von red 14.09.2024 17:00 Uhr

Aldo Moro: Der Staatsmann, der zur tragischen Ikone wurde

Aldo Moro, einer der bedeutendsten Politiker Italiens nach 1945, steht bis heute für eine äußerst komplizierte Zeit aus politischen Zäsuren, linksextremen Terroranschlägen und einem tiefgreifenden Einsatz für die Autonomie Südtirols. Seine Entführung und Ermordung durch die linksextremen Roten Brigaden im Jahr 1978 markierte ohne Zweifel eine Wende in der Historie Italiens und hinterließ Spuren, die bis in die Gegenwart nachwirken.

Aldo Moro auf einer Parteiveranstaltung der DC - Bild: Wikimedia Commons

Die Entführung: Ein Angriff auf die italienische Republik

Am 16. März 1978, inmitten der politischen Instabilität Italiens und während der „Bleiernen Jahre“, entführten Mitglieder der Roten Brigaden den aus Apulien stammenden Juristen Aldo Moro, den Vorsitzenden der Christdemokraten (DC) und ehemaligen Ministerpräsidenten Italiens. Die Entführer schlugen inmitten Roms zu, ermordeten fünf seiner Leibwächter und verschleppten Moro an einen geheimen Ort.

Der Anlass für das Hassgefühl der Terroristen auf den ranghohen Staatsmann lag in dessen politischem Kurs: Er strebte nach einem geschichtlichen Kompromiss mit den Kommunisten – ein außergewöhnlicher wie auch beispielloser Schritt in einem Land, das im Kalten Krieg tief gespalten war und sich alles andere als einig zeigte. Sein Bemühen um eine Zusammenarbeit zwischen dem rechten und linken politischen Lager ist als „compromesso storico“ in die jüngere Geschichte eingegangen.

dati.camera.it, CC BY 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/4.0>, via Wikimedia Commons

Während seiner Gefangenschaft verweigerte die Regierung unter Ministerpräsident Giulio Andreotti sämtliche Gespräche mit den Terroristen. Nach 55 Tagen endete das Drama auf folgenschwere Weise: Aldo Moro wurde im Kofferraum eines roten Renault 4 ermordet gefunden. Für eine längere Zeitspanne galt Prospero Gallinari als sein Mörder, doch in späterer Folge stellte sich heraus, dass Mario Moretti der Täter war. Moretti und 17 weitere Mitglieder der Roten Brigaden wurden 1983 zu lebenslanger Haft verurteilt. 2006 eröffnete die Staatsanwaltschaft wiederholt einen Prozess zum Tode Moros, 2013 wurden abermals denkbare Intrigen aus der Politik und Verwicklungen aus dem Ausland untersucht. 2008 waren alle Verurteilten entweder entlassen oder, wie Moretti, Freigänger. Letzterer wurde 1994 unter Auflagen begnadigt.

Die „Bleiernen Jahre“: Terror und Gewalt erschüttern Italien

Die Entführung Moros war lediglich ein Höhepunkt der „Bleiernen Jahre“, einer Zeit, in der Italien von politischen Extremisten erschüttert wurde. Linksextreme Gruppierungen wie beispielsweise die Roten Brigaden verübten im Namen einer angeblichen Revolution blutige Anschläge auf Politiker, Journalisten und Unternehmer. Diese Jahre zwischen den 1970er- und frühen 1980er-Jahren kosteten über 400 Menschen das Leben, und die Roten Brigaden wurden für rund 15.000 Anschläge verantwortlich gemacht.

Der Fall Moro hingegen gilt in der Geschichtsschreibung als der (folgen)schwerste Angriff auf die italienische Republik in dieser Phase, wie der damalige Ministerpräsident Paolo Gentiloni in einer Rede 40 Jahre nach dem Attentat zum Ausdruck brachte. Zur Erinnerung an Moro und seine getöteten Leibwächter wurde im Jahre 2018 in Anwesenheit des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella in Rom eine Gedenktafel enthüllt, die ihre Opferbereitschaft ehrt.

Bild: Sailko, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons

Südtirol und Aldo Moro: Ein Architekt der Autonomie

Doch Moro war keinesfalls bloß ein Opfer des linksextremen Terrors. Sein politisches Erbe geht weit darüber hinaus. Besonders in Südtirol erinnert man sich bis heute an ihn als einen der entscheidenden Wegbereiter der Autonomie. In den 1960er-Jahren, als die Christdemokraten unter seiner Führung eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingingen, öffnete sich ein Fenster der Zusammenarbeit und der Dialogbereitschaft, das der Südtiroler Volkspartei (SVP) in Rom neuen Spielraum und neue Entfaltungsmöglichkeit verschaffte. Die Sozialdemokraten standen der Südtirolfrage offener gegenüber als die zuvor tonangebenden konservativen Kräfte, was zur Schaffung eines stabilen Fundaments für die Verhandlungen führte.

Treffen von Bundespräsident Heinrich Lübke und dem italienischen Ministerpräsidenten Prof. Aldo Moro – Bild: Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

Eine außerordentlich bedeutende Rolle spielte Moro als Außenminister Italiens im Jahre 1969. In dieser Funktion verhandelte er mit seinem österreichischen Amtskollegen Kurt Waldheim den Operationskalender, der die Spannungen im Südtirolkonflikt entschärfen sollte. Diese Einigung war ein Meilenstein auf dem Weg zur Autonomie Südtirols und trug wesentlich zur Beruhigung der angespannten Lage bei.

Das verzweifelte Ringen um Moros Leben: Appelle und verpasste Chancen

Während Moros Entführung ganz Italien erschütterte, gab es ungezählte Bemühungen, ihn zu retten. Neben innerpolitischen Aufrufen richtete sich auch der seinerzeitige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim direkt an die Entführer. In einem außergewöhnlichen TV-Auftritt sprach er auf Italienisch und bat die Roten Brigaden, Moros Leben zu verschonen. Trotz dieser internationalen Appelle und Versuche blieb die italienische Staatsmacht unter Andreotti beharrlich und lehnte sämtliche Verhandlungen ab.

Viele Zeitzeugen, darunter der Südtiroler Politiker Roland Riz, beanstanden noch heute diese Entscheidung. Riz, der zu jener Zeit als Parlamentarier der SVP in Rom tätig war, titulierte Moro als „Freund der Südtiroler“ und bemängelte, dass die Regierung nicht genug handelte, um ihn zu retten. Für Riz hätte Moro kein Gefangener, sondern ein Gesuchter sein sollen – ein klares Anzeichen auf die Gelegenheiten, die möglicherweise zur Befreiung des zweimaligen Ministerpräsidenten bestanden hätten.

Ungeklärte Fragen und Verschwörungstheorien

Auch über viereinhalb Jahrzehnte nach der Ermordung Moros bestehen viele Ungewissheiten. Immer wieder tauchten Gerüchte auf, wonach der Aufenthaltsort Moros während seines Freiheitsentzuges bekannt gewesen sei. Darüber hinaus kursierten Spekulationen, dass eventuell ausländische Geheimdienste oder die Mafia in die Entführung involviert gewesen sein könnten. Trotz vieler Untersuchungen und der Zerschlagung der Roten Brigaden Ende der 1980er-Jahre konnte keinesfalls restlos geklärt werden, ob diese Verschwörungstheorien auf Tatsachen fußen oder frei erfunden seien.

Von Interesse ist in diesem Kontext auch die Rolle der Katholischen Kirche in dem Fall: Ein Priester fungierte als Vermittler zwischen den Entführern und dem damaligen Papst Paul VI., der sich verzweifelt um die Freilassung des Politikers bemühte. Noch 45 Jahre später äußerte Papst Franziskus den Wunsch, zur weiteren Aufklärung des Falles beizutragen.

Das Vermächtnis: Ein Mann zwischen Fortschritt und Tragik

Aldo Moro wird dessen ungeachtet als eine der schillerndsten und parallel dazu tragischsten Figuren der italienischen Nachkriegshistorie in Erinnerung bleiben. Seine Politik der Öffnung und des Meinungsaustauschs, insbesondere in Bezug auf die Südtirolfrage, steht im Gegensatz zu der brutalen Art, wie er sein Leben lassen musste. Während seine Entführung und Ermordung Italien in eine tiefe Krise schlittern ließen, waren seine Verhandlungen und politischen Errungenschaften wesentlich, eine ansatzweise friedlichere und sichere Zukunft für Südtirol zu gewährleisten.

von Andreas Raffeiner

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  1. Itstime
    14.09.2024

    Henry Kissinger kann man leider nicht mehr fragen.

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