von red 17.09.2024 14:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 16)

Ungarn in Tirol von Alexandra Haas beschäftigt sich mit der Situation ungarischer Jugendlicher, die nach der gewaltsamen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes von 1956 nach Tirol flüchteten. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Das zu besprechende Buch, das 2008 veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit einem weniger bekannten Abschnitt der Nachkriegsgeschichte Österreichs und Tirols. Die Autorin beginnt mit einem historischen Überblick über die Geschehnisse in Ungarn von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zur Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands von 1956. Die ersten Kapitel bieten einen detaillierten Kontext, der die politischen und sozialen Umstände darlegt, die zu den großen Flüchtlingswellen aus Ungarn führten. Die Fluchtbewegungen, die nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstands einsetzten, betrafen viele Ungarn, von denen ein großer Teil nach Österreich, insbesondere nach Tirol kam.

Ungarische Schulen in Tirol

Das zentrale Thema des Buches von Alexandra Haas ist die Situation ungarischer Jugendlicher, die nach Tirol flüchteten. Die Verfasserin schildert die Gründung und das Leben in den ungarischen Mittelschulen in Tirol, wie das Ungarische Realgymnasium in Innsbruck und das Gymnasium in Grän. Besondere Aufmerksamkeit kommt auf diese Art den Erfahrungen und Erinnerungen der Flüchtlinge zuteil; diese werden in Interviews und biografischen Skizzen lebendig. Diese persönliche Perspektive verleiht dem zu rezensierenden Werk eine emotionale Tiefe, die über reine Fakten hinausgeht.

Herausforderungen und Schwierigkeiten der ungarischen Flüchtlinge

Haas’ Buch ist eine wertvolle Ergänzung zur Flüchtlings- und Migrationsforschung in Österreich. Es zeichnet sich durch seine intensive Auseinandersetzung mit den individuellen Lebenswegen der ungarischen Flüchtlinge aus und beschreibt dabei auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen diese Menschen bei ihrer Integration in die Tiroler Gesellschaft gegenüberstanden. Von großem Interesse ist die Darstellung der ungarischen Mittelschulen, die einen bedeutsamen kulturellen und bildungspolitischen Beitrag zur Erhaltung der ungarischen Identität leisteten.

Spannungen zwischen Erhalt der Kultur und Integration in fremde Gesellschaft

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Erinnerungen an das Leben unter sowjetischer Besatzung in Ungarn und den gefährlichen Fluchtversuchen, welche die Betroffenen unternahmen, um der Unterdrückung zu entkommen. Die Berichte von Dr. Georg Szentkereszty und anderen einstigen Flüchtlingen veranschaulichen die Spannungen zwischen der Bewahrung der ungarischen Kultur und der Erfordernis, sich in einer neuen fremden Gesellschaft zu integrieren.

Der Autorin gelingt es, durch akribisch genaue Recherche und die Einbeziehung persönlicher Erinnerungen ein sehr lebendiges Bild dieser Zeit zu zeichnen. Ihr Werk trägt keinesfalls bloß zur Dokumentation eines wichtigen Abschnitts der ungarischen und österreichischen Geschichte bei, sondern wirft überdies auch ein Licht auf die universellen Herausforderungen von Flucht und Integration.

Alles in allem stellt die zu rezensierende Publikation eine fundierte und mehr als einfühlsame Studie dar, die für Geschichtswissenschaftler, Soziologen und alle Interessierten an der Nachkriegshistorie und der Flüchtlingsthematik von Interesse ist.

von Andreas Raffeiner
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Alexandra Haas, Ungarn in Tirol. Flüchtlingsschicksale 1945–1956 (Innsbrucker Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 25), Innsbruck 2008.

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