Die ladinische Kulturbotschafterin Susy Rottonara im UT24-Gespräch
Die beeindruckende Arbeit von Susy Rottonara erstreckt sich über multimediale Projekte bis hin zu bedeutenden kulturellen Veranstaltungen, und sie setzt sich unermüdlich dafür ein, die ladinische Identität national und international sichtbar zu machen. Nachfolgend ein Interview mit UT24.
UnserTirol 24: Frau Rottonara, wie definieren Sie in persönlichen und möglicherweise emotionalen Worten die Rolle einer Kulturbotschafterin im Kontext der ladinischen Kultur, und welche spezifischen Herausforderungen bringt diese bedeutende Rolle, eine Minderheit nach außen präsentierend, mit sich?
Susy Rottonara: Die eigene Kultur gründlich kennen und lieben, von deren großen Wert stets überzeugt sein und sie ersichtlich durch die eigenen Tätigkeiten fördern und aufwerten.
Ich betrachte meine Tätigkeiten im kulturellen Bereich, das heißt Kultur zu vermitteln und persönlich vielseitig aufzutreten, sowohl als eine Ehre als auch als Anerkennung der bisher erreichten Ziele in verschiedenen kulturellen Bereichen und als Musikkünstlerin. Es handelt sich dabei um eine tägliche Herausforderung und um eine große Verantwortung, Inhalte bestens zu vermitteln und künstlerisch zu bearbeiten, sodass sie gut bei einem Publikum aus unterschiedlichen Generationen ankommen.
Susy Rottonara, ladinische Kulturbotschafterin
UT24: Inwiefern beeinflusst die gegenwärtige Globalisierung, die durchaus als „Zankapfel des 20. Jahrhunderts“ angesehen werden kann, die Wahrung und Pflege der ladinischen Traditionen und Sprache, und welche Strategien verfolgen Sie, um diese kulturellen Werte für die heutige Welt und die kommenden Generationen zu bewahren?
Rottonara: Eine Minderheitssprache und -kultur ist durchaus von außen gefährdet und umso mehr durch die Globalisierung samt der Oberhand der anderen Sprachen, weltweit beispielsweise Englisch. Zum einen bemühe ich mich bei allen Gelegenheiten, gut Ladinisch zu reden, das heißt auch ladinische Wörter zu gebrauchen, wo öfters Wörter aus der deutschen, italienischen oder englischen Sprache in die ladinische Sprache eingebaut werden. Zum anderen arbeite ich an multimedialen kulturellen Projekten und musikalischen Produktionen, die bei Jugendlichen gut ankommen, indem ich digitale Medien benutze, bei denen die Ladinische Sprache und Kultur gefördert werden.
Der Traum von Dolasila – Bild: Lia culturala Fanes
UT24: Wie integrieren Sie innovative Ansätze in Ihre kulturelle Arbeit, um jüngere Generationen der ladinischen Gemeinschaft für ihre Traditionen zu begeistern, ohne dabei die Authentizität und die bunte Vielfalt der Kultur zu gefährden? Können Sie demzufolge bei den jungen Ladinern einen gewissen Stolz in Bezug ihrer eigenen Identität orten?
Rottonara: Ich bin der Meinung, dass man, um Begeisterung bei anderen zu wecken, selbst, das heißt durch die eigenen Tätigkeiten, dafür Zeugnis sein muss. Ich erarbeite besondere kulturelle Projekte, musikalische Produktionen und Events, bei denen ich versuche, spezifische ladinische Themen, etwa aus den ladinischen Sagen, auch mit bekannten Traditionen und Figuren aus anderen Kulturen zu vergleichen und sie damit durch Musik und Kunst in Verbindung zu bringen. Mehrere von diesen Produktionen haben auf nationaler und internationaler Ebene große Anerkennung erlangt und sind bei bedeutenden kulturellen Anlässen aufgeführt worden. Das bezeugt, dass multimediale Produktionen, die sich auf eine Minderheitssprache und -kultur beziehen, auch bei einem breiten, internationalen Publikum gut ankommen können. Ich hoffe, die Jugendlichen können dadurch vor allem lernen, die ladinische Kultur noch mehr wertzuschätzen.
Susy Rottonara, ladinische Kulturbotschafterin
UT24: Könnten Sie uns spezifische Beispiele nennen, bei denen Ihre Arbeit als Kulturbotschafterin zu einem bedeutenden kulturellen Austausch oder einer positiven Veränderung innerhalb der ladinischen Gemeinschaft geführt hat?
Rottonara: Zunächst ist die Arbeit am Film Le Rëgn de Fanes – Das Reich der Fanes in 2005 zu nennen, bei dem ich gemeinsam mit den anderen Autoren Roland Verra und Hans Peter Karbon Hunderte von Freiwilligen aus verschiedenen ladinischen Tälern zur Mitarbeit begeistern konnte. Damit ist eine fruchtbringende Tätigkeit zur Förderung der ladinischen Sagen gestartet, die verschiedene Generationen miteinbezogen hat und im vergangenen Jahr auch zum offiziellen Start des Projekts zur Kandidatur der ladinischen Sagen als immaterielles UNESCO-Kulturerbe geführt hat. Dazu bin ich seit mehreren Jahren durch verschiedene Projekte öfters in deutschen und italienischen Schulen in Bozen und in Südtirol unterwegs, um Schülerinnen und Schüler die ladinische Sprache und Kultur nahe zu bringen und sie in die bedeutendsten damit verbundenen Themen einzuführen.
Susy Rottonara beim Projekt „Bozen trifft Ladinien“ – Foto: privat
UT24: Inwieweit beeinflussen politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen die kulturelle Arbeit, die Sie leisten, und wie navigieren Sie durch diese Herausforderungen, um Ihre Zielsetzungen zu erreichen?
Rottonara: Tatsächlich werden öfters kulturelle Tätigkeiten unterschätzt, im Vergleich zu anderen Bereichen, die möglicherweise viel mehr finanziellen Gewinn mit sich bringen oder versprechen. Ich habe immer aus persönlicher Überzeugung meine ladinische Kultur durch kulturelle und künstlerische Tätigkeiten auch im Rahmen der Mitarbeit mit Freiwilligen in einem Kulturverein gefördert und, falls notwendig, auch selbst finanziert.
UT24: Wie sehen Sie die Rolle der Medien und sozialen Netzwerke bei der Vermittlung und Erhaltung ladinischer Kultur, und wie nutzen Sie diese Plattformen, um Ihre Botschaft effektiv zu verbreiten? Welche Rolle kommt da der ladinischen Version der Online-Enzyklopädie Wikipedia zuteil?
Rottonara: Medien und soziale Netzwerke in ladinischer Sprache und mit der ladinischen Kultur verbunden sind meiner Ansicht nach essenziell zum Überleben der Minderheitssprache und -kultur, da sie insbesondere die jüngeren Generationen ansprechen. Ich arbeite an multimedialen Produktionen, bei denen die ladinische Sprache und zentrale Themen aus der ladinischen Kultur, wie die ladinischen Sagen, im Mittelpunkt stehen und veröffentliche dann Inhalte daraus auf verschiedenen Medien. Das Posten von Fotos in traditioneller Kleidung bei verschiedenen Anlässen soll auch meiner Wertschätzung von Tradition und Geschichte, fest in meiner autochthonen Kultur verwurzelt, Ausdruck verleihen.
Als Koordinatorin der ladinischen Wikipedia war immer mein Ziel, dadurch die Existenz und Lebendigkeit der ladinischen Sprache und Kultur digital bekannt zu geben, sie digital auf das Niveau der anderen Sprachen und Kulturen zu setzen und sie zu verwahren. Es handelt sich um ein Projekt, das stets weiterentwickelt wird und im Laufe von vier Jahren bereits 180.760 Artikel in den verschiedenen ladinischen Idiomen erreicht hat.
Susy Rottonara, ladinische Kulturbotschafterin
UT24: Was sind die größten Missverständnisse oder Vorurteile, die Menschen außerhalb der ladinischen Kultur gegenüber dieser haben, und wie arbeiten Sie daran, diese aus der Welt zu schaffen? Ist der Ausdruck, die Ladiner verkörpern eine „Minderheit in der Minderheit“ zu klischeebehaftet oder können Sie dieser Bezeichnung etwas Positives oder grundsätzlich etwas Wahres abgewinnen?
Rottonara: Mehrere glauben, dass Ladinisch eine Mischung von Wörtern aus der deutschen und der italienischen Sprache sei, also keine autochthone Sprache. Ich erarbeite mehrere digitale Projekte zur Förderung der ladinischen Sprache und Kultur mehrsprachig, da ich der Meinung bin, dass sie zu deren Förderung und Aufwertung einen wertvollen Beitrag leisten, indem dadurch ein breites Publikum über die Grenzen der ladinischen Täler hinaus erreicht werden kann. Die Bezeichnung „Minderheit in der Minderheit“ kann von der Tatsache abgeleitet werden, dass die Ladiner für beinahe tausend Jahre zu einem deutschsprachigen Land gehörten. Jedoch unterscheiden sie sich von anderen Minderheiten anhand der Besonderheiten von Sprache und Kultur.
UT24: Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen der ladinischen Gemeinschaft und anderen regionalen Kulturen, und welche Rolle spielen Sie dabei, diese Beziehungen zu fördern oder zu verbessern?
Rottonara: Beim Empfangen von nationalen und internationalen Delegationen ist mir immer wichtig, neben der Vorstellung der ladinischen Sprache und Kultur auch die geltenden Maßnahmen zu deren Förderung, vor allem auch im schulischen Bereich, bekannt zu geben. Dabei fallen sowohl das große Interesse und die Bewunderung auf, für all das, was bisher zu deren Förderung und Aufwertung auf allen Ebenen erzielt wurde und noch zu erzielen ist. Überall wo ich auftrete, nutze ich je nach Möglichkeit die Gelegenheit, den Wert der ladinischen Kultur zu vermitteln. Beim Kontakt mit dem Publikum geht es auch immer um Emotionen, mit denen ich durch meine musikalischen Tätigkeiten stets umgehe und die sich grundlegend auswirken, um positive Beziehungen zu pflegen.
Susy Rottonara, ladinische Kulturbotschafterin
UT24: Welche kulturellen Projekte oder Initiativen sind Ihnen besonders wichtig, und wie tragen diese dazu bei, die ladinische Identität auf nationaler oder internationaler Ebene zu stärken? Wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man fast ein Jahrhundert nach der faschistischen Teilung die drei Talgemeinschaften Ladiniens wieder unter ein Südtiroler Dach vereinen würde?
Rottonara: Ich befasse mich seit mehreren Jahren mit dem multimedialen und mehrsprachigen Projekt „Dolomites Legends“ zur Förderung der ladinischen Sagen, wodurch die Kartierung der Orte der ladinischen Sagen mit Texten von ladinischen Autoren aus dem 19. und 20. Jahrhundert gesammelt in der digitalen Bibliothek auf Ladinisch von Wikisource verbunden ist. Das Projekt wird vom Kulturverein Fanes in Zusammenarbeit mit mehreren Institutionen und Vereinen weiterentwickelt, sodass ein fruchtbringender kultureller Austausch zwischen den ladinischen Tälern zustande kommt. Das Projekt wurde bereits mehrmals außerhalb der ladinischen Täler vorgestellt im Rahmen bedeutender kultureller Veranstaltungen und von außen sehr wertgeschätzt, als Beispiel multimedialer Förderung von Sprache und Kultur ausgehend von den ladinischen Sagen, dem ältesten Kulturgut in der ladinischen mündlichen Tradition.
Viele Ladiner würden sich wünschen, sich wieder unter einem Südtiroler Dach zu vereinen. Persönlich würde ich das kulturell als fruchtbringend betrachten, weil damit allen Ladinern die gleichen Rechte anerkannt würden, beispielsweise das Recht auf Unterricht der ladinischen Sprache und Kultur. Verwaltungsmäßig sehe ich das als kaum erreichbar.
Dolasila – Film Le Rëgn de Fanes – Bild: Lia culturala Fanes
UT24: Wie gehen Sie mit dem möglicherweise vorhandenen Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation um, insbesondere wenn es darum geht, traditionelle kulturelle Praktiken in die moderne Welt zu integrieren? Ist es daher essentiell, die eigene Herkunft zu kennen, wenn es darum geht, die Zukunft zu meistern?
Rottonara: In all meinen Tätigkeiten und Projekten verbinde ich Tradition und Innovation, das kulturelle Erbe mit den zeitgenössischen Ausdrucksmöglichkeiten in erster Linie auf digitaler Ebene. Meine Wurzeln bilden dabei den Startpunkt, und die Kenntnis der eigenen Herkunft und des damit verbundenen kulturellen Hintergrunds bilden einen Standpunkt in der globalisierten Welt. Persönlich betrachte ich das als den besten Weg, um die Zukunft zu meistern.
Susy Rottonara – Foto: Freddy Planinschek
UT24: Wie sehen Sie die Zukunft der ladinischen Kultur in den kommenden Jahrzehnten, und welche Visionen oder Pläne haben Sie, um sicherzustellen, dass diese kulturelle Identität auch weiterhin lebendig und relevant bleibt?
Rottonara: Ich glaube, dass es zunächst von den Ladinern selbst abhängt, wie es in den kommenden Jahrzenten mit der ladinischen Kultur weitergehen wird. Ich betrachte als besonders wichtig, dass die jungen Generationen vom Wert der ladinischen Kultur immer mehr bewusstwerden und dass sie miteinander vorwiegend Ladinisch reden. Dabei spielt die ladinische Schule eine zentrale Rolle, zusammen mit gezielten kulturellen Tätigkeiten, beispielsweise digital entwickelte Projekte, die bei Jugendlichen gut ankommen und gefördert werden sollten. Persönlich werde ich meine didaktischen und kulturellen Tätigkeiten und Projekte zur Förderung der ladinischen Sprache und Kultur weiterführen und etwaige Projekte unterstützen, die das Ziel von deren Förderung und Bewahrung erfüllen.
UT24: Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Raffeiner