von red 21.04.2025 17:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 52)

Bernhard Wurzers Buch Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien ist ein umfassendes Werk über die Geschichte, Kultur und den Rückgang der deutschen Sprachgemeinschaften in Südtirol, Trentino und anderen Teilen Oberitaliens. Es untersucht die historischen Wurzeln, die sozialen Herausforderungen und politischen Kämpfe dieser Minderheit und beleuchtet sowohl die Ursachen des Sprachverlusts als auch die Bemühungen um den Erhalt des Deutschen in diesen Regionen. Das Buch bietet eine fundierte und empathische Darstellung von den frühen Siedlungswellen bis hin zu den heutigen Herausforderungen dieser Sprachinseln. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien von Bernhard Wurzer

Einführung und Ziel des Werkes

Das hier zu rezensierende Werk ist ein bedeutendes Werk zur Geschichte der deutschen Sprachgemeinschaften im italienischen Alpenraum, insbesondere in Südtirol, Trentino und anderen Gegenden. Das Buch befasst sich mit der Entstehung, der kulturellen Entwicklung und dem schrittweisen Rückgang dieser deutschen Sprachinseln, die bis heute in diesen Regionen existieren. In einer detaillierten und fundierten Analyse untersucht der Autor keineswegs bloß die historischen und politischen Faktoren, die zur Entstehung dieser Gemeinschaften geführt haben, sondern auch die sozialen und kulturellen Herausforderungen, die mit ihrer Existenz verbunden sind.

Historische Entstehung der deutschen Sprachinseln

Die Publikation von Bernhard Wurzer beginnt mit einem umfassenden Überblick über die Ursprünge des deutschen Einflusses im Alpenraum. Der Verfasser beschreibt hier die ersten germanischen Einwanderungsströme und die Landnahme durch die Langobarden und Bajuwaren im frühen Mittelalter. Diesen Siedlungswellen kam für die Etablierung einer deutschen Sprach- und Kulturzone in Südtirol und Trentino eine entscheidende Rolle zuteil. Besonders prägend war die Aufgabe von Trient, das im Mittelalter eine bedeutsame deutsche Stadt war und auch als Austragungsort des Konzils von Trient in der Kirchengeschichte bekannt wurde. Im weiteren Verlauf des ersten Kapitels geht der Autor auf die Besiedlungsgeschichte der Region um Rovereto, Arco und Riva ein und beschreibt, wie sich das Deutsche in unterschiedlichen Tälern und Gemeinden etablierte. Diese Siedlungen standen nicht nur in engem Beziehungsgeflecht zu anderen germanischen Gebieten, sondern prägten ferner auch die lokale Kultur und die Gesellschaft. Wurzer untersucht, mit einer akkuraten Feder ausgestattet und mit der nötigen Liebe zum Detail und zum Thema, die romanischen Adelsgeschlechter in Welschtirol und die historischen Verhältnisse, die zur wesentlichen Entwicklung dieser einzigartigen Sprachinseln führten.

Die deutschen Gemeinden im Trentino und ihre Entwicklung

In den folgenden Abschnitten widmet sich der Autor detailliert den deutschen Gemeinden im Trentino. Hier geht der Verfasser als wahrhaftiger Kenner der Materie auf die Geschichte und Entwicklung dieser Siedlungsgebiete ein und zeigt offenkundig, wie sich die deutschen Sprachinseln in einer zunehmend romanisierten Umgebung behaupten konnte. Besonders interessant ist hierbei die ausführliche Darstellung der gesellschaftlichen Struktur und der Lebensweise in diesen abgelegenen Gebieten. Wurzer geht darüber hinaus auch auf die deutsche Schutzarbeit von Persönlichkeiten wie beispielsweise Franz Xaver Mitterer ein, die sich für den Erhalt der deutschen Sprache und Kultur einsetzten. Eine zentrale Themenstellung ist der „Verrat“ durch die italienische Politik, die zur Zeit des Faschismus eine aggressiv-nationalistische Italianisierungspolitik betrieb. Diese politische Entwicklung führte in der Folge zu einer keinesfalls zu unterschätzenden Bedrohung der deutschen Identität in den Tälern und Hochlagen des Trentino.

Das Fersental und die Kämpfe um das Deutschtum

Ein außerordentlich eindrucksvolles Kapitel widmet sich den Fersentalern, einer deutschen Sprachinsel im Trentino. Wurzer beschreibt sehr genau die Geschichte und die Bemühungen dieser Gegend, ihre kulturelle Identität angesichts politischer und sozialer Herausforderungen zu bewahren. Die Option der Fersentaler im schicksalsträchtigen Jahr 1939 wird als ein wichtige, wenn gleich tragische Begebenheit in der Geschichte dieser Gemeinschaft dargestellt. Die ausführliche Schilderung von Orten wie Eichleit und Gereut zeigt, wie stark die deutsche Sprache und Kultur mit den örtlichen Gegebenheiten und dem Alltag der Menschen verbunden waren. Wurzer beleuchtet die Rolle der Schule und das Bestreben, die deutsche Sprache auch in der Erziehung zu erhalten, sowie die kulturellen Veranstaltungen, die als Bollwerk gegen die italienische Assimilation dienten.

Die Luserner und der Widerstand gegen die Italienisierung

Ein weiteres Augenmerk liegt auf der deutschen Gemeinde Lusern, die in der Vergangenheit in den Freiheitskriegen kämpfte und auch während des Ersten Weltkriegs eine zentrale Rolle im Widerstand gegen die italienische Nationalpolitik spielte. Wurzer beschreibt den besonderen Kampf der Luserner um ihr Deutschtum und die schwierige Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Trotz dieser Herausforderungen behielten sie ihre deutsche Sprache und Kultur bei, was als ein weiteres Beispiel für das Aufbegehren gegen die Italianisierungspolitik gilt.

Der Rückgang der deutschen Sprache und seine Ursachen

Ein wesentliches Thema des hier zu besprechenden Buches ist der Rückgang der deutschen Sprache und die verschiedenen Ursachen, die dazu führten. Wurzer untersucht ausführlich die Einflussnahme der venezianischen Herrschaft, die die deutschen Sprachinseln in Südtirol und Trentino politisch und kulturell unterdrückte. Ebenso geht er auf die politischen und sozialen Umwälzungen während der Zeit Napoleons und der österreichischen Monarchie ein, die das Deutschtum weiter schwächten. Der Autor beschreibt auch die Maßnahmen der österreichischen Regierung, die versuchte, das Deutsche in den Südtiroler Tälern zu schützen, und analysiert, wie diese Schutzmaßnahmen durch die nationalistische Bewegung und den irredentistischen Drang nach Italianisierung zunehmend untergraben wurden. Der Einfluss des Faschismus und die Zwangsmaßnahmen während der Diktatur hatten ebenfalls verheerende Auswirkungen auf die deutschen Sprachinseln.

Die Zimbern und ihre Geschichte

Ein weiterer bedeutender Teil des Buches beschäftigt sich mit den Zimbern, einer ethnischen Gruppe in den weniger bekannten Regionen der Lessinischen Alpen und Asiago. Wurzer geht auf die Geschichte der Zimbern ein, die oft als „letzte Goten“ bezeichnet wurden und sich mit der Frage ihrer Herkunft und ihrer germanischen Wurzeln auseinandersetzen. Die sprachlichen Eigenheiten und Dialekte der Zimbern werden detailliert dargestellt und zeigen, wie diese Gemeinde bis heute ihre deutsche Sprache in den abgeschiedenen Tälern bewahrt hat.

Schutz der deutschen Minderheiten und die politische Dimension

Abschließend behandelt der Autor die politische Lage der deutschen Sprachinseln und die Schutzmaßnahmen für sprachliche Minderheiten in Italien. Hier geht er auf die bedeutenden politischen Interventionen ein, die in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden, um die Rechte der deutschen Minderheit zu schützen. Die Entwicklungen in der Region, die Bemühungen um den Erhalt der deutschen Sprache und die kulturellen Institutionen, die nach wie vor aktiv sind, finden ebenfalls Erwähnung. Wurzer diskutiert, wie sich die politischen Rahmenbedingungen für die deutschen Sprachinseln verbessert haben, aber auch, wie die Herausforderungen der zunehmenden Homogenisierung weiterhin eine Bedrohung für die Gemeinschaften darstellen.

Fazit

Wurzers Werk ist ein umfassendes und äußerst detailliertes Werk, das keineswegs nur die geschichtliche Entwicklung der deutschen Sprachgemeinschaften in Südtirol und Trentino aufzeigt, sondern auch die sozialen und politischen Kämpfe dieser Minderheit über die Jahrhunderte hinweg darstellt. Dem Autor gelingt es, ein facettenreiches und buntes Bild der Sprachinseln zu zeichnen, das sowohl historische als auch persönliche Perspektiven berücksichtigt. Besonders die empathische Betrachtung der Lebensrealität der betroffenen Menschen macht das Werk zu einer wichtigen und bereichernden Lektüre für alle, die sich für die Geschichte, die Sprache und die kulturelle Identität interessieren. Bleibt der Schlusssatz: Ähnlich wie Faust das Lebenswerk Goethes darstellt, so ist Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien zweifellos das Hauptwerk von Bernhard Wurzer.

Von Andreas Raffeiner

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Bernhard Wurzer, Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien, Bozen, 5. erg. Aufl. 1983.

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