Autonomiereform in Südtirol: Ein fauler Kompromiss?

Umstrittene Kernpunkte der Reform
Die umstrittensten Punkte des Reformentwurfs sind:
- Weiterbestehen des „nationalen Interesses“ als Einschränkung der Gesetzgebungskompetenz Südtirols.
- Senkung der Ansässigkeitspflicht für das Wahlrecht bei Landtagswahlen von bisher vier auf zwei Jahre.
- Einführung einer Kann-Bestimmung zur Zusammensetzung der Landesregierung nach Volkszählungsergebnissen statt nach Wahlergebnis, sofern der Landtag dies mit absoluter Mehrheit beschließt.
„Nationales Interesse“ als Stolperstein
Das Festhalten am Begriff des „nationalen Interesses“ ist nicht weniger als ein Schlag ins Gesicht für all jene, die auf echte Verbesserungen für Südtirol gehofft haben. Während SVP-Verhandler beschwichtigend erklären, dass keine Verschlechterung eintrete, bleibt die bittere Realität: Dieses Relikt zentralistischer Machtansprüche bleibt bestehen. Rom behält sich weiterhin das Recht vor, unliebsame Gesetze Südtirols unter Berufung auf „nationale Interessen“ zu blockieren. Was als Fortschritt verkauft wird, ist in Wahrheit nur die Festschreibung eines alten Machtinstruments.
Wenn dieser Begriff nicht längst Vergangenheit sein sollte, wieso taucht er nun wieder als zementierte Bremse in der Autonomiereform auf? Dass sich die SVP mit einem „Hier wird nichts verschärft“ zufriedengibt, wirkt bestenfalls naiv, schlimmstenfalls wie ein willfähriges Zugeständnis. Ein Kontrollinstrument bleibt ein Kontrollinstrument – und die angebliche Rückgabe von Kompetenzen wird durch diese unsichtbare Leine relativiert.
Lockerung der Ansässigkeitsklausel – Ein Geschenk an Rom?
Besonders kritisch wird die geplante Änderung beim Wahlrecht gesehen. Bisher mussten Bürger mindestens vier Jahre im Land ansässig sein, um an Landtagswahlen teilzunehmen. Diese Frist soll nun auf zwei Jahre gesenkt werden. Für viele Vertreter der deutschen und ladinischen Bevölkerung ist dies ein gefährlicher Dammbruch, der das politisch-kulturelle Gleichgewicht langfristig verschieben könnte.
Verfechter der Reform argumentieren, dass der bisherige Schutz nicht mehr zeitgemäß sei. Faktisch profitieren vor allem zuziehende Italiener von dieser Änderung. War dies vielleicht der Preis, den die SVP zahlen musste, um Rom gnädig zu stimmen?
Proporz nach Volkszählung: Ein gefährlicher Präzedenzfall?
Ein weiterer Knackpunkt ist die Möglichkeit, die Landesregierung auf Basis der Volkszählungsergebnisse zu besetzen, statt nach Wahlergebnissen. Diese Kann-Bestimmung, über die diverse Medien kolportieren, öffnet laut Kritikern Tür und Tor für parteipolitische Machtspielchen. Wenn die Zusammensetzung der Landesregierung nicht mehr primär durch Wahlen bestimmt wird, sondern durch ethnische Proporzlogik, wird das Grundprinzip der demokratischen Mehrheitsbildung in Frage gestellt.
Befürworter dieser Maßnahme betonen, dass dies lediglich als Sicherheitsnetz für Minderheitenschutz gedacht ist. Doch Gegner warnen vor einer Aufweichung des demokratischen Grundsatzes, wonach Wahlergebnisse die einzige Entscheidungsgrundlage sein sollten. Ist dies nicht ein gefährliches Spiel mit der politischen Stabilität?
Minderheitenzentrum: Prestigeprojekt oder Ablenkungsmanöver?
Trotz umstrittener Kernpunkte zur Autonomiereform hat Landeshauptmann arno Kompatscher letzte Woche in Wien ein internationales Minderheitenzentrum in Bozen ankündigt. Das Zentrum soll angeblich als Kompetenzzentrum für Minderheitenschutz, Autonomiefragen und interkulturellen Dialog dienen – mit möglicher Beteiligung der Vereinten Nationen.
Doch diese strahlende Vision steht im Widerspruch zu den jüngsten Zugeständnissen, die an Rom gemacht wurden. Gerade jetzt, wo essentielle Schutzmechanismen gelockert werden sollen, wirkt ein derartiges Prestigeprojekt wie ein fragwürdiger PR-Trick. Die Südtiroler Autonomie wird in Verhandlungen mit Rom faktisch ausgehöhlt, während man international das Bild eines Modells für Minderheitenschutz propagiert. Ein solches Zentrum kann nur dann glaubwürdig sein, wenn im Inneren wirklich alles dafür getan wird, diese Schutzmechanismen zu sichern.
Demokratische Bedenken: Wer entscheidet hier wirklich?
Nicht nur die inhaltlichen Aspekte der Reform stehen in der Kritik, auch das Vorgehen der SVP wirft Fragen auf. Statt frühzeitig den gesamten Landtag und die Öffentlichkeit einzubinden, wird zunächst am 14. April auf der SVP-Landesversammlung parteiintern verhandelt. Die Entscheidungsträger scheinen festgelegt, ohne dass die Betroffenen wirklich einbezogen werden.
Die geplante Sonder-Landtagssitzung nach der SVP-internen Beratung wird als demokratiepolitisch bedenklich betrachtet. Kritiker argumentieren, dass die Autonomie nicht im Besitz einer einzelnen Partei sei und der Ausschluss anderer Kräfte im Vorfeld Misstrauen schürt. Der Verdacht liegt nahe, dass hier hinter verschlossenen Türen ein fauler Kompromiss ausgehandelt wurde.
Viel Risiko, wenig Gewinn?
Die geplante Autonomiereform birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Während die SVP betont, dass es sich um einen historischen Fortschritt handelt, sprechen Kritiker von einem riskanten Kompromiss, der langfristige Nachteile mit sich bringen könnte. Vor allem das Festhalten am nationalen Interesse, die Senkung der Ansässigkeitsklausel und die Kann-Bestimmung bei der Regierungsbildung sorgen für Skepsis. Weiteren Nährboden bietet den Skeptikern das Auftreten des FdI-Kammerabgeordneten Alessandro Urzì, der Feuer und Flamme für das Verhandlungsergebnis ist. Diese Freude Urzìs deuten viele als Indiz, dass sich die Verhandlungsdelegation der italienischen Rechtsparteien durchgesetzt hat.
Ob der Landtag letztlich dem Entwurf zustimmen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht aber schon jetzt: Dieser Reformprozess wird nicht als einheitlicher Erfolg in Erinnerung bleiben, sondern als komplexer Verhandlungsmarathon mit ungewissem Ausgang.
