von gk 06.07.2024 09:29 Uhr

Ungereimtheiten beim „Anschlag“ auf der Steinalm

Am 9. September 1966 kam es zu einer folgenschweren Explosion in einer Finanzerkaserne auf der Steinalm, die drei italienischen Finanzsoldaten das Leben kostete. Die Ermittlungen der italienischen und österreichischen Behörden ergaben sehr unterschiedliche Ergebnisse.

"Tatort" Steinalm, aus dem Bestand Landesgericht Bozen (Bild: Effekt Verlag).

Nach dem mutmaßlichen „Anschlag“ wurde sofort mit den Ermittlungen von italienischer und österreichischer Seite begonnen, die teils sehr unterschiedliche – und widersprüchliche – Ergebnisse hervorbrachten (hier gehts zum UT24-Bericht darüber). Auf diplomatischer und politischer Ebene kam es zu massiven Anschuldigen. Die italienische Politik nahm dieses Unglück einmal mehr zum Anlass, um die BAS-Aktivisten zu diffamieren. Es schaukelte sich extrem hoch und so kam es alsbald zum ersten Opfer einer von allerhöchsten Stellen angeordneten und politisch tolerierten „Menschenjagd“: Der 18-jährige Peter Wieland aus Olang im Pustertal wurde am 24. September 1966 durch Alpini erschossen. Während sein Tod offiziell als Unfall hingestellt wurde, stellte sich nach und nach heraus, dass Wielands Tod praktisch eine Hinrichtung darstellte, denn „jetzt müsse einmal ein Südtiroler fallen“.

In den Akten der österreichischen Staatspolizei scheint der Tod des Peter Wieland und diese neue höchst brisante Situation in Südtirol nicht auf, desgleichen existiert kein Aktenstück in den politischen Südtirol-Akten des österreichischen Außenministeriums, was zweifellos einen Spiegel der österreichischen Außenpolitik im Herbst 1966 darstellt. „Unangenehme“ Vorfälle werden durch das offizielle Österreich kaum angesprochen – im völligen Gegensatz zur italienischen Außenpolitik im damals herrschenden „Notenkrieg“, dessen durchaus aggressiver Ton gegenüber Österreich immer von Italien ausgeht.

Die „Enthüllungen“ des Carl Franz Joosten

Die italienische Regierung tat jedenfalls alles, um den Vorfall einer „Lösung“ zuzuführen. „Unterstützung“ kam dabei auch durch den deutschen Architekten Carl Franz Joosten, der von den österreichischen Behörden als „Provokateur“ des italienischen Nachrichtendienstes gesehen wurde. Im Oktober und November 1966  erschienen in insgesamt sechs Beiträgen durch den Journalisten Vittorio Lojacono die „Enthüllungen“ des Joosten in der italienischen Wochenzeitung „Domenica del Corriere“. Das Hauptaugenmerk kam dabei neben der Aufzählung der den Terrorismus unterstützenden Organisationen oder den Kontakten von BAS-Aktivisten zur französischen Geheimorganisation „Organisation de l’armée secréte“ (OAS) den Aktivitäten der „vier Ahrntaler“ zu, aber auch über Jörg Klotz wusste Joosten viel zu berichten.

Am bemerkenswertesten dabei sind Joostens Darstellung zur Explosion auf der Steinalm: „Das Attentat auf der Steinalm sei möglicherweise mit Hilfe eines Ballons verübt worden, der mittels eines Kabels über das Gebäude geleitet worden sei.“ Allerdings sei über eine derartige Möglichkeit nicht im Zusammenhang mit der Steinalm gesprochen worden, sondern nur „ganz allgemein“. Joosten wusste aber auch zu berichten, dass die Terroristen durch Einbrüche in deutsche und österreichische Militärdepots über einen Granatwerfer verfügen würden. Wenn diese Bemerkungen auch den Untersuchungen von Sprengstoffsachverständigen widersprachen, so wurden sie in Italien doch in gewissem Maß ernst genommen, wie die Presseberichte der österreichischen Botschaft in Wien darlegen.

  • "Domenica del Corriere" vom 6. Dezember 1966 mit einer der "Enthüllungen" des durch Italien gedungenen Provokateurs Joosten durch den Journalisten Vittorio Lojacono (Bild: Effekt Verlag).
  • Hier wird die Technik für den Abwurf einer Bombe auf eine schwer zugängliche Kaserne dargestellt. Die Bombe ist an einem Ballon befestigt und wird abgeworfen, sobald sie das Ziel erreicht hat (Bild: Effekt Verlag).

Antiösterreichische Aktivitäten in Südtirol und Italien

In Bozen kam es nach dem Vorfall zu Kundgebungen. Um den 19. September 1966 zogen etwa 2000 „italienischsprachige Studenten durch die Straßen von Bozen, wobei sie Plakate und Fahnen mit antiösterreichischen Aufschriften mit sich führten“, mit Aufschriften wie etwa „Wien, die Stunde der Gerechtigkeit naht“. In Sprechchören wurde „Mörder, Mörder“ skandiert. Als die Demonstranten sich der Zentrale der SVP nähern wollten, wurden sie durch die Polizei daran gehindert, wodurch es „zu keinerlei Zwischenfällen“ kam. In den Tagen nach dem „Attentat“ auf der Steinalm kam es in ganz Italien zu teilweise gewaltsamen antiösterreichischen Aktivitäten, bei denen die italienischen Neofaschisten gleichsam die Führung übernahmen, wie den Akten des österreichischen Außenministeriums zu entnehmen ist.

Verhaftungen in Passeier und Ungereimtheiten bei den italienischen Ermittlungen

Jörg Klotz dürfte für Italien von Beginn an als Attentäter festgestanden haben. In diesem Zusammenhang wurde auch seine Ehefrau Rosa Klotz neben fünf weiteren Südtirolern aus dem Passeiertal – Rudolf Marth, der Gemeindearzt von St. Martin Dr. Karl Frötscher, Albin Auer, Johann Landthaler und Georg Kofler – verhaftet. Die verhafteten Südtiroler wurden von Italien vor Gericht später als „Passeirer Gruppe“ bezeichnet, die einige Sprengstoffanschläge verübt habe. Die Verhaftungen sollen aufgrund von Informationen des Südtirolers Anton Platter, eines Agenten italienischer Sicherheitsdienste, erfolgt sein. Rosa Klotz saß sozusagen aufgrund einer Art Sippenhaftung ohne jeglichen Verdachtsmoment 14 Monate und zehn Tage in Untersuchungshaft, ihre sechs Kinder Eva, Wolfram, Manfred, Judith, Barbara und Rösi wurden auf Verwandte und Bekannte „aufgeteilt“. Es war dies nicht der einzige Fall der Verhaftung von Müttern, Ehefrauen und Schwestern von BAS-Aktivisten in den 1960er-Jahren.

Bei der zweiten periodischen Besprechung zwischen Funktionären der österreichischen und italienischen Sicherheitsbehörden am 6. Dezember 1966 in Zürich, offerierten die italienischen Delegationsteilnehmer den österreichischen Vertretern unter dem österreichischen Sicherheitsdirektor Dr. Oswald Peterlunger einen Ablauf des „Attentats“ mit namentlich genannten Attentätern:
„Für die italienischen Sicherheitsbehörden stehe fest, daß der Sprengstoffanschlag auf die Finanzieri-Unterkunft auf dem Steinjoch am 9.9.66 von KOFLER, LARCH, KLOTZ und RAINER durchgeführt worden sei.“ Der in Südtirol verhaftete Richard KOFLER – der nichts mit dem bereits verhafteten Georg Kofler aus dem Passeiertal zu tun hatte – habe dazu „sehr präzise“ Angaben gemacht.

Die österreichische Delegation hatte ihrerseits Ermittlungen durchgeführt und war daher ein, „daß KOFLER nach dem vorliegenden Überprüfungsergebnis am 8.9.66 gar nicht auf dem Steinjoch oder in dessen Umgebung gewesen sein konnte“, was von der italienischen Delegation „übergangen“ wurde. Die Österreicher hakten nach und merkten an, aus „welchen Motiven“ Kofler, falls er tatsächlich am Attentat beteiligt gewesen sein sollte, sich „freiwillig nach Italien begeben und sich den italienischen Behörden gestellt haben könnte“, was die Italiener „unbefriedigend“ beantworteten, Kofler sei von einem Anwalt „falsch“ beraten worden. Tatsächlich dürfte Richard Kofler auf eine Amnestie durch die italienischen Behörden gehofft haben, wie seinem Akt der österreichischen Staatspolizei zu entnehmen ist.

Zwischen den Delegationen dürfte es Kontroversen gegeben haben, wie im Protokoll des Leiters der Staatspolizei, Dr. Oswald Peterlunger, relativ klar beschrieben wird:

Die österreichische Delegation kam nicht darüber hinweg, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, daß es sich nach ihrer Ansicht nach wie vor um einen von den Insassen der Unterkunft verschuldeten Unfall gehandelt habe, da jeder anderen Darstellung die Überzeugungskraft fehle. Plötzlich heiße es nun, entgegen der bisherigen italienischen Darstellung, daß, ausgelöst durch den Sprengstoffanschlag, 64 gelagerte Handgranaten explodierten. Der österreichische Sachverständige für Sprengwesen [Polizeioberst Alois Massak; Anm. d. Verf.] habe eingehend begründet, daß es als Folge der von Italien behaupteten Sprengstoffexplosion nicht zu einer Explosion der Handgranaten habe kommen können.

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Pfitscherjoch. Steinalm. Porzescharte“ von Hubert Speckner.

Speckner, Hubert (Hg.): Pfitscherjoch. Steinalm. Porzescharte. Die drei „merkwürdigen Vorfälle“ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre in den Jahren 1966 und 1967: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! Buch. 2022.

ISBN: 979-12-5532-004-3

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