Autonomiekonvent in Brixen – phantastisches Diskursniveau
Die Landtagsabgeordneten Maria Kuenzer und Roland Tinkhauser eröffneten die Veranstaltung. Zudem waren auch die Abgeordneten Magdalena Amhof, Hans Heiss, Philipp Achammer und Pius Leitner, sowie der EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann als Zuhörer erschienen.
Politiker als schweigende Zaungäste
Der Freiheitliche Tinkhauser betonte in seiner Grußrede, dass alle Landtagsabgeordneten als “Zaungäste” dabei seien und somit zwar zuhören, aber weder mitdiskutieren, noch Protokoll führen dürften. Eine klares Signal in die Richtung des grünen Landtagsabgeordneten Riccardo Dello Sbarba, der bei der vorherigen Veranstaltung in Meran nicht nur in einer Gesprächsrunde aktiv mitdiskutiert, sondern auch noch Protokoll geführt hatte.
Kritikern gegenüber hatte sich Dello Sbarba auf Facebook folgendermaßen gerechtfertigt: “ich habe maximal drei Minuten gesprochen in einem einzigen Tag, sonst das Protokoll geschrieben, das niemand schreiben wollte”.
Vielfältige Themenauswahl
In Brixen waren die Themen ebenso vielfältig wie schon zuvor in Meran, Bruneck und Bozen. In insgesamt 32 Gesprächsgruppen wurde unter anderem über Proporz, Auflösung der Region Trentino-Südtirol, Laizismus, Schule und Mehrsprachigkeit, Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, Sportautonomie, Übernahme der Eisenbahnstruktur, Universitätspolitik, Selbständige Außenpolitik Südtirols und eine Landeshymne diskutiert.
“Phantastisches Diskursniveau” und “Nicht-Menschen”
Die Diskussionskultur war, wie von vielen Teilnehmern am Abend bestätigt, durchwegs respektvoll und fair. Der Klausner Konfliktberater und Coach Hans Niederkofler meinte begeistert: “Ein phantastisches Diskursniveau beim Openspace in Brixen”.
Es bleibt zu hoffen, dass dies auch nach der Veranstaltung so bleibt: in Meran hatte nämlich eine Mitarbeiterin der Volkshochschule Urania Andersdenkende als “Nicht-Menschen” beschimpft.
Der Brixner Blogger Markus Lobis war der Veranstaltung ferngeblieben, nachdem er im Anschluß an den Brunecker Open Space Event seine Gesprächspartner mit dem Pejorativ “Töldrer” betitelt hatte, die “fast mit rührender Naivität” ihre Ideen äußern würden.
Hohes inhaltliches Niveau
Dabei zeigten sich nicht nur die Teilnehmer, wie zum Beispiel Harald Knoflach in seinem Artikel auf Brennerbasisdemokratie, sondern gerade die anwesenden Landtagsbgeordneten positiv überrascht über das hohe inhaltliche Niveau in einigen Gruppen.
So hatte beispielsweise ein weiterer Blogger von Brennerbasisdemokratie, Wolfgang Niederhofer, das Thema “Bahn ans Land” angemeldet. Einige der offensichtlich fachlich gut informierten Teilnehmer forderten nicht nur die Ãœbernahme der Eisenbahnstruktur durch das Land, sondern wussten diesen Prozess auch detailliert und strukturiert zu beleuchten.
Ãœber Hochschulwesen und Forschungskorridore
In der Gruppe “Universitätspolitik” wurde ein “Tiroler Forschungskorridor” zwischen Innsbruck und Trient befürwortet, ebenso eine stärkere Anerkennung der Leistungen der Landesuniversität Innsbruck in der Ausbildung des akademischen Nachwuchses und der wissenschaftlicher Forschung für und über Südtirol.
Die Anerkennung der Universität Innsbruck könnte mit einer Finanzierung von Lehrstühlen zu Südtirol-spezifischen Themen eindrucksvoll bewiesen und die Ausbildung von Südtiroler Akademikern langfristig gewährleistet werden, war der generelle Konsens. Gerade im juristischen Bereich sei dies von großer Bedeutung, um die Ausbildung von deutschsprachigen Beamten, Rechtsanwälten und Richtern weiterhin zu sichern.
Bozner Extrawurst?
Ebenso wurden Südtiroler Eigenwege wie die Universität Bozen und einst geplante Medical School kritisch hinterfragt: Welchen Mehrwert bringt die Bozner Universität konkret dem Land Südtirol? Warum werden die Professoren in Bozen höher entlohnt als in Innsbruck und Trient – ist die Uni Bozen für Dozenten etwa unattraktiv? Wie bedeutend ist der ausbildungs- und forschungsmäßige Output wirklich? Warum werden an einer ursprünglich als dreisprachig vorgesehenen Universität ein Großteil der Fächer auf Italienisch unterrichtet, während Englisch und Deutsch immer mehr zu Fassadensprachen verkommen? Dies waren nur einige der kritischen Fragen, die sich die fachkundigen Diskutanten stellten.
Mit, statt nur über Südtirol sprechen
Das Thema „Selbständige Außenpolitik Südtirols“ wurde vom Eppaner Studenten Patrick Gamberoni eingebracht und diplomatisch moderiert. In der Gesprächsrunde wurde auf die außenpolitischen Tätigkeiten der katalanischen Regierung verwiesen und die Schaffung eines Ressorts samt Landesamts für Außenbeziehungen gefordert.
“Im Ausland muss mit Südtirol, statt nur über Südtirol gesprochen werden” forderten die Anwesenden, ansonsten würde dies durch die jeweiligen italienischen Botschafter übernommen, welche die Südtiroler Verhältnisse meist nicht kennten und vor allem dem Staat gegenüber weisungsgebunden seien, statt dem Land Südtirol.
Zudem müsste Südtirol, ähnlich wie auch das Bundesland Tirol, die Möglichkeit zum selbstständigen Abschluss internationaler Verträge erhalten, um außenpolitisch handlungsfähig zu werden.
Bundesgenossen
Sichtlich angeregt vom Thema, brachte sich auch bald der Journalist und Politikwissenschaftler Georg Schedereit aktiv ein und verwies auf die Wichtigkeit internationaler „Bundesgenossen“ für Südtirol – nur durch die aktive Suche und Pflege von Ansprechpartnern könne man Südtirols Interessen langfristig gewähren und das Recht auf Selbstbestimmung aufrecht erhalten.
Fazit
Bei solch hochwertigen Inhalten und respektvoller Gesprächskultur ist die Frage legitim, ob es etwa bei den Open Space Veranstaltungen im Großen und Ganzen nicht nur kultivierter, sondern auch zukunftsorientierter als im Landtag zugeht.
Es ist gewiss nicht verkehrt, dass die Landtagsabgeordneten als schweigende Zaungäste beiwohnen dürfen – es bleibt zu hoffen, dass sie die Impulse aus der Bürgerschaft auch zu beherzigen wissen.