von gk 19.10.2024 17:00 Uhr

Ein junger Mann und sein Kampf um die Identität seines Volkes

In einem kleinen Südtiroler Bergdorf wächst Georg Klotz inmitten kultureller Entwurzelung und politischer Repression durch den Faschismus auf. Der Weg führt ihn vom lebhaften Jungen zum rebellischen Jugendlichen, der für die Identität seines Volkes, seiner Sprache und Bräuche einsteht.

Georg Klotz als Zwanzigjähriger, kurz vor dem Militär- und Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht (Bild: Effekt Verlag).

Im nächsten Teil der Geschichte (hier gehts zum vorherigen Bericht) erfahren wir, wir es Georg Klotz während der faschistischen Repression in seiner Heimat erging und welche Entwicklung er persönlich nahm.

Die Welt, in der Georg Klotz heranwächst, sieht so aus: Der Tiroler Ort, in dem er geboren ist, und das Land tragen einen aufgezwungenen italienischen Namen. Sein Taufname und die Namen seiner Eltern und Geschwister in den amtlichen Büchern sind italienisch. Im Haus und beim Spielen mit Gleichaltrigen wird die Sprache der Mutter und des Vaters, der Passeirer Dialekt, gesprochen. Mit sechs Jahren schult er ein, er hat noch Glück. Es ist das letzte Jahr, Jörgs erstes Schuljahr, in dem in Walten der erfahrene Dorflehrer Johann Augscheller unterrichten darf. In kleinen Ortschaften, vor allem in Bergdörfern, sind die deutschen Lehrer ein Jahr länger geduldet als im Tal, weil die Faschisten nicht genug eigene Lehrer haben. Das sollte sich jedoch schnell ändern. Bereits im darauffolgenden Jahr wird der Lehrer Augscheller entlassen. An seine Stelle kommt eine italienische Lehrerin. Kein vertrauter Laut mehr in der Dorfschule! Die neue Lehrerin versteht nicht ein Wort Deutsch. Die Schüler verstehen kein Italienisch. Es vergehen viele Wochen, bis die Schüler einigermaßen verstehen, was ihnen die Lehrerin sagt. Als die endlich soweit sind, fangen die Spannungen erst richtig an. Plötzlich wird in der Schule all das als primitiv und schlecht dargestellt, was den Kindern vertraut und lieb ist. Es wird nur noch italienisch geredet, gesungen und gebetet. Kein deutsches Gedicht mehr, keine Geschichte in der Muttersprache, keine vertrauten Bräuche und Feste! Jörgs Vater, Anton Klotz, hatte als Kaiserjäger gegen die italienischen Eindringlinge erfolgreich gekämpft. Er mag sie nicht, weil sie jetzt, obwohl sie im Kampf keinen Tiroler Boden erobert hatten, die Herren im Land spielen. In seine Schmiede kommen viele Leute, das Gespräch wird immer wieder auf die verhasste italienische Herrschaft gebracht und was man dagegen tun könnte.

Der "Herr Jörgl"

Das Bergdorf Walten ist eine eigene Kuratie, ein mit der größeren katholischen Pfarrei, in diesem Fall St. Leonhard, verbundener Außenbezirk. 1915 kommt Herr Georg Duregger aus Vöran als Kurat (katholischer Geistlicher in der Seelsorge) nach Walten. Mit seiner bescheidenen, aber entschiedenen Art verschafft er sich Ansehen und erobert die Herzen seiner Pfarrkinder, für die er der „Herr Jörgl“ ist. Eigentlich ist er ein Gelehrter, ein Fachmann für alte Sprachen, vor allem für das Hebräische. Er übersetzt die griechischen und lateinischen Klassiker fließend aus dem Stegreif, ohne Hilfe eines Lexikons ins Deutsche. Seine besondere Liebe gilt den biblischen Texten in Originalsprache. Da er die Seelsorge und das Leben bei den einfachen Menschen der Karriere als Probst oder anderen Würden in der Kirchenhierarchie vorzog, hatte er sich für Walten entschieden. Er führt ein karges Leben und hat viel Elend gesehen. Er steht am Kriegsende 1918 vielen geschwächten Soldaten, die über den Jaufenpass zu Fuß heim nach Nordtirol, Bayern oder Tschechien wollen, bei. Viele von ihnen muss er begraben.

Nach ihm bekommt der Jüngste im Schmiedhaus seinen Namen, und Jörg wird ihm besonders ans Herz wachsen. Der „Herr Jörgl“ geht nach dem Verbot der deutschen Schule selbst von Haus zu Haus, um den Kindern einige Grundkenntnisse des Lesens und Schreibens in der deutschen Muttersprache beizubringen. Er wird von den Faschisten eine zeitlang eingesperrt und muss vorsichtig sein, aber er tut auch später, was er kann. Er wird ein geistiger Förderer des heranwachsenden Schützlings Georg Klotz, der leicht lernt und gern liest, alles, was ihm in die Hände fällt. Außer dem „Herrn Jörgl“ und den aufgeschlossenen Eltern ist da noch der alte Pircher-Schuster, sein Nachbar, als Gesprächspartner. Der erzählt dem aufgeschlossenen Buben von Schützenwesen, von Andreas Hofer und den Schützenfesten und Ausrückungen, von den Bergfeuern und allem, was seit 1919 verboten ist. Er klärt ihn über die Bedeutung der Holepfannfeuer am ersten Fastensonntag auf. Die Dorfgemeinschaft entzündet bei Einbruch der Dunkelheit ein großes Feuer, um an die Schrecken der Pestzeiten zu erinnern. Wegen des vielen Schnees und der beschwerlichen Wege Ende Februar/Anfang März ist es sehr mühsam, Holz für das große Feuer zu sammeln. Diese Mühen wurden von den jungen Burschen gern in Kauf genommen, doch jetzt ist auch das verboten.

Erste "Bekanntschaft" mit den italienischen Ordnungskräften

Solche Gespräche und Erzählungen wühlen den jungen Schmiedbuben auf. So ein Feuer am Holepfannsonntag muss wieder leuchten, die alten, vertrauten Bräuche sollen nicht abkommen, ist sein Vorsatz. Also sammelt er mit Nachbarsbuben trockenes Holz und bringt es auf eine Anhöhe über der Jaufenstraße, von wo aus man das Feuer bis Meran sehen kann. Es ist ein großes Erlebnis, als endlich lichterloh brennt und seinen Schein ins Tal wirft. Es wird auch von den Carabinieri im Hauptort St. Leonhard gesehen. Bei den Nachforschungen kommen sie auf Jörg Klotz, den zwölfjährigen Schüler. Im Gegensatz zu den anderen gibt er unumwunden zu, das Holepfannfeuer entzündet zu haben. Es sei ein alter Tiroler Brauch und der solle fortleben, rechtfertigt er sich. Die Carabinieri verprügeln ihn derart, dass er nicht mehr gehen kann. Sein Vater muss ihn nach Hause tragen. Es ist nicht so sehr der körperliche Schmerz, der Jörg zusetzt, sondern das Gefühl der Ohnmacht und der Unterdrückung. Wie kommen diese Fremden, die nicht einmal seine Sprache sprechen, dazu, ihn zu verprügeln, da er nur das getan hatte, was die Menschen, die er mag, für wichtig und richtig halten. Es ist sein Recht und seine Pflicht, diesen Brauch fortzuführen. Er hat nichts Böses oder Unrechtes getan!

Nach dieser „Bekanntschaft“ mit den Carabinieri kommt er noch mehr ins Grübeln. Noch einmal würde er sich nicht erwischen und so zurichten lassen. Überhaupt sollten diese Walschen keine Tiroler mehr zusammenschlagen dürfen, nur weil er zu seinem Brauch und Väterglauben steht. Ihn würden sie jedenfalls nicht mehr kriegen! Gegen solche brutale Gewalt hilft nur die Gegenwehr, am besten mit einer Waffe. Was Waffen sind, weiß Jörg von klein auf. Trotz faschistischer Verbote ist immer ein Schrotgewehr im Haus, in der Schmiede oder im Heustadel versteckt. Das Jägern und Wildern steckt den Klötzen im Blut, vor allem seinen beiden älteren Brüdern. Wenn es Fleisch gibt beim Schmied, dann haben dies der Jos und der Toni besorgt.

Vom Schüler zum Schmied

Jörg schult im Juni 1933, wie gesetzlich vorgesehen, mit 14 Jahren aus. Der Bub hätte das Zeug zum Weiterstudium, aber das Geld reicht hinten und vorn nicht. Er ist ein aufgeweckter Schüler, und seine häufigen Eintragungen sind nicht auf mangelndes Interesse oder ungenügende Mitarbeit zurückzuführen, im Gegenteil. Es ist sein Widerspruchsgeist, den die Lehrerin glaubt vermerken zu müssen. Jörg hat zu viel über die Geschichte Tirols und Österreichs gelesen, als dass er nicht wüsste, wie viele Unwahrheiten die faschistische Lehrerin darüber sagt. Und da kann er nicht still sein. Auch in den anderen Fächern wie Rechnen, Geographie und Sprache tut er sich leicht. Die Mitschüler können nicht begreifen, dass er in den Unterrichtsstunden in der Schule nebenher die Hausaufgaben macht. Oft verpetzen sie ihn bei der Lehrerin, die ihn deswegen aber nie rügt oder ins Klassenbuch einträgt. Sie zuckt nur die Achseln und meint: „Ja, wenn er das schafft …“ Auch eine technische Schule käme für ihn in Frage. Er müsste nach Meran in ein Internat, und die Eltern können das nicht bezahlen. Auch der „Herr Jörgl“ kann das Geld nicht aufbringen, obwohl er sich darum bemüht. Da sein Jüngster handwerklich sehr geschickt ist, nimmt ihn Vater Klotz in die Schmiedelehre; Jörg erlernt das Handwerk und arbeitet mit Freude.

Die Hoffnung auf Befreiung

In den wirtschaftlichen Krisenjahren wird aber auch in der Schmiede in Walten die Arbeit immer weniger. Was zu tun ist, kann der Vater allein schaffen. Also beschließt Jörg, sich um eine andere Arbeit umzusehen. Er verdingt sich als Knappe im Bergwerk am Schneeberg. Danach ist er als Holzfäller tätig. Von den Brüdern lernt Jörg schließlich das Jagen. Er hilft ihnen ab und zu beim Wildern. Am liebsten aber liest er, über den Büchern vergisst er die Zeit. Das erscheint der Mutter übertrieben und ungesund, sie fängt an, sich Sorgen zu machen um ihren Jüngsten. Mehrmals fordert sie ihn auf, doch mit den jungen Leuten zum Tanz oder zu einer Unterhaltung zu gehen. Das interessiert den Jörg aber nicht.

Immer häufiger werden die Gespräche mit dem „Herrn Jörgl“, der Jörg anvertraut, dass er die alte Schützenfahne vor dem Zugriff der Faschisten gerettet und versteckt hat. Sollte die Zeit kommen, würde er sie ihm übergeben, damit er die gute und gerechte Sache fortführe. Er kennt seinen Schützling, weiß von dessen Verschwiegenheit und Interesse am Schützenwesen, dessen Tiroler Gesinnung. Sie verstehen einander sehr gut und diskutieren immer angeregter über die politische Entwicklung im deutschen Reich. Jörg nimmt die Nachrichten gierig auf und begeistert sich an den Meldungen über den Aufbau im Reich. Die Nachrichten über Hitlers Erfolge überschlagen sich. Die Ankündigung, alle unterdrückten Deutschen von ihrem Joch befreien zu wollen, wecken in ganz Südtirol Hoffnungen. Der junge, ungeduldige Jörg nimmt diese Nachrichten anders auf als der „Herr Jörgl“. Vor allem in der Einschätzung der Politik Hitlers und dessen wahrer Absicht mit Südtirol gehen ihre Meinungen auseinander. Jörg ist überzeugt, Hitler werde Südtirol vom faschistischen Joch befreien und es Deutschland anschließen. Der „Herr Jörgl“ sieht für Südtirol durch die Nationalsozialisten nichts Gutes voraus. Hitler ist in seinen Augen ein gottloser Mensch, dem es nur um Macht und Einfluss geht und der das Christentum ausrotten will. Er ist traurig und besorgt, als ihm Jörg eröffnet, er wolle sich freiwillig zur deutschen Wehrmacht melden.

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, der Biografie von Dr. Eva Klotz über ihren Vater.

Klotz, Eva: Georg Klotz. Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols. Eine Biografie. Neumarkt an der Etsch: Effekt Verlag. 2002. ISBN: 3-85485-083-2

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