„Die Deutschen brauchen keine Schulen“
Vom Haus der Tiroler Geschichte herausgegeben
Herausgegeben wurde die neue Publikation vom Haus der Tiroler Geschichte, das vom Verein Südtiroler Geschichte geführt wird. Dieses versteht sich als Dienstleister für Geschichtsinteressierte, es bietet Hilfe und Beratung für Schüler und Studenten an, die sich mit Themen der Tiroler bzw. der Südtiroler Geschichte auseinandersetzen, unterstützt Studierende bei der Erstellung von Bachelor-, Diplom- und Doktorarbeiten, gibt Privaten Hilfe bei ihrer Ahnenforschung, gibt Fachpublikationen heraus und führt die BAS-Ausstellung (www.bas.tirol) über die 60er Jahre in Südtirol in den Bozner Lauben Nr. 9.
Am vergangenen Samstag, den 5. September wurde in Blumau die druckfrische Publikation vorgestellt, für die der Verein Südtiroler Geschichte eine Reihe von Historikern, Lehrpersonen und Sprachwissenschaftlern als Autoren gewinnen konnte.
Frauendemo 1923 gegen das Verbot deutscher Schulen auf dem Cover
„Die Deutschen brauchen keine Schulen“ soll neugierig machen und zum Lesen einladen. Er geht auf ein Zitat zurück, das vollständig eigentlich lautet: „Die Deutschen brauchen keine Schulen. Und wir brauchen keine Deutschen.“
Und genau das ist der Satz, den der damalige italienische Unterpräfekt Giuseppe Bolis den rund 600 Frauen und Müttern an den Kopf warf, als sie am 3. November 1923 vor seinem Amtssitz in Bozen für die Beibehaltung der deutschen Schule demonstriert haben.
Ein Foto dieser Demonstration ist auch auf dem Buchcover abgebildet: eine dicht gedrängte Menschenmenge in der Bozner Raingasse, die in Richtung Waltherplatz strebt, wo sich der Amtssitz des Unterpräfekten Bolis befand.
Aufhänger war ein handgeschriebenes Schulbuch
Den Aufhänger, ein solches Buch herauszugeben, bildete ein handgeschriebenes Schulbuch aus dem Jahr 1914, das Karl Saxer in die Hände gefallen ist. Es geht hier um eine Sammlung von handgeschriebenen Texten seiner Schüler, die der Lehrer, Organist und Chorleiter Josef Lechner in Buchform hat binden lassen und das ein einzigartiges Zeugnis der Schulkultur dieser Zeit. Es befindet sich mittlerweile im Heimatmuseum Steinegg.
Beiträge von 11 Autoren
Mit ihrem Aufsatz geben der Publizist und Buchautor Günther Rauch und Karl Saxer am Beispiel des Dorfes Blumau und der Gemeinde Karneid einen interessanten, anschaulichen und kurzweiligen Einblick in das Südtiroler Schulwesen Anfang des 20. Jhs.
Anschließend berichtet der Historiker Dr. Othmar Parteli über den denkwürdigen Laager Schulstreit. In Laag wurde nämlich tatsächlich bereits im Herbst 1919, also zwar nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von St. Germain, aber noch vor dem Anschluss Südtirols an Italien, die deutsche Schule abgeschafft.
Bald schon eskalierte der Streit: Die Carabinieri warfen die
deutschen Schulschwestern aus der Schule hinaus, die Eltern gingen auf die Barrikaden und boykottierten die Laager Schule, indem sie ihre Kinder in die deutschen Schulen der umliegenden Dörfer schickten, und der ganze Streit gipfelte darin, dass sogar der Gemeinderat von Neumarkt aufgelöst wurde.
In einem weiteren Beitrag berichtet der ehemalige Lehrer und Bürgermeister der Gemeinde Kiens Karl Pfeifhofer am Beispiel seiner Gemeinde über die Katakombenschulen und -lehrer bzw. -lehrerinnen, wobei er wertvolle Zeitzeugnisse bringt.
Anschließend geht Margareth Lun auf die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende auf die tiefgreifenden Zäsuren in dieser Zeit ein, auf den Kampf um ein Mindestmaß an Bildung, auf die politische Vereinnahmung der Schule unter den beiden Diktaturen, auf die Bedeutung der deutschen Sprachkurse für Optantenkinder und schließlich auf die Probleme der Wiedereinführung der deutschen Schule nach fast 20 Jahren italienischem Unterricht.
Besonders berührend ist das Interview, das die Lehrerin und Historikerin Mag. Miriam Brunner mit der ehemaligen Katakombenschülerin Eva Hatzis Willeit geführt hat.
Darin erzählt Eva Hatzis von ihren Schulerfahrungen und vom Ausgeliefertsein als Kind, aber auch von anderen Schulerlebnissen, die einem unter die Haut gehen. So erinnert sie sich etwa daran, wie die Mütter geweint haben, als die Kinder bei einer Muttertagsfeier deutsche Gedichte aufgesagt haben – weil sie wussten, dass mit diesen Kindern die deutsche Sprache in Südtirol bleibt oder stirbt.
Beeindruckend ist auch der nächste Beitrag, in dem Dr. Eva Klotz über ihre Mutter schreibt, die eine Lehrerin mit Leib und Seele war – eine Lehrerin, die unglaublich große Opfer gebracht hat, um nach dem Faschismus mit all den anderen engagierten Lehrpersonen mit mangelnder Ausbildung und kaum Unterrichtsmaterialien wieder das deutsche Schulwesen aufzubauen.
In seinem zweiten Beitrag geht der Historiker Dr. Othmar Parteli auf das bedeutende Lebenswerk des ersten Schulamtsleiter Josef Ferrari ein. Ferrari war sicher eine der profiliertesten Kleriker von Südtirol im 20. Jh. Er führte nach Kriegsende nicht nur Verhandlungen mit den Amerikanern, um die deutsche Schule in Südtirol abzusichern und den deutschen Schülern den Unterricht in der Muttersprache durch muttersprachliche Lehrer zu garantieren, sondern er war vor allem maßgeblich am Aufbau und an der Qualität der deutschen Schule in Südtirol beteiligt.
Der Pusterer Lehrer und Geometer Efrem Oberlechner hat in seinem Beitrag ein Interview mit Karl Pfeifhofer verarbeitet, in dem dieser auf seine ereignisreiche Zeit als Schüler, als Lehrer, aber auch als Bürgermeister, der für den Bau des Kindergartens und der Grundschule in Ehrenburg verantwortlich zeichnete, zurückblickt.
In zwei weiteren Beiträgen geht Margareth Lun auf den Wandel der Schule vom 2. Autonomiestatut bis heute ein, und anschließend auf die Integration und Inklusion, wobei sie aufzeigt, was sich von 1972 bis heute im Schulwesen alles geändert hat und welchen vielfältigen Anforderungen die Schule in der heutigen Gesellschaft gerecht werden muss.
Der nächste Beitrag stammt von der Lehrerin Mag. Verena Geier, die über das Thema „Schule und Südtirolkonvent“ geschrieben hat und die dabei über die heißen Diskussionen über Sprachexperimente und die Beibehaltung der deutschen Schule mit dem gesetzlich festgelegten Recht der Schüler auf muttersprachlichem Unterricht (Art. 19 des Autonomiestatuts) berichtet.
Zwei Beiträge mit Blick über die Landesgrenzen hinaus
Für die letzten beiden Beiträge im Buch konnten schließlich zwei Autoren gewonnen werden, die mit Aufsätzen über Südtirol hinaus gehen.
So zeigt der elsässische Sprachwissenschaftler Bernard Wittmann auf, wie die deutsche Schule im Elsass von den Franzosen zugrunde gerichtet wurde und wie erschreckend eng der Abbau des muttersprachlichen Unterrichts in Minderheitengenbieten mit der Sprache zusammenhängt. Die Zahlen beschönigen nichts: Bei der Volkszählung von 1910 gaben 94 (!) Prozent der Elsässer Deutsch als Muttersprache an. Und heute, nur drei Generationen später, können nur mehr fünf Prozent der Grundschüler Deutsch.
Die Übersetzung des Beitrages vom Französischen in das Deutsche wurde vom Sprachwissenschaftlicher Cristian Kollmann übernommen.
Den Abschluss bildet ein ebenfalls sehr interessanter Beitrag von Dr. Johannes Ausserladscheiter, seines Zeichens Konsulent für Internationale Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union. Er zeigt nicht nur die Bedeutung des Deutschen als Verkehrs- und Handelssprache seit dem 19. Jh. auf, sondern er erklärt auch mit Zahlen und Fakten die heutige Bedeutung der deutschen Sprache in Europa und in der Welt.
Zugleich auch Einblick in Südtiroler Kulturgeschichte
Das Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ ist jedenfalls insgesamt eine sehr interessante Tirolensie über die wechselvolle Südtiroler Schulgeschichte bis heute – und zugleich ein Einblick über einen wichtigen Bereich der Kulturgeschichte Südtirols.
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11.09.2020
Carola die Jahrhundertlüge ist doch viel Wichtiger, WACHT ENDLICH AUF !
11.09.2020
Die Deutschen aka Südtiroler brauchen keine Schulen, aha, aber seit Musolini bis Heute , ein dick gefüllte Brieftasche, um diesen maroden ital.Staat am Leben zu erhalten, (ich hoffe das war kein “Hasskommentar”)