Liebe im Widerstand: Jörg und Rosa im Kampf um die Einheit Tirols
Im September 1946 sprechen die Alliierten Südtirol im Friedensvertrag von Paris Italien zu (was zuvor geschah, lesen Sie hier). Alle Selbstbestimmungsrufe waren vergebens! Die Stimmung im ganzen Land ist gedrückt und von neuer Angst erfüllt. Wie würden sich die alten und neuen Machthaber verhalten? Würde es neue Unterdrückung und Verfolgung geben, fragt man sich allenthalben. Jörg Klotz ist entrüstet über diesen „neuerlichen Verrat der Alliierten an ihren eigenen Prinzipien“. Wie können sie ein solches Unrecht, die neuerliche Teilung Tirols zulassen, wie den Keim für neuen Unfrieden legen? Die Alliierten glauben neuer Unterdrückung vorbeugen zu können, indem sie Italien Bedingungen auferlegen.
Es wird verpflichtet, die deutsche Schule und das Recht auf Gebrauch der Muttersprache zu garantieren und die Frage der Staatsbürgerschaft im Geiste der Billigkeit und Weiterherzigkeit zu regeln. Weiters muss es vertraglich das Recht zugestehen, die deutschen Familiennamen, die italianisiert worden waren, wieder zu erwerben. Es muss auch die Gleichberechtigung der deutschen Sprache in den öffentlichen Ämtern zulassen. Die angemessene Verteilung der Beamtenstellen zwischen Deutschen und Italienern wird vorgeschrieben. Das als „Pariser Vertrag“ bezeichnete Abkommen vom 5. September 1946 sieht die volle Gleichberechtigung der deutschsprachigen Bewohner mit den italienischsprachigen vor. Der Bevölkerung wird die Ausübung einer autonomen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt zuerkannt, deren Rahmen allerdings erst noch zu bestimmen ist. Diese unklare Bestimmung sollte jahrzehntelangen Unfrieden verursachen und eine schwere politische Hypothek darstellen.
Geist für Brauchtum und Traditionen gegen die faschistische Unterdrückung
Viele Südtiroler misstrauen den Italienern von Anfang an. Ehemalige faschistische Funktionäre sind in wichtigen Ämtern. Der Staat besetzt die neuen Stellen nur mit Italienern, von denen immer mehr in die Südtiroler Städte und Täler kommen. Schwerbewaffnete italienische Carabinieri und Soldaten sind bis ins kleinste Dorf eingezogen. Auch sie sprechen nur italienisch, genauso wie die Polizei und die Verwaltung. In dieser Situation mit derart gedrückter Stimmung ist es nicht leicht, das Interesse der Bevölkerung für das Tiroler Brauchtum und für das Schützenwesen zu wecken! Jörg aber lässt sich in seinem Vorhaben und seinen Plänen nicht beirren. Gerade weil dem Land die Selbstbestimmung und Freiheit vorenthalten wurde, muss man auf weiteres Leid, auf weitere Enttäuschungen und Ungerechtigkeiten gefasst sein. Es gilt, die Tiroler Identität zu festigen, die deutsche Sprache und das Tiroler Brauchtum zu pflegen. Das ist in vollem Einklang mit Geist und Buchstaben des Pariser Vertrages. Italien könnte Initiativen in diesem Sinne nicht mehr so einfach niederknüppeln oder verbieten wie in der faschistischen Zeit.
Am 19. Januar 1947 stirbt Jörgs Mutter an Typhus. Sie ist die letzte der drei Mütter und Frauen in unmittelbarer Nachbarschaft, die kurz hintereinander an dieser Krankheit zugrunde gehen. Der Schmiedvater und sein jüngster Sohn Jörg, der bis dahin in der Schmiede mitgearbeitet hatte, werden von diesem Schlag hart getroffen. Jörg weiß, dass er allmählich die Schmiede übernehmen und eine eigene Existenz gründen muss. Er will die Lehre bei einem fremden Schmiedemeister abschließen. Der Vater hatte ihm viel beigebracht, aber bei einem Fremden würde er dazulernen.
Seine Schwester Agnes verschafft ihm bei Meister Pernstich in Bozen eine Lehrstelle. Ab Mai 1947 arbeitet Jörg dort, und der Meister hat an ihm von Anfang an eine gute Hilfe. Die technische Ausbildung beim Militär und der Umgang mit allen möglichen Maschinen im Krieg kommen ihm zugute. Meister Pernstich unterrichtet ihn besonders im Kunstschmieden. Er hat viele Aufträge für Grabkreuze, Eisengitter und andere Gegenstände. Samstags nach der Arbeit fährt Jörg zum kränkelnden Vater nach Walten. Dort kümmert er sich auch um den weiteren Aufbau des Schützenwesens.
Das erste Treffen mit seiner zukünftigen Frau
Auf einer der Heimfahrten lernt er die junge Lehrerin Rosa Pöll aus Ulfas im hintersten Passeiertal kennen. Sie ist eines jener Mädchen, welche die Schnellkurse besucht und die „Optantenkinder“ unterrichtet hatten. Der italienische Staat übernahm die Leute ungern in den Schuldienst. Da jedoch zu wenig Lehrkräfte vorhanden waren und die deutsche Schule wieder zugelassen werden musste, bekam Rosa Pöll eine Anstellung als Volksschullehrerin in St. Oswald bei Kastelruth. Sie kommt wegen der Entfernung nur zu größeren Feiertagen, wenn mehrere schulfreie Tage sind, auf den elterlichen Hof. Dort erwarten sie nicht nur die Eltern, sondern auch die meisten ihrer zehn jüngeren Geschwister. Als einzige in der Familie mit einem geregelten Einkommen bestreitet sie manche große Ausgabe, die anfällt. Fast jedes Mal bringt sie ein Paar Schuhe oder ein Kleidungsstück für eines ihrer Geschwister mit. Die Zeiten, in denen sich drei Geschwister ein Paar Schuhe miteinander teilen müssen, sind zum Glück vorbei, aber knapp geht es immer noch zu, wie bei den anderen Bergbauernfamilien auch.
Die Volksschullehrerin Rosa Pöll aus Ulfas und der Schmied Jörg Klotz aus Walten fahren also am selben Samstag im Oktober 1948 mit dem Zug von Bozen nach Meran, um von dort mit dem Autobus ins Passeiertal weiterzureisen. Das Fest Allerheiligen steht bevor. Es liegt in diesem Jahr günstig, da es auf einen Sonntag folgt. Die junge Frau sitzt im Schalterraum des Meraner Bahnhofs und wartet auf das Passeirer Postauto. Sie trägt ein schlichtes schwarzes Trachtenkostüm mit roten Borten. Da kommen zwei Männer in den Raum, der ehemalige Offizier Ennemoser und der viel jüngere Jörg, der einen grauen Steireranzug mit grünen Borten trägt. Ennemoser sieht die junge Lehrerin zuerst. Da ihm ihr Gewand auffällt, fragt er Jörg: „G’hört ihr beide etwa z’amm (zusammen)?“ Da erst nimmt Jörg die fesche Ulfaserin wahr. Er schaut sie kurz an: „Mir unbekannt“, antwortet er knapp. Die beiden jungen Leute treffen einander aber nach Allerheiligen auf der Rückfahrt nach Bozen wieder, und so bahnt sich eine feste Beziehung an, die im April 1950 zur Ehe führt. Jörg möchte früher heiraten, doch kurz vor dem vereinbarten Termin im Herbst 1949 stirbt sein Vater und die Hochzeit muss aufgeschoben werden. Rosa kommt das nicht ungelegen, so kann sie sich beruflich besser absichern. Dass sie weiterhin als Lehrerin tätig sein würde, steht für sie außer Frage. Sie liebt ihren Beruf und will finanziell unabhängig sein. Auch war ihr bei einem Besuch in Walten der desolate Zustand des Hauses aufgefallen. Sie weiß, dass Jörg nicht das Geld hat, um es herzurichten und dass sie wohl ihr Einkommen und ihre Ersparnisse würde dafür verwenden müssen.
Allen Widerständen zum Trotz
Rosa ist knapp 30, Jörg 31 Jahre alt, als sie heiraten. Die beiden verstehen sich vor allem weltanschaulich und politisch. Sie schätzt Jörgs geschichtliches Wissen, die Redegewandtheit und Selbstsicherheit. Sie ist eine starke Persönlichkeit, eine weltoffene Frau, und das gefällt nicht vielen. Bei manchen Geistlichen hatte sie sich wegen ihrer Unerschrockenheit, ganz und gar nicht unterwürfigen Art unbeliebt gemacht. Man glaubte deshalb die Eheschließung hintertreiben zu müssen. Jörg sollte von seinem Entschluss abgebracht werden, indem man auf die mangelnde Gefügigkeit der jungen Frau verweist.
Umgekehrt wird Jörg bei Rosa angeschwärzt. Sie würde beim Schmied ihre blauen Wunder erleben, denn die Männer dort taugen für die Wirtschaft nicht. Der „Herr Jörgl“ sollte eingespannt werden, ihr diesen Bräutigam auszureden. Doch dieser macht der Intrige ein schnelles Ende, indem er verlauten lässt, die Verbindung sei zu begrüßen. Jörg bekomme eine tüchtige Frau, die das Schmiedhaus in Schwung bringen werde, und Rosa einen intelligenten, aufgeschlossenen Mann, der zu ihr passe. Sie sind nicht nur ein starkes, sondern auch ein schönes Paar, das erste im Tal, das in der erneuerten Tracht heiratet und für das verbotenerweise Böller geschossen werden.
Jörg ist glücklich, als seine Frau nach Beendigung des Schuljahres im Sommer 1950 ganz zu ihm nach Walten zieht. Das Haus ist in verwahrlostem Zustand. Anfang der zwanziger Jahre niedergebrannt, war es zu schnell aufgebaut worden, damit die Familie ein Dach über dem Kopf hatte! Es ist schlecht isoliert, überall gibt es Klüfte, durch die der Wind bläst. Vieles wäre zu richten, aber vorerst reicht das Geld nicht. Als erstes wird das Dach hergerichtet. Jörg macht sich mit großem Eifer an die wichtigsten Instandhaltungsarbeiten, zumal der Winter naht.
Rosa bekommt für das Schuljahr 1950/1951 eine Stelle als Volksschullehrerin in Glaiten, einem kleinen Bergdorf zwischen St. Leonhard und Walten. Dies bedeutet, jeden Tag einen Fußmarsch von 3 km zurückzulegen. Sie ist schwanger, und es bahnt sich der schneereichste Winter seit langem an. Morgens ist sie häufig als erste unterwegs. Es schneit manchmal so stark, dass sie durch knietiefen Schnee waten muss. Dann begleitet Jörg sie bis zum Schulhaus, um die Spur zu treten. Wenn große Lawinengefahr herrscht, bleibt sie im kleinen Glaitner Schulhaus. Sie ist froh, dass sie diese Stelle überhaupt bekommen hat und dass sie im Tal bleiben kann. Ihr Einkommen ist größer als das ihres Mannes und die einzige Sicherheit für die Erfüllung der Pläne beim Hausumbau. Sie sparen dafür, wo es möglich ist, nicht aber bei den Ausgaben für Jörgs ideales Vorhaben.
Fortsetzung folgt…
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, der Biografie von Dr. Eva Klotz über ihren Vater.
Klotz, Eva: Georg Klotz. Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols. Eine Biografie. Neumarkt an der Etsch: Effekt Verlag. 2002. ISBN: 3-85485-083-2