Michael Demanega
Innere Führung in Zeiten der Auflösung
In Zeiten der Auflösung, die durch weitreichende Flexibilität, Individualisierung und Beliebigkeit gekennzeichnet sind, wird innere Führung zunehmend bedeutend, um der Auflösung die Beständigkeit entgegen zu halten.
Das Prinzip der „Inneren Führung“ ist ein wesentliches Kriterium zur Heranbildung eines „modernen“ Offiziersethos, welches einen Ausgleich zwischen militärischer Disziplin und individueller Verantwortlichkeit sucht und mit Blick auf die deutsche Geschichte daraus resultiert, dass die Kluft zwischen Staat und Heer geschlossen werden sollte [1].
Der Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz betont, dass Krieg ein Instrument der Politik sei und nicht isoliert von politischen Zielen betrachtet werden kann. Clausewitz‘ Idee der Auftragstaktik, bei der untergebene Offiziere eigenständige Entscheidungen im Rahmen der übergeordneten Ziele treffen, spiegelt sich in der Inneren Führung wider, die in Anbetracht des Kriegsnebels wesentlich sei. Infolgedessen ist die Bedeutung von Moral und Willenskraft zentral.
Der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke entwickelt das Konzept der Auftragstaktik weiter und fördert eine dezentrale Entscheidungsfindung, bei der Offiziere vor Ort flexibel auf sich ändernde Situationen reagieren können. Dabei handelt es sich um ein Kernelement der Inneren Führung, welches Vertrauen in die Fähigkeiten und das Urteilsvermögen der einzelnen Soldaten voraussetzt.
Moltke betonte in diesem Sinne die Notwendigkeit einer Kultur des Vertrauens und der Verantwortung. Die Prinzipien der Inneren Führung bedingen eine offene Kommunikation sowie Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.
Die Innere Führung bildet das Fundament des Offiziersethos, indem diese ethische und moralische Leitlinien für das Verhalten und die Entscheidungen von Offizieren vorgibt.
Im Rahmen der Inneren Führung wird von Offizieren erwartet, dass diese als Vorbilder agieren. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungsfindung sollen den ethischen und moralischen Standards entsprechen, die die Innere Führung vorschreibt.
Das Offiziersethos verlangt von Offizieren, Verantwortung zu übernehmen und ihr Handeln zu hinterfragen. Diese Haltung steht im Einklang mit der Inneren Führung, die betont, dass Soldaten und insbesondere Offiziere nicht blind Befehlen folgen, sondern ihr Handeln an ethischen Prinzipien ausrichten sollen.
Ein zentraler Aspekt der Inneren Führung ist die Führung durch Überzeugung und nicht nur durch Befehl und Gehorsam. Das Offiziersethos greift diesen Aspekt auf, indem es Offiziere dazu anhält, ihre Untergebenen zu motivieren und zu inspirieren, anstatt lediglich Befehle zu erteilen.
Das Prinzip der Inneren Führung könnte theoretisch betrachtet man nur auf das Militärwesen beziehen, faktisch sind die Prinzipien allerdings in allen zivilen Bereichen von Belang und Bedeutung.
Unternehmen profitieren von Mitarbeitern, die sich durch Haltung, Einsatz und Vertrauen auszeichnen und sich für die kollektiven Ziele motivieren können, in diesem Sinne die individuelle Verantwortlichkeit für das Erreichen der kollektiven Ziele erkennen.
Die Orientierung am Krieg, wie sie im Militärwesen wesentlich ist, ist eine Orientierung an einem extremen Ernstfall, in dem gewöhnlicherweise, bedingt durch Stress und Krise, die Rationalität beeinträchtigt ist, weshalb gezieltes Training notwendig ist, um im Ernstfall zu bestehen.
Die Eigenschaften Führungskompetenz, strategisches Denken, Entscheidungsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeit, das Bewahren von Haltung und Ehre, Disziplin und Ausdauer, Kommunikations- und Koordinationsfähigkeit sowie Verantwortungsbewusstsein sind in allen zivilen Bereichen von übergeordneter Bedeutung, weshalb eine innere Führung abseits des Militärischen zu kultivieren ist.
Literatur:
[1] „Vom Gestern ins Heute nach Morgen: Die Innere Führung als eine geistesgeschichtliche Errungenschaft?“, Streitgespräch zwischen Peter Tauber und Sönke Neitzel (Link)