Kammerspiele ehren mit “Blue Moon” Billie Holiday
Nur 44 Jahre alt wurde Billie Holiday. Wie schwer es schon zu Lebzeiten war, diese flüchtige Erscheinung zu erfassen, beweisen ihre Beinamen: “Lady Day” wurde sie von ihrem treuesten Begleiter, dem Saxofonisten Lester Young, genannt. “Lady in Satin” hieß eines ihrer ultimativen Alben, ein Name, der ihrer Liebe zu Seidenem geschuldet war. Ihre Leidenschaft für etwas Anderes sollte ihr das Leben kosten: Drogen, Alkohol, Verschwendungssucht und Männer, die ihr nicht nur Gutes taten. Alles das passt zwischen 20 Songs, die an diesem Abend in den Kammerspielen dargeboten werden.
“Ist irgendwo ein Nigger im Publikum?” Wenn Nikolaus Okonkwo das Publikum gleich zu Beginn mit Billie Holidays Lebensumständen, dem unverhohlenen Rassismus in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, konfrontiert, kann schon einmal das Blut unter den Premierengewändern gefrieren. Oder es bricht angesichts des Unworts pennälerhaftes Gekicheres aus. Wer auf einen glamourösen Galaabend gefasst war, erlebte sein blaues Wunder. Was unter dem “Blue Moon” dann noch versöhnlich endete – nämlich mit der alles überdauernden Musik.
Regisseur Fischer hat eine Odyssee einer ehemaligen Prostituierten ohne dramaturgischen Absacker inszeniert, was ohne Sona MacDonald wohl so nicht aufgegangen wäre. Jede Nuance von Holidays fragilem Timbre hat sich die Schauspielerin einverleibt. Als Kontrapunkt dazu noch die authentisch wegwerfenden Gesten, mit denen die Jazz-Ikone ihre Songs nicht interpretiert, sondern schlicht benutzt hat. Klar, MacDonald kann gar nicht an das Original herankommen. Aber sie schafft ein glaubwürdiges Porträt. Das Jazz-Quartett, das ihr zur Seite gestellt wurde, wird in seiner Einheit zum vollwertigen dritten Darsteller.
Aber auch Okonkwo, der die Rollen sämtlicher männlicher Mit- und Gegenspieler in Holidays Leben verkörpert, überzeugt in dem Kammerspiel, das nicht nur eine Verbeugung vor der zu Ehrenden ist. “Blue Moon” ist auch eine Hommage an die Kompositionen des “Great American Songbook” und somit an Cole Porter, Richard Rogers und George Gershwin. Dass die Stücke ebenso zäh sind wie Holiday selbst war, bewies der Umstand, dass nicht einmal aufkeimendes Mitgeklatsche das fragile Titelstück am Ende zerstören konnte. Und welches in berechtigten Jubel für alle Beteiligte überging.