“Romeo und Julia” feierte Premiere im Volkstheater Wien
Den Wahnsinn der Liebe, der zwei Menschen in einen Ausnahmezustand versetzt, bei dem sie sich im Mittelpunkt des Universums wähnen und den Rest der Welt vergessen, als “gesellschaftlichen Vorgang” zu zeigen, als Umsturz der Verhältnisse, der einer Revolution gleichkommt, war die Vision des Regisseurs. Dass “Romeo und Julia” dabei ihrer Einzigartigkeit beraubt werden, jenes Schicksalsschmerzes, der seit Shakespeares Zeiten Millionen von Theaterbesuchern zu Tränen gerührt hat, war ein Kollateralschaden, den man dabei in Kauf nehmen musste. Die Frage, ob man dabei mehr gewinnen oder verlieren würde, war auf der Bühne zu klären.
Ausstatterin Ramallah Aubrecht hat – ganz ähnlich übrigens wie Miriam Busch am Donnerstag am Theater in der Josefstadt – einen nach einer Seite offenen Kubus auf die Drehbühne gestellt, in dessen Innerem sich das Geschehen weitgehend ohne Mobiliar und Requisiten entwickelt. Ein schwarzer Glitzerstoff verhängt die Seiten. Es ist ein Liebes- und ein Todesraum, in dem Plastikflaschen mit Wasser und Theaterblut ausgiebig zum Einsatz kommen. An seinen Innen- wie Außenwänden sind insgesamt neun Klaviere aufgestellt, die von sechs PianistInnen immer wieder bespielt werden.
Es beginnt mit dem Vorzeigen der verzehrenden Wirkung der Liebe. Drei junge Männer schmachten und rufen nach einer gewissen Rosalinde. Es sind drei Romeos (Thomas Frank, Kaspar Locher und Nils Rovira-Munoz könnten verschiedener nicht sein), die im beständigen Zwiegespräch dafür sorgen, dass man die gestrichenen Figuren Benvolio und Mercutio nicht allzu sehr vermisst. Rosalinde hingegen ist gleich vergessen, denn bald tritt Julia auf den Plan. Drei Julias, nämlich Katharina Klar, Nadine Quittner und Stefanie Reinsperger, und das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel wird in allen Variationen ohne Frivolität durchgespielt. Es wird viel und lustvoll geschmachtet, geknutscht und gebalgt in dieser Inszenierung. Zumeist ansatzlos. Langsame Entwicklungen und zarte Bögen kennt der Abend nicht.
Das gilt auch für Plot und Randfiguren der Shakespeare-Tragödie. Von ihnen bleiben gerade noch Rudimente. Steffi Krautz macht aus ihrer Doppelrolle als Amme und Lady Capulet mit viel trockenem Humor eine Win-Win-Situation, Christoph Rothenbucher darf als Paris zeigen, dass auch die Loser in vieler Gestalt daherkommen, Stefan Suske als Julias Vater und Rainer Galke als Bruder Lorenzo versuchen das Beste aus ihren Miniauftritten zu machen, und Sebastian Klein bekommt als Tybalt für den ganzen schönen Bandenkrieg bloß eine Flasche in die Hand, mit der er sich eine Blutdusche genehmigen darf. Philipp Preuss liebt einprägsame Bilder, doch der Familienstreit zwischen den Montagus und den Capulets (die beim Maskenball sehr schöne, bizarre, bedrohliche Pappmaschee-Masken tragen) interessiert ihn nicht.
Man sieht dem munteren Treiben des jungen Sextetts mit (nach der Pause streckenweise ein wenig erlahmendem) Interesse zu, auf Mitlieben und Mitleiden ist dieses Konzept nicht ausgerichtet. Balkon und Nachtigall haben hier nichts verloren. Hier träumt man sternförmig auf dem Boden ausgestreckt davon, die Sterne vom Himmel zu holen, hier geht man gemeinsam in den Tod, der – niemand tritt am Ende erschauernd in die Familiengruft und muss entdecken, was die Fehde angerichtet hat – ohne Lehre für die Nachwelt bleibt. So gesehen ist die Liebe dann doch mehr ein seltsames Spiel als die Vorstufe der Rebellion.
Die Gleichung 3 R + 3 J > 1 ist nicht ganz aufgegangen. Aber alleine, dass sie angestellt wurde, ist bereits mehr Verdienst, als sich so manche “Romeo und Julia”-Aufführung zugutehalten darf. Das Volkstheater hat eine hoch interessante, unkonventionelle Aufführung bekommen, über die sich trefflich streiten lässt. Auch wenn Philipp Preuss trotz dreifacher Liebe nur einen halben Sieg davongetragen hat, darf er auf jeden Fall als Gewinn für die Wiener Theaterlandschaft verbucht werden.