von red 13.09.2024 14:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 12)

Nazis auf der Flucht von Gerald Steinacher zeigt die Flucht von nationalsozialistischen Kriegsverbrechern über Italien nach Übersee auf, insbesondere nach Südamerika. Besonders interessant ist seine Darstellung der „Rattenlinien“. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Das zu besprechende Buch von Gerald Steinacher ist eine detaillierte und fundierte Untersuchung, die einen wichtigen und wenig beachteten Aspekt der Nachkriegszeit aufzeigt: die Flucht von nationalsozialistischen Kriegsverbrechern über Italien nach Übersee, insbesondere nach Südamerika. Der Verfasser bietet eine tiefgehende Analyse der komplexen Netzwerke und Institutionen, die den Nazis nach 1945 zur Flucht verhalfen.

Die Mitwirkung des Vatikans

Die beschriebene Thematik stellt eine der größten Herausforderungen der Nachkriegsjustiz dar. Steinacher beleuchtet in seinem Werk, wie viele Nazis, darunter hochrangige Kriegsverbrecher, über Italien und unter Mitwirkung unterschiedlicher Organisationen – einschließlich des Internationalen Roten Kreuzes und des Vatikans – entkamen. Besonders interessant ist seine Darstellung der sogenannten „Rattenlinien“, der Fluchtrouten, welche die Nationalsozialisten nach Südamerika und in andere Teile der Welt führten. So zieht der Autor sowohl umfangreiches Archivmaterial als auch Interviews heran, um das Netzwerk der Fluchthelfer und die politischen sowie moralischen Verwicklungen offenzulegen.

Flucht der Nazis - Ein internationales Phänomen

Die Publikation ist in mehrere thematische Abschnitte unterteilt, welche die verschiedenen Aspekte dieser Flucht und die beteiligten Personen und Institutionen beleuchten – von der Rolle des Internationalen Roten Kreuzes und des Vatikans über die Operationen der Geheimdienste bis hin zur argentinischen Einwanderungspolitik und der Unterstützung durch das Perón-Regime. Steinacher zeigt, dass die Flucht der Nazis ein internationales Phänomen war, das von einer Vielzahl von Akteuren tatkräftig unterstützt wurde.

Die Rolle der katholischen Kirche

Das vorliegende Buch zeichnet sich durch seine akribische Recherche und die umfassende Darstellung eines mitunter vernachlässigten Kapitels der Geschichte aus. Besonders bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Steinacher die moralischen Implikationen der Beteiligung von Institutionen wie dem Roten Kreuz und der katholischen Kirche darstellt, die zum einen als humanitäre Organisationen galten, zum anderen aber in die Flucht von Verbrechern involviert waren.

Wertvoller Beitrag zur Geschichtsforschung

Das zu besprechende Werk bietet keineswegs bloß einen tiefen Einblick in die Nachkriegsgeschichte, sondern regt auch zur Reflexion über Verantwortung und Schuld an. Steinachers nüchterner, faktenorientierter Stil verleiht dem Ganzen eine sachliche Autorität, ohne dabei die menschlichen Tragödien zu übersehen, die mit den beschriebenen Ereignissen verbunden sind. Mit seiner detaillierten Aufarbeitung der Rattenlinien und den Verstrickungen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure leistet der Autor einen mehr als nur wertvollen Beitrag zur Geschichtsforschung, der sowohl für Historiker als auch für ein breiteres Publikum von Interesse ist.

von Andreas Raffeiner
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Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Bd. 26), Innsbruck [u. a.] 2008.

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