Günther Rauch
Pons Drusi in Gries?
Ist Bozen einmal „Pons Drusi“ gewesen bis hinaus zu den römischen Villen von Gries? Dass ein deutscher Stiftungspräsident bei der Eröffnung des Römer-Museums im neu gestalteten Grieser Hof das “römerzeitlichen Bozen” einfach zu „Pons Drusi” macht, ist schon erstaunlich, wenn man weiß, dass die Vorstellung von einer Stadt dieses Namens der faschistischen Legendenbildung entstammt mit dem Zweck, die Italianità Bozens zu zementieren.
Der italienische Nationalismus und Faschismus des frühen 20. Jahrhunderts konstruierte eine bedeutsame militärische Präsenz der Römer und römerzeitliche Siedlungen als Keimzellen der Bozner Stadtgründung. Schon der Heimatkundler und Chefredakteur der Tageszeitung „Dolomiten”, Josef Rampold, hat die These einer antiken Stadt Namens Pons Drusi entschieden in Frage gestellt („Bozen – Mittelpunkt des Landes an der Etsch und im Gebirge“, (Athesia, Bozen 1985). Noch dazu war Gries aber nie Bozen, sondern immer schon eine eigene Ortschaft. Vorgeschichtliche und römerzeitliche Spuren hatten keinen Einfluss auf die Gründung der Stadt Bozen, die erst im deutschen Mittelalter erfolgte (siehe Günther Rauch, Bozner Obstplatz-Historischs und Alltagliches, Athesia Bozen, 2012).
Die Bozner Talsohle war bis ins Hochmittelalter ein durch mehrere reißende Wildbäche durchzogenes versumpftes und gefährliches Gebiet. Römische Pfade wurden an den Hängen rundum zur Durchquerung der Talsohle angelegt. Ein Weg führte bei Castrum Ferruge, – das spätere Formigar und ab 1473 als Sigmundskron bekannte Schloss vorbei.
Auf Spurensuche nach Pons Drusi
Zur Entstehungsgeschichte Bozens sind noch viele Fragen offen. In der italienischen Geschichtsschreibung wird die Gründung der Stadt Bozen (Pons Drusi) nach einer Schlacht zwischen Römern und Rhätern während des Feldzuges von Drusus und Tiberius im Jahr 15 und 16 zugeschrieben. Es spricht aber nichts dafür und vieles dagegen, dass im Bozner Talkessel jemals eine solche kriegerische Auseinandersetzung stattgefunden hat. Josef Rampold vermerkt, dass die „Räter“ klug genug gewesen sein dürften, ihre Wallburgen zu verteidigen und sich nicht einer offenen Feldschlacht zu stellen“.
In der neueren italienischen archäologischen Forschung wie z.B. „Dominikanerplatz – Archäologie und Geschichte eines Klosters in Bozen“ (Hrsg. Cooperativa Scavi e Restauri, 2001), oder Carlo Trentini, „Von Pons Drusi zu Bozen“ (Edition Sturzflüge 1996), werden römische Münz- und Keramikfunde rund um den Bozner Dom und das Kapuzinerkloster, wo einst der alte Lehenshof St. Afra lag und die Grafen von Tirol Mitte des 13. Jahrhunderts die Burg „Wendelstein“ errichteten, als die römische Siedlung „Pons Drusi“ gewertet. Wenn “Pons Drusi” bei der Wendelburg war, kann die Siedlung jetzt auf einmal nicht auch in Gries sein, nur weil man hier Reste einer römischen Wohnstätte gefunden hat. Dann müsste auch St. Pauls oder Terlan oder Nals Pons Drusi sein, wo man ebenfalls Reste römischer Stationen und Villen gefunden hat.
In den Kartenwerken der alten Welt (z.B. in den „Annales ecclesiae Sabionensis nunc Bricinensis Saec.VII.“, S.536 und Abb.1) ist Pons Drusi als Brückenschlag eingezeichnet. Der Begriff „pons“, der für lange Dämme gebraucht wurde, erscheint auch auf der „Tabula Peutingeriana“ nördlich von Tredente (Trient) und südlich von Sublavione (Klausen). Es bleibt offen, ob der in der Peutinger-Karte verzeichnete römische Brückenschlag „Pons Drusi“ wirklich eine Militärstation im Bozner Becken war, denn die „Tabula Peutingeriana“ stammt aus dem 12. Jahrhundert, also lange nach der Römerzeit. Außerdem ist die Peutinger Karte nicht der auf dem Marsfeld in Rom aufgestellten Karte des Imperiums nachgezeichnet, ja sie ist nicht einmal nach militärischen Gesichtspunkten entworfen, sondern verzeichnet in erster Linie Handelsstädte, Heilquellen, Wallfahrtsorte u. ä.
Pons Drusi – Etschbrücke bei Sigmundskron?
Der Tiroler Forstmeister Philipp Neeb glaubte, dass Pons Drusi, ein römischer Holzdamm bei Sigmundskron gewesen sein muss. Bei Entwässerungsarbeiten und Trockenlegung von Sümpfen in der Nähe des „Schlosses Firmian“ (nach Paulus Diakonus Castrum Ferruge – das spätere Castel Formigar, ab 1473 Schloss Sigmundskron) stoße man an der Etsch in einer Tiefe von 2 Metern auf Bäume und Holzpfähle einer römischen Brückenkonstruktion, so Neeb (Philipp Neeb, „Beiträge zur Kenntnis christlicher Altertümer in Tirol, Kirchenfreund, 2. Jahrgang 1867, S.5, A7).
Theodor Friedrich Weller berichtet in seiner an der Königlich Technischen Hochschule eingereichten Dissertation „Beiträge zur Baugeschichte der Stadt Bozen“ (Stuttgart, Mai 1914), dass ein von Römerzeiten herrührender Burgweg von Sigmundskron – nach Pater Justinian Ladurners Bozner Chronik eine ehemalige Römerfeste – ans Etschufer hinunterführte und somit Pons Drusi bei der alten Etschbrücke lag. Die von Peutinger angegebene Entfernung von 59 km (40 M.P.) von Trient nach Pons Drusi stimmen mit der Römerstraße im Überetsch überein.
Pons Drusi – Brücke am Brennerweg?
Der wohl größte Erforscher römischer Geschichte im 19. Jahrhundert, Professor Theodor Mommsen, setzte Pons Drusi nördlich von Bozen an, am Anfang der Eisackschlucht. Mommsen kannte die Stadt Bozen sehr gut. Er frequentierte gerne auch den Künstlertreff beim Batzenhäusl, wo er sich auch im Gästebuch der Kellnerin „Moidele“ eintragen ließ. Seine herausgegeben Bänder „Corpus Inscriptionum Latinarum“, Band III, 2. 1873 und V, 2. 1877, und topographischen Karten enthalten den Punkt Pons Drusi bei Blumau, wo einst, am Zollhause im Jahre 1515 eingemauert, ein Meilenstein des Maxentius (306-312) beschrieben wird. Damit wäre die Möglichkeit eines Brückenkopfes der vom Süden über den Virgelberg nach Norden führende vor- , früh- und spätromanische Brennerweg gegeben, der den Fluss vor Beginn der Eisackschluchten nach Rentsch überquert, hinauf auf den Ritten nach Säben. Sehr lange führte der Römerweg (spätere Kuntersweg) auch durch die Eisackschluchten. Für Theodor Mommsen hat schließlich der Streit um Pons Drusi keinen besonderen Wert, weil diese Stelle weder ein größerer, noch kleinerer Römerort, sondern bloß eine Übergangsstelle und ein Straßenpunkt war.
Vereinzelte römische Wohnstätten und Garnisonen ja, eine Stadt nein
Eine Besiedelung der Bozner Gegend war für die Römer völlig uninteressant. So wie der gesamte südliche Abschnitt des Alpenraums bei den augusteischen Feldzügen militärisch und politisch keine Rolle spielte. Karl Theodor Hoeniger beschreibt deutlich, dass die Römer weder Zeit hatten noch die Notwendigkeit zur Errichtung einer Ansiedlung in Bozen. (Karl Theodor Hoeniger, „Bozen und seine Kirchen“ in „Die Brennerstraße – Jahrbuch des Südtiroler Kulturinstitutes, Athesia Bozen, 1961.) Die Römer betrachteten die Alpen als Transitland, das man gerne möglichst rasch hinter sich haben wollte. Jeder zeitraubende Umweg, jedes unnütze Auf und Ab und Unwegsamkeit wurde, wo immer es nur ging, zielbewusst vermieden. (Vgl. Willy Dondio, Der Schlern, Römerstraßenforschung in Südtirol auf neuen Bahnen. Heft 52/1978). Während Beweise für eine römische Civitas, die auch nur annähernd den Grundstock des heutigen Bozens bilden könnte, fehlen, gab es gleichwohl römische Kultstätten, Brückenköpfe, Legionslager, Pferdewechselstationen und Villen für pensionierte Legionäre, die dicht an den Durchgangsrouten und Nachschubwegen zum westlichen und nördlichen Gallien lagen. Das hat aber nichts mit Bozen als Civitas Pons Drusi zu tun. Diese Idee zirkulierte vor allem in den Köpfen der Italianissimi, die in der Faschisten- und Nazizeit das alte Cäsaren- und Germanenreich wieder aufblühen lassen wollten. Die Folgen sind heute noch nicht überwunden.