von Alexander Wurzer 27.04.2025 10:03 Uhr

Warum die Autonomiereform Otto-Normalverbraucher gar nichts bringt: Große Worte, leere Wirkung

Die Autonomiereform vom 9. April 2025 – von Rom verkündet, von der Landesregierung beklatscht – soll ein historischer Schritt für Südtirol sein. Mehr Zuständigkeiten, mehr Selbstverwaltung, mehr Macht? Von wegen. Wer sich die juristischen Details dieser Reform genau ansieht, merkt schnell: Das ist ein Placebo für die Bevölkerung. Drei zentrale Bereiche – Personal, Handel, Umwelt – zeigen, wie Rom scheinbar gibt, ohne je loszulassen.

Foto: LPA/Barbara Franzelin

Personalwesen: Scheinmacht im Amtszimmer

In der öffentlichen Verwaltung Südtirols soll sich mit der Reform alles ändern – so jedenfalls der politische Werbetext. Das Land, so heißt es, darf künftig selbst über das Arbeitsverhältnis ihrer Bediensteten entscheiden, inklusive Tarifverhandlungen. Das steht jetzt sogar schwarz auf weiß in Artikel 8, Ziffer 1.

Klingt mutig, ist es aber nicht. Denn:

  • Der Spielraum im öffentlichen Dienst bleibt minimal. Das Zivilgesetzbuch, das Gesetz über den öffentlichen Dienst (D.lgs. 165/2001) und EU-Vorgaben stecken dem Land enge Grenzen.
  • Kündigungsschutz, Disziplinarrecht, Grundsatz der Gleichbehandlung – all das bleibt in Rom verankert.

Südtirol kann ein paar Paragraphen anders ordnen, ein paar Formulare umstellen – aber das Machtzentrum bleibt dort, wo es immer war. Im Ministerium. Im Verfassungsgericht. In Brüssel.

Kurz gesagt: Für die tausenden Landesbediensteten bedeutet diese „Kompetenz“ rein gar nichts. Kein höheres Gehalt, kein fairerer Umgang, keine spürbare Verbesserung.

Handel: Auf dem Papier ein neues Spielfeld – in Wahrheit eine alte Sackgasse

Mit Artikel 8, Nr. 29-ter wird dem Land eine neue Zuständigkeit zugesprochen: „commercio“ – also der Handel. Die Landesregierung könnte nun zum großen Gestalter des lokalen Wirtschaftslebens werden – denkt man.

Doch die Realität sieht anders aus:

  • Italienische Staatsgesetze wie das Bersani-Dekret schreiben vor, wie Handelszonen funktionieren, wann ein Betrieb eine Genehmigung bekommt, und wie Großmärkte eingestuft werden.
  • Die EU-Dienstleistungsrichtlinie verbietet jede Maßnahme, die ausländische Anbieter behindert.
  • Und das italienische Wettbewerbsrecht? Hebelt jede lokale Schutzregel aus, wenn sie angeblich „marktwidrig“ ist.

Das Resultat: Südtirol darf vielleicht einen Bauernmarkt organisieren. Aber wenn es darum geht, Amazon zu regulieren oder die Nahversorgung im Tal zu sichern, ist Schluss. Keine Chance. Kein Einfluss.

Für den Bürger heißt das: Die Preise steigen weiter, der nächste Nahversorger macht zu – und die Politik zuckt mit den Schultern. Autonomie? Fehlanzeige.

Umwelt und Wildtiere: Große Verantwortung, ohne das nötige Werkzeug

Die Reform verspricht Südtirol mehr Einfluss bei Umwelt und Wildtieren. Genauer: beim Schutz von Natur und beim Umgang mit der heimischen Fauna. Das klingt gut – besonders für jene, die mit den Folgen täglich leben: Bauern, Förster, Jäger, Bergbewohner.

Doch wieder zeigt sich das Muster: Die neuen Zuständigkeiten (Art. 8, Nr. 29-bis) sind hübsch formuliert – aber in der Praxis nicht anwendbar.

  • Die EU-Richtlinien zum Artenschutz lassen keinen Spielraum für lokales Handeln bei streng geschützten Arten.
  • Wichtige Befugnisse – wie der Abschussentscheid bei Problemwölfen – bleiben laut Art. 20 der Reform beim Staat.
  • Waffenrecht, Genehmigungen, Sanktionen: alles unter zentraler Kontrolle.

Die Folge: Südtirol bekommt Verantwortung, aber keine Mittel. Wer in der Praxis entscheidet, ist weiterhin Rom – nicht Bozen. Und das bekommt der Bürger zu spüren: langsame Verfahren, juristische Hürden, fehlender Schutz.

Eine Autonomiereform, die mehr verspricht, als sie hält

Diese Reform ist kein Schritt nach vorn – sie ist ein rhetorischer Kreisverkehr. Südtirol bekommt Überschriften statt Inhalte, Zuständigkeiten ohne Macht, Kompetenzen mit eingebautem Maulkorb. Für den normalen Bürger – egal ob Beamter, Händler oder Landwirt – bedeutet das Ganze: nichts.

Was wirklich fehlt:

  • Fiskalhoheit: Südtirol hat keine Kontrolle über Schlüsselsteuern. Eine echte Autonomie braucht nicht nur die Verwaltung der Einnahmen, sondern das Recht, eigene Steuerpolitik zu gestalten.
  • Eigenes Renteninstitut: Die Forderung nach einem eigenständigen Pensionssystem ist alt – und bleibt weiter unbeantwortet. Rentenfragen werden zentral geregelt, ohne Rücksicht auf regionale Lebensrealitäten oder Beitragshistorien.
  • Umsetzung des Autonomiekonvents: Der von Arno Kompatscher selbst initiierte Konvent hatte klare Forderungen formuliert – von echter Gesetzgebungsautonomie bis zur direkten Mitwirkung in EU-Fragen. Keine einzige dieser substantiellen Visionen wurde in die Reform aufgenommen.

Solange diese Kernforderungen ignoriert werden, bleibt die „Reform“ ein PR-Kunststück – und die Autonomie ein System von Erlaubnissen, nicht von Rechten. Südtirol hat Besseres verdient.

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