von aw 21.03.2025 07:00 Uhr

Nationalismus als Bildungsziel – eine Gefahr für Südtirol?

Die neuen staatlichen Bildungsrichtlinien „Nuove Indicazioni 2025“ haben in Italien eine hitzige Debatte ausgelöst. Anstatt Geschichte multiperspektivisch und kritisch zu lehren, wird sie in eine nationale Heldenerzählung umgedeutet. Die Einheit Italiens, der Patriotismus und nationale Identität stehen im Vordergrund – und das bereits ab der Grundschule.

Bild: günter von Pixabay

Besonders für Südtirol, wo die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung die Mehrheit stellt, könnte dies weitreichende Folgen haben. Die Grünen im Südtiroler Landtag haben daher eine kritische Anfrage an die Landesregierung gestellt, um zu klären, inwiefern Südtirol von diesen Vorgaben betroffen ist und ob es Ausnahmen für die autonome Provinz geben wird.

  • Madeleine Rohrer, Brigitte Foppa, Zeno Oberkofler (Bild: Grüne)

    Die Anfrage der Grünen: Warnung vor Nationalismus in der Schule

    Die Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa, Madeleine Rohrer und Zeno Oberkofler von den Grünen haben mit Datum 18. März 2025 eine schriftliche Anfrage an die Landesregierung gerichtet, in der sie deutliche Bedenken gegenüber den neuen Bildungsrichtlinien äußern.

    Was genau ist das Problem?

    Laut der Anfrage der Grünen ist der neue Lehrplan nationalistisch gefärbt. Besonders kritisiert wird:

    • Einseitige Geschichtsvermittlung: Bereits in der zweiten Klasse der Grundschule sollen Kinder nicht nur die italienische Nationalhymne lernen, sondern auch patriotische Lieder und Gedichte aus dem Risorgimento (der italienischen Einigungsbewegung). Statt komplexe historische Zusammenhänge zu vermitteln, werden Märtyrer- und Heldenmythen gefördert.
    • Fixierung auf die Antike als nationale Wurzel: Die neuen Vorgaben schreiben vor, dass Kinder so früh wie möglich eine „korrekte“ Vorstellung von der griechisch-italisch-römischen Zivilisation als Grundlage der nationalen Geschichte erhalten. Diese einseitige Betrachtung der Antike erinnert an die faschistische Schulpolitik, in der Rom als ewige Wiege der italienischen Nation verherrlicht wurde.
    • Nationalismus als Bildungsideal: In der zweiten Klasse der Mittelschule wird unter dem Titel „Das Königreich Italien: Wie man einen Staat und eine Nation aufbaut“ explizit gelehrt, wie nationale Identitäten konstruiert werden. Kritiker sehen darin eine politische Steuerung des Unterrichts, die junge Menschen auf eine einheitliche nationale Identität festlegen will.
    • Veraltete Lehrmethoden: Statt interaktiver und kritischer Methoden sollen Schüler wieder auswendig lernen, wer die Helden der Nation waren und welche Schlachten sie geschlagen haben. Dies widerspricht modernen pädagogischen Ansätzen, die Quellenkritik und Eigenständigkeit fördern.

    Die zentralen Fragen der Grünen an die Landesregierung

    1. Wie bewertet die Landesregierung die „Nuove Indicazioni 2025“ hinsichtlich ihrer Inhalte und ihres pädagogischen Ansatzes?
    2. Ist Südtirol von den Vorgaben ausgenommen oder müssen sich auch Südtirols Schulen an diese Richtlinien halten?
    3. Gab es bereits Gespräche mit der Regierung in Rom? Falls ja, welche Haltung hat die Landesregierung vertreten?
    4. Werden Lehrkräfte und Erziehungspersonal über diese neuen Vorgaben informiert?

    Die Grünen haben damit ein wichtiges Thema aufgeworfen, das für die Bildung und kulturelle Identität Südtirols entscheidend ist.

    Warum sind diese Vorgaben für Südtirol besonders problematisch?

    Südtirol hat eine autonome Bildungslandschaft, die gezielt auf die kulturellen Bedürfnisse der deutschen und ladinischen Minderheiten abgestimmt ist. Die neuen Bildungsrichtlinien aus Rom stehen im Widerspruch zu diesem Ansatz.

    • Gefahr der Assimilation: Ein Lehrplan, der ausschließlich die italienische Nation als Bezugspunkt setzt, ist für ein Land mit einer historisch gewachsenen deutschen und ladinischen Identität hochproblematisch. Die Geschichte Tirols, die Autonomiebewegung oder die spezifischen Erfahrungen der Südtiroler Bevölkerung werden in den neuen Vorgaben nicht berücksichtigt.
    • Einseitige Perspektive auf Geschichte: Während Südtirol lange um eine multiperspektivische Geschichtserzählung gekämpft hat, setzen die neuen Bildungsrichtlinien 2025 auf ein festes nationales Narrativ. Geschichte wird nicht als Auseinandersetzung mit verschiedenen Sichtweisen gelehrt, sondern als eine festgelegte Erzählung von nationalen Kämpfen und Helden.
    • Mehrsprachigkeit in Gefahr? Obwohl in Südtirol Deutsch, Italienisch und Ladinisch offiziell gleichberechtigt sind, könnte eine verstärkte Nationalisierung des Unterrichts dazu führen, dass italienische Inhalte dominanter werden. Kritiker befürchten, dass die neuen Vorgaben langfristig zu einem schleichenden Zurückdrängen der Minderheitensprachen führen könnten.

    Historische Parallelen: Erinnerungen an frühere Italianisierungspolitik

    Für Südtirol ist diese Entwicklung besonders geschichtsträchtig. Bereits während der faschistischen Italianisierungspolitik der 1920er und 1930er Jahre wurde versucht, die deutsche und ladinische Identität zu unterdrücken. Schulen wurden damals gezwungen, nur auf Italienisch zu unterrichten, deutsche Lehrer wurden entlassen und italienische Lehrkräfte ins Land geholt.

    Heute gibt es keine offenichtliche staatliche Unterdrückung mehr, aber eine nationalistisch geprägte Geschichtserzählung könnte dazu führen, dass Minderheitenidentitäten in den Hintergrund gedrängt werden.

    Was sagen Experten? Italienische Kritik an den neuen Bildungsrichtlinien 2025

    Nicht nur in Südtirol, auch in Italien selbst stoßen die neuen Lehrpläne auf Widerstand. Zahlreiche Bildungsexperten und Historiker warnen vor einer Politisierung der Schule und einem Rückfall in ein nationalistisch geprägtes Geschichtsbild. Das Istituto Ferruccio Parri, ein Netzwerk von Historikern zur Zeitgeschichte, kritisiert, dass Geschichte künftig als „Propaganda-Instrument zur Formung der nationalen Identität“ eingesetzt werde. Lehrerverbände und Bildungsgewerkschaften wie die FLC-CGIL sehen in den neuen Richtlinien eine „patriotische Umerziehung“ der Schüler. Didaktik-Experten monieren, dass die neuen Vorgaben „die kritische Reflexion verhindern und die Schüler zu passiven Empfängern einer vorgegebenen historischen Wahrheit machen“.

    Muss Südtirol sich den neuen Vorgaben beugen?

    Südtirol verfügt über eine Bildungsautonomie, die es erlaubt, eigene Lehrpläne zu gestalten, solange diese den allgemeinen Bildungsrahmen des italienischen Schulsystems nicht grundlegend verletzen.

    Der aktuelle Stand:

    • Die deutsch- und ladinischsprachigen Schulen in Südtirol gestalten ihre Lehrpläne eigenständig und orientieren sich nicht an den nationalen Bildungsrichtlinien, sondern an den spezifischen Bedürfnissen der Minderheiten.
    • Die italienischsprachigen Schulen in Südtirol können die Lehrpläne modifizieren, um lokale Besonderheiten zu berücksichtigen.
    • Bislang gibt es keine offizielle Stellungnahme der Landesregierung, wie genau sie mit den neuen Vorgaben umgehen wird. Weder die Bildungslandesräte Philipp Achammer und Marco Galateo noch andere Regierungsvertreter haben eine klare Position dazu bezogen.

    Gerade diese Unklarheit ist besorgniserregend. Solange die Landesregierung keine eindeutige Haltung vertritt, bleibt die Frage offen: Wird Südtirol sich klar gegen nationalistische Inhalte stellen – oder wird man stillschweigend Anpassungen akzeptieren?

    Diese fehlende Klarheit ist nicht hinnehmbar. Die Landesregierung muss jetzt Farbe bekennen. Es reicht nicht aus, auf spätere Verhandlungen mit Rom zu verweisen oder von „Anpassungen“ zu sprechen. Die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, ob und wie Südtirol sich gegen jegliche Form von nationalistischer Indoktrination im Schulwesen wehrt.

    Südtirol muss wachsam bleiben

    Die neuen Bildungsrichtlinien 2025 sind ein klarer Schritt in Richtung nationalistisch geprägter Schulbildung. Dass bereits Grundschüler mit patriotischen Heldensagen und nationalen Mythen indoktriniert werden sollen, ist eine gefährliche Entwicklung.

    Dank der Grünen wurde diese Problematik nun auch in Südtirol thematisiert. Die Landesregierung muss jetzt klare Stellung beziehen und sicherstellen, dass Südtirols Bildungslandschaft in Stein gemeißelt bleibt – und nicht zur nationalistischen Erziehungsanstalt wird.

    Südtirols Geschichte ist keine italienische Heldensaga. Sie ist eine eigene, vielschichtige Erzählung – und genau so muss sie auch in den Schulbüchern bleiben.

    Jetzt
    ,
    oder
    oder mit versenden.

    Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite