von red 04.10.2024 14:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 33)

Die Ladiner. Eine Minderheit in der Minderheit von den Herausgebern Peter Hilpold und Christoph Perathoner ist ein Sammelband und bietet eine eindrucksvolle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Minderheitenschutz, insbesondere der ladinischen Bevölkerung in Südtirol, dem Trentino und Venetien. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Das Buch stellt eine interdisziplinäre Sammlung von Beiträgen dar, die verschiedene rechtliche, historische, sprachliche und gesellschaftliche Aspekte des Ladiner-Schutzes aufgreifen und damit das komplexe Verhältnis zwischen einer Minderheit innerhalb einer größeren Minderheit beleuchten.

Internationaler Rahmen als völkerrechtliche Grundlage

Der Eröffnungsbeitrag von Peter Hilpold legt den internationalen Rahmen dar, indem er den Schutz von Minderheiten im Völkerrecht untersucht. Hilpold gelingt es, das Spannungsfeld zwischen universellen Prinzipien des Minderheitenschutzes und den spezifischen Anforderungen an den Schutz der Ladiner aufzuzeigen. Sein Beitrag bietet eine solide völkerrechtliche Grundlage für die weiteren Ausführungen und betont, dass die Existenz von Minderheiten innerhalb von Minderheiten eine besondere Herausforderung für bestehende Rechtsstrukturen darstellt.

Situation in Südtirol: Mit Autonomie verknüpft

Christoph Perathoner konzentriert sich auf die Situation der Ladiner in Südtirol und bietet eine detaillierte Analyse der rechtlichen Instrumente, die zum Schutz dieser sprachlichen Minderheit eingesetzt werden. Seine Ausführungen verdeutlichen, dass der Schutz der Ladiner eng mit der Autonomie Südtirols und den dort geltenden Minderheitenrechten verknüpft ist. Er zeigt die Fortschritte auf, verweist aber auch auf bestehende Lücken und Herausforderungen, die insbesondere im Hinblick auf die Sprachförderung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu meistern sind.

Ladinerschutz in Italien

Besonders bemerkenswert ist der Beitrag von Roland Riz, der den verfassungsrechtlichen Rahmen des Ladinerschutzes in Italien beleuchtet. Riz bringt ein profundes Wissen über das italienische Verfassungssystem ein und verdeutlicht, wie der Minderheitenschutz auf nationaler Ebene ausgestaltet ist. Sein Beitrag hebt den politischen und juristischen Kontext hervor, in dem sich die Ladiner als Minderheit bewegen, und vermittelt einen tiefen Einblick in die rechtlichen Mechanismen, die ihren Schutz gewährleisten sollen.

Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis

Siegfried Brugger und Theodor Rifesser beschäftigen sich mit der praktischen Umsetzung des Minderheitenschutzes im italienischen Parlament und im Bildungssystem. Beide Beiträge sind besonders wertvoll, da sie die Diskrepanz zwischen theoretischen Rechtsvorgaben und der Praxis aufzeigen. Rifessers Ausführungen zur ladinischen Schule sind dabei besonders erhellend, da sie die aktuellen Herausforderungen und zukünftigen Perspektiven für die Bildung der Ladiner eindrucksvoll darlegen.

Ein Vergleich mit der Schweiz

Einen besonders interessanten Beitrag liefert Daniel Thürer, der das Verhältnis von Recht und Sprache im schweizerischen Kontext und insbesondere in Graubünden analysiert. Thürer erweitert den Fokus der Studie und bietet wertvolle Vergleichsperspektiven für den Ladinerschutz in der Schweiz und Italien. Seine vergleichende Analyse zeigt, wie unterschiedlich nationale Kontexte den Schutz und die Förderung von Minderheitensprachen beeinflussen.

Ladiner und ihre Identität

Albert F. Reiterer und Lois Craffonara befassen sich mit postmodernen Identitätskonzepten und der ladinischen Sprache. Craffonara liefert eine fundierte sprachwissenschaftliche Analyse, die die komplexen sprachlichen Realitäten der Ladiner verdeutlicht. Sein Beitrag ist besonders aufschlussreich, da er die Sprachvielfalt und die sprachlichen Herausforderungen, denen die Ladiner gegenüberstehen, detailliert darstellt. Fabio Calliari rundet die Studie mit einer Untersuchung der ladinischen Sprachgruppenzugehörigkeit im Nonstal und am Sulzberg ab. Seine Überlegungen sind besonders wertvoll, da sie zeigen, wie historisch und geografisch bedingte Faktoren die Identität und die sprachliche Zugehörigkeit der Bevölkerung prägen.

Insgesamt zeichnet sich das Werk durch seine Vielschichtigkeit aus. Das Herausgeberduo Hilpold und Perathoner hat es geschafft, ein breites Spektrum an wissenschaftlichen Perspektiven zusammenzubringen, die das Thema des Minderheitenschutzes umfassend und tiefgehend behandeln. Die Beiträge sind sorgfältig recherchiert, klar strukturiert und miteinander verknüpft, sodass ein kohärentes Bild entsteht, das sowohl die rechtlichen als auch die gesellschaftlichen und sprachlichen Dimensionen des Ladinerschutzes beleuchtet.

Die Veröffentlichung ist eine wertvolle Ressource für Historiker, Heimatkundler, Juristen und politische Entscheidungsträger, die sich mit dem Schutz von Minderheiten beschäftigen. Sie zeigt eindrucksvoll, dass der Schutz einer Minderheit in der Minderheit eine besonders anspruchsvolle Aufgabe ist, die kontinuierliche rechtliche, gesellschaftliche und politische Anstrengungen erfordert. Besonders hervorzuheben ist die einfühlsame Art, mit der die Autoren das kulturelle Erbe und die Identität der Ladiner respektieren und in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellen.

von Andreas Raffeiner
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Peter Hilpold/Christoph Perathoner (Hg.), Die Ladiner. Eine Minderheit in der Minderheit, Bozen [u. a.] 2005.

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