Südtirols Süden: Der Weg zum touristischen Erfolg durch Synergien
Bereits zu Beginn des Interviews wird klar: Lukas Varesco ist mit Leidenschaft bei der Sache. „Wenn alle Player an einem Strang ziehen, können wir Großes erreichen“, betont er. Diese „Player“ sind die zehn Gemeinden Neumarkt, Auer, Salurn, Aldein, Montan, Truden, Altrei, Margreid, Kurtinig und Kurtatsch, die sich zusammengeschlossen und den Verein „Südtirols Süden“ ins Leben gerufen haben.
Die Entstehung von „Südtirols Süden“
Die Gründung des Vereins fußte auf zwei zentralen Beweggründen. „Zum einen haben sich die Aufgaben der Tourismusvereine in den letzten zwanzig Jahren massiv verändert“, erklärt Varesco. Ursprünglich als Fremdenverkehrsämter gestartet, entwickelten sie sich zu Verkehrsämtern, dann zu Tourismusvereinen und mittlerweile zu Destination-Management-Einheiten. Diese Vielfältigkeit der Aufgaben war für kleine Tourismusvereine kaum noch zu bewältigen.
Der zweite Grund liegt in den Tourismusreformen Südtirols. Aufgaben wie Marketing, die früher Verbänden oder Destinationsmanagementeinheiten übertragen waren, wurden den Tourismusvereinen zugeteilt. „Dies hat den Handlungsdruck auf kleinere Vereine erhöht“, so Varesco. Die Herausforderungen dieser neuen Verantwortung waren besonders für kleine, lokal verankerte Vereine gravierend. Es fehlte an Kapazitäten und Ressourcen, um die neuen Aufgaben effizient umzusetzen.
Doch trotz dieser Herausforderungen steht hinter „Südtirols Süden“ auch ein klarer Gemeinschaftsgedanke. „Mit „Südtirols Süden“ ist etwas zusammengewachsen, das zusammengehört. Wir Unterlandler sind eine Einheit. Wir sind ein ganz eigener Menschenschlag – gemütlich, gesellig und mit gemeinsamen Werten. In der dreijährigen Vorbereitungszeit für “Südtirols Süden” haben wir uns gegenseitig schätzen gelernt. Das möchte ich besonders betonen“, fügt Varesco hinzu. Er hebt hervor, dass diese enge Zusammenarbeit die Grundlage für den Verein darstellt.
Eine Strategie auf Basis von Wein und Bergen
Um die Region touristisch zu positionieren, setzt der Verein auf zwei zentrale Themen: Wein und Berg. „Das Südtiroler Unterland ist prädestiniert für Genießer und Naturfreunde. Im Tal zelebrieren wir den Wein, verbunden mit Architektur, Fortschritt und Lebenskultur. Gleichzeitig bieten wir ein authentisches Naturerlebnis abseits des Massentourismus“, erklärt Varesco.
Das Südtiroler Unterland bietet eine echte Alternative zu überlaufenen Tourismuszielen. „Selbst am 15. August kann man hier wandern, ohne auf eine Menschenseele zu treffen“, hebt Varesco hervor. Genuss und Entschleunigung stehen im Fokus: „Unsere Angebote sind darauf ausgelegt, gestressten Menschen die dringend notwendige Erholung zu bieten.“
Besonders innovativ ist die Kombination aus Wein und Berg, die der Verein kreativ nutzt. „Wir planen keine simplen Radtouren. Unsere zertifizierten Wein-Bike-Guides führen die Gäste zu Weingütern, wo sie den Wein verkosten können. Oder wir kombinieren eine Blätterbach-Führung mit einer Weinverkostung direkt im Bletterbach. Das ist unser Mehrwert“, so Varesco. „Jede dieser Erlebnisse verknüpft die Einzigartigkeit unserer Landschaft mit kulinarischem Genuss, wodurch wir eine ganz neue Zielgruppe ansprechen können.“
Wachstum ohne Übertourismus
Besteht die Gefahr, dass „Südtirols Süden“ eines Tages unter Übertourismus leidet? Laut Varesco nicht. „Die zehn Gemeinden umfassen ein riesiges Gebiet, vom Fennberg bis zum Weißhorn. Dennoch verzeichnen wir nur 500.000 Übernachtungen im Jahr – zum Vergleich: Schenna allein hat 1,1 Millionen“, erläutert er.
Varesco betont, dass die Region nicht nur mehr Touristen verkraften könnte, sondern sie sogar dringend brauche. „In den letzten Jahren haben wir Betten abgebaut und Betriebe mussten schließen. Viele kleinstrukturierte Betriebe sind in Gefahr, auszusterben, weil schlichtweg die Nachfrage fehlt. Wir sprechen hier von Familienbetrieben, die oft die Seele der Region ausmachen. Es gilt, diesen Betrieben eine Perspektive zu geben. Resorts mit 500 Betten wollen wir nicht – sie würden nicht zu uns passen. Aber kleinere Unterkünfte mit 50 bis 80 Betten, die sich harmonisch in die Landschaft einfügen, sind genau das, was wir brauchen.“
Ein herausragendes Beispiel dafür ist das Manna Resort in Montan mit seinen 35 Betten. „Dieses Resort ist ein Vorzeigeprojekt: Es schafft Arbeitsplätze vor Ort, bereichert die Region kulturell und wirtschaftlich und fügt sich perfekt in die Umgebung ein. Genau solche Betriebe zeigen, wie nachhaltiger Tourismus aussehen kann. Sie sind klein genug, um die Authentizität zu bewahren, und groß genug, um eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen“, erklärt Varesco. Darüber hinaus hebt er hervor, dass die Schaffung solcher Strukturen auch junge Menschen motivieren kann, in der Region zu bleiben oder zurückzukehren, anstatt in urbanere Gebiete abzuwandern.
„Ein ausgewogenes Wachstum ist der Schlüssel“, betont Varesco. „Es geht nicht darum, plötzlich eine touristische Boomregion zu werden, sondern schrittweise und nachhaltig zu wachsen, sodass sowohl die lokale Bevölkerung als auch die Natur profitieren.“
Politische Unterstützung und Herausforderungen
In Bezug auf politische Rahmenbedingungen kritisiert Varesco den geltenden Bettenstopp. Dieser gelte auch für touristisch kaum erschlossene Gemeinden, die jedoch mehr Tourismus vertragen könnten. „Reinhold Messner hat es treffend formuliert: ,Südtirol hat nicht zu viel Tourismus, er ist nur falsch verteilt’“, zitiert Varesco. Diese falsche Verteilung behindere nicht nur das Wachstum, sondern bedrohe auch die Existenz kleiner Betriebe, die für das kulturelle und wirtschaftliche Leben in den Gemeinden essenziell sind.
Besonders große Hoffnungen setzt er auf Politiker wie Luis Walcher, der sich für unterentwickelte Regionen einsetzen will. Auch der Präsident der Bezirksgemeinschaft Überetsch-Unterland, Hans Zelger, wird von Varesco gelobt. Beide seien bereit, über konkrete Unterstützungsmaßnahmen zu sprechen. Die Gemeinden des Vereins verdienen laut Varesco ohnehin besondere Anerkennung: „Ohne deren Engagement und finanzielle Unterstützung wäre der Verein nicht möglich gewesen. Denen müsste man ein Denkmal setzen!“
Ein Problem sieht Varesco jedoch im Konzept der Gästekarte, die für Touristen zahlreiche Vorteile bietet, aber kleine Tourismusvereine stark belastet. „Die Tourismusvereine müssen für die Gästekarten der Nichtmitglieder aufkommen. Das ist für kleine Strukturen kaum finanzierbar. Die Idee, dass die Gästekarte die öffentliche Mobilität fördert und der öffentliche Personennahverkehr auch von den Gästen mitfinanziert wird, ist gut. Aber es ist nicht fair, dass kleine Vereine diese Kosten allein tragen müssen. Wir hoffen hier auf eine Lösung, die kleine Strukturen entlastet“, kritisiert Varesco. „Gerade für unsere Region, die sich erst im Aufbau befindet, ist es entscheidend, dass solche Kosten fair verteilt werden“, betont er. Dieses Thema bleibt ein zentraler Punkt seiner Gespräche mit den Verantwortlichen.
Die Vision für Südtirols Süden
Abschließend teilt Varesco seine Vision für das Südtiroler Unterland: „Wir wollen der Region Selbstvertrauen geben und Entwicklungen anstoßen. Unsere Marke soll nach innen Mut machen – sei es bei der Preisgestaltung, bei neuen Projekten oder der Gründung neuer Betriebe. Gleichzeitig legen wir großen Wert auf den Erhalt unserer Landschaft und unseres kulturellen Erbes.“
Jedes Produkt, das der Verein entwickelt, wird zunächst auf seine Bedeutung für die Einheimischen geprüft. „Steht die lokale Bevölkerung dahinter? Erst dann sprechen wir die richtigen Gäste an“, erklärt er.
Mit diesem Ansatz zeigt „Südtirols Süden“, wie eine touristisch unterschätzte Region durch Synergien und Authentizität wachsen kann – nachhaltig und mit Rücksicht auf alle Beteiligten.