von red 12.10.2024 14:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 41)

1703 – Der „Bayerische Rummel“ in Tirol der Herausgeber Martin P. Schennach und Richard Schober bietet einen tiefgründigen und facettenreichen Einblick in die historischen Ereignisse rund um den sogenannten Bayerischen Rummel. Das Werk basiert auf den Vorträgen und Diskussionen eines Symposiums und stellt eine bedeutende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem bayerischen Einfall in Tirol im Jahre 1703 dar, während des Spanischen Erbfolgekriegs. Dieser historische Moment, in dem Tirol von bayerischen Truppen bedroht wurde, ist sowohl aus militärgeschichtlicher als auch gesellschaftlicher Sicht von großer Bedeutung für die regionale Geschichte. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Beziehung zwischen Bayern und Tirol

Der Sammelband ist in mehrere thematische Abschnitte unterteilt, die verschiedene Aspekte des Bayerischen Rummels beleuchten. Josef Riedmann eröffnet das Werk mit einer Analyse der bayerisch-tirolischen Beziehungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hier wird die historische Grundlage für die Ereignisse von 1703 gelegt, indem die politischen und kulturellen Verflechtungen der beiden Regionen skizziert werden. Martin P. Schennach widmet sich dem Tiroler Landesverteidigungswesen und zeigt, wie sich Tirol bis 1703 militärisch organisierte. Dies gibt dem Leser einen umfassenden Einblick in die strategische und logistische Situation Tirols vor dem Angriff, und macht deutlich, wie sich das Land auf äußere Bedrohungen vorbereitete. Leopold Auer thematisiert die Rolle Bayerns in der Anfangsphase des Spanischen Erbfolgekriegs und ordnet den Bayerischen Rummel in den größeren europäischen Kontext ein. Diese Perspektive ist besonders wertvoll, da sie zeigt, wie stark die lokalen Ereignisse mit den geopolitischen Entwicklungen Europas verknüpft waren.

Bayerischer Rummel als Bedrohung für Tiroler Bevölkerung

Ein Höhepunkt der Publikation ist Franz-Heinz Hyes Beitrag, der das Jahr 1703 aus einer Tiroler Perspektive beleuchtet und den Bayerischen Rummel als eine existenzielle Bedrohung für die Tiroler Bevölkerung beschreibt. Er liefert präzise Anmerkungen zu den politischen und militärischen Rahmenbedingungen und verknüpft die Geschehnisse mit der regionalen Identitätsbildung. Josef Nössing fokussiert sich auf die Südtiroler Städte und Gerichte und deren Beitrag zum erfolgreichen Abwehrkampf. Hier wird deutlich, wie stark auch die zivilen Strukturen in die Verteidigung einbezogen waren und welche Rolle lokale Institutionen im Krisenmanagement spielten. Ein besonders aufschlussreicher Beitrag stammt von Franz Mathis, der die Auswirkungen des Bayerischen Rummels auf die Tiroler Bevölkerung untersucht. Seine Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Schäden vermittelt ein eindrucksvolles Bild von den Verwüstungen und Entbehrungen, die der Konflikt verursachte. Diese Perspektive ergänzt die rein militärhistorischen Betrachtungen um eine wichtige soziale Dimension.

Die bayerische Sicht der Geschehnisse

Reinhard Heydenreuter bereichert den Sammelband durch seine Darstellung der Ereignisse aus bayerischer Sicht. Seine Auswertung bayerischer Quellen gibt dem Leser eine ausgewogene und differenzierte Sichtweise auf das Geschehen und zeigt, dass die bayerische Seite den Konflikt in einem anderen Licht wahrnahm. Ein ungewöhnlicher, aber faszinierender Beitrag stammt von Florian Schaffenrath und Stefan Tilg, die in einem literaturwissenschaftlichen Ansatz die Epitome rerum Oenovallensium 1703 analysieren. Hierbei handelt es sich um eine literarische Verarbeitung des Bayerischen Rummels, in der die Geschehnisse mit der antiken Mythologie verknüpft werden – eine außergewöhnliche Perspektive, die die kulturellen und literarischen Reflexionen des Ereignisses in den Fokus rückt.

Die Beiträge im Sammelband sind sehr gut recherchiert und bieten sowohl fachlich fundierte Analysen als auch wertvolle Einblicke in spezifische Aspekte der bayerisch-tirolischen Auseinandersetzungen von 1703. Dabei wird deutlich, dass der Bayerische Rummel nicht nur eine militärische, sondern auch eine tiefgreifende gesellschaftliche Krise darstellte, deren Folgen die Region nachhaltig prägten. Besonders hervorzuheben ist, wie es den Autoren gelingt, das lokale Geschehen in den größeren europäischen Kontext des Spanischen Erbfolgekriegs zu integrieren.

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Der Sammelband zeigt eindrucksvoll, wie vielschichtig der Bayerische Rummel war und wie er in verschiedenen Teilen Tirols unterschiedlich wahrgenommen und bewältigt wurde. Diese differenzierte Sichtweise trägt wesentlich zum Verständnis der regionalen Geschichte bei und verdeutlicht, dass historische Ereignisse selten monolithisch sind, sondern stets aus vielen Perspektiven betrachtet werden müssen.

Umfassende Darstellung eines wichtigen Momentes in der Tiroler Geschichte

Die Aufsätze zeichnen sich durch eine hohe wissenschaftliche Qualität aus. Sie basieren auf fundierter Quellenarbeit, wobei sowohl Archivmaterial als auch zeitgenössische Berichte und literarische Werke berücksichtigt werden. Der Stil der Autoren ist klar und präzise, wobei die fachliche Tiefe stets gewahrt bleibt, ohne jedoch unzugänglich zu wirken. Insgesamt ist der Sammelband ein wertvolles Werk für Historiker und Interessierte, die sich mit der Geschichte Tirols oder dem Spanischen Erbfolgekrieg auseinandersetzen möchten. Durch die Vielzahl an Perspektiven und Themen bietet er eine umfassende und ausgewogene Darstellung des Bayerischen Rummels, der als wichtiger Moment in der Tiroler Geschichte beleuchtet wird.

Der Sammelband ist eine gelungene Sammlung von Fachbeiträgen, die nicht nur die militärischen und politischen, sondern auch die sozialen und kulturellen Aspekte dieses Ereignisses beleuchten. Die wissenschaftliche Tiefe, gepaart mit einem breiten Themenspektrum, macht dieses Werk zu einer unverzichtbaren Lektüre für jeden, der sich für die Geschichte Tirols im frühen 18. Jahrhundert interessiert. Die Herausgeber haben mit diesem Band einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Bayerischen Rummels geleistet und gleichzeitig neue Perspektiven auf dieses oft vernachlässigte Kapitel der Geschichte eröffnet.

von Andreas Raffeiner
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Martin P. Schennach/Richard Schober (Hrsg.), 1703, Der „Bayerische Rummel“ in Tirol. Akten des Symposiums des Tiroler Landesarchivs, 28. – 29. November 2003 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs, Bd. 10), Innsbruck 2005.

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