenannten Swing States, sieben besonders umkämpften Bundesstaaten mit völlig offenem Ausgang. Der Grund dafür ist, dass das Staatsoberhaupt in den USA nicht direkt gewählt wird, sondern von Wahlleuten. Diese werden über die Bundesstaaten vergeben, wobei fast überall das „Winner takes it all“-Prinzip zur Anwendung kommt. Der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Wählerstimmen erhält alle Wahlleute des Staates zugeteilt. Insgesamt gibt es 538 Wahlleute-Stimmen zu vergeben. Für einen Sieg sind somit mindestens 270 Wahlleute nötig.

Je bevölkerungsreicher ein Bundesstaat ist, umso mehr Wahlleute stellt er zur Verfügung. Sollte die Wahl wie erwartet laufen, dann dürfte Harris aus den Bundesstaaten, die als Hochburgen der Demokraten gelten, 226 Wahlleute-Stimmen bekommen. Trump könnte mit 219 Stimmen rechnen. Übrig blieben dann noch die 93 Stimmen in den sieben Swing States. Den größten Preis hat Pennsylvania zu vergeben, hier lassen sich auf einen Schlag 19 Wahlleute holen.

Wenige US-Staaten entscheidend

Im Rennen ums Weiße Haus kämpften Harris und Trump am Montag (Ortszeit) noch einmal um Stimmen in möglicherweise wahlentscheidenden Bundesstaaten. Harris reiste für vier Auftritte in den wichtigen Swing State Pennsylvania, Trump zusätzlich auch noch nach North Carolina und Michigan, wo sich ebenfalls ein enges Rennen abzeichnet. Es ist die letzte Chance der Kandidaten, eine Botschaft an ihre Wähler zu richten, bevor über das Präsidentenamt und die künftigen Machtverhältnisse im US-Parlament entschieden wird. Auch für Europa ist es eine Schicksalswahl.

Da in den weitaus meisten Bundesstaaten absehbar ist, welche Partei sich dort den Sieg sichern wird, konzentrierten sich Demokraten und Republikaner im Wahlkampf vor allem auf die wenigen Swing States mit noch offenem Ausgang. Als potenziell wahlentscheidend gilt vor allem Pennsylvania, wo es 19 Stimmen von Wahlleuten zu holen gibt – mehr als in jedem anderen Schlüsselstaat. In Umfragen liegen die derzeitige Vizepräsidentin und der frühere Präsident gleichauf.

Harris richtete in ihren Ansprachen eine Botschaft der Einheit an noch unentschlossene Wähler und Anhänger der Republikaner, denen Trump zu extrem sein könnte. „Ich halte Menschen, die anderer Meinung als ich sind, nicht für Feinde“, sagte die 60-Jährige in der Stadt Allentown. Sie wolle Gemeinsamkeiten finden – und Lösungen, die auf gesundem Menschenverstand beruhen. „Wir kämpfen gerade um unsere Demokratie“, rief sie ihren Unterstützern zu. Die Menge skandierte in Sprechchören mit Blick auf die erste Trump-Präsidentschaft: „Wir gehen nicht zurück!“

Fast zur gleichen Zeit rief das Publikum des Republikaners in der nur 60 Kilometer entfernten Stadt Reading: „Trump! Trump! Trump!“ Der Ex-Präsident kündigte unter anderem abermals die größte Abschiebung der Geschichte an. Die Behauptung, dass die USA von kriminellen Migranten überrannt würden, ist ein zentraler Punkt seines Wahlkampfs. Trump gab sich sicher, dass Pennsylvania ihm den Sieg bringen werde. „Ich habe vier Jahre auf diesen Tag gewartet“, sagte der 78-Jährige. Er hatte 2020 die Wahl gegen den heutigen Amtsinhaber Joe Biden verloren und war auch in Pennsylvania unterlegen, erkennt seine Niederlage aber bis heute nicht an.

Es steht viel auf dem Spiel

Trump zeichnet seit Tagen in langen Reden mit düsterer Rhetorik das Bild von einer Nation im Niedergang, die nur er retten könne. Harris dagegen fasst sich kurz, spricht gezielt Wählergruppen wie die GenZ, also die Unter-30-Jährigen, Latinos und Menschen mit arabischen Wurzeln an. In einer Rede erwähnte sie Trump zuletzt überhaupt nicht mehr namentlich.

Bei der Abstimmung am Dienstag steht viel auf dem Spiel. Es geht nicht nur um die innenpolitische Stabilität des Landes, sondern auch um die zukünftige Rolle der USA in internationalen Bündnissen, die transatlantische Zusammenarbeit und den Umgang mit dem Machtstreben Russlands und Chinas – so muss die Ukraine bei einem Sieg Trumps um die wichtige Unterstützung der USA im Krieg gegen Russland bangen. Die Verflechtungen Europas mit den Vereinigten Staaten sind im wirtschaftlichen Bereich riesig und haben im Verteidigungsbereich sogar existenzielle Dimensionen.

Die Wähler in den USA können ihre Stimmen auf unterschiedlichen Wegen abgeben, nicht nur am 5. November direkt im Wahllokal. Mancherorts war eine frühzeitige Stimmabgabe möglich, außerdem konnte per Briefwahl abgestimmt werden. Jeder Bundesstaat hat eigene Regeln für Fristen und Identitätsnachweise. Auch die Technik variiert – von klassischen handschriftlichen Stimmzetteln bis zu Wahlcomputern.

Noch kein Sieger am Wahlabend?

Die meisten Experten gehen davon aus, dass es in der Wahlnacht noch keinen Sieger geben wird – ausgeschlossen ist das aber nicht. 2020 wurde Joe Biden erst am Samstag zum Sieger erklärt, also an Tag vier nach dem Wahldatum. Von Trumps Sieg 2016 hatten viele US-Amerikaner dagegen schon beim Aufstehen in der Früh nach der Wahl erfahren.

apa/ut24

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