Er schwieg selbst unter brutaler Folter
Am 13. Juli 1961 zogen die Carabinieri einen „dicken Fisch“ an Land. Es war der 35-jährige Jörg Pircher aus Lana, zusammen mit Sepp Kerschbaumer einer der Männer der ersten Stunde im Befreiungsausschuss Südtirol (BAS).
Pircher war im Jahre 1958 einer der Begründer der Schützenkompanie Lana, ein Jahr später war er Bezirksmajor für das Burggrafenamt/Passeier. Als er, von der italienischen Justiz zum „Schwerverbrecher“ gestempelt, für sein Land Tirol 8 Jahre lang im Kerker saß, hatten die Schützen des ganzen Bezirks den Mut, ihn als Bezirksmajor nicht abzuwählen.
Nach seiner Verhaftung wurde Jörg Pircher schwer gefoltert. Er konnte nicht mehr gehen und musste aus dem Verhörraum hinausgetragen werden. Er selbst hat darüber nie gesprochen, Mitgefangene haben dies berichtet.
Berta Pircher hatte mitbekommen, was geschehen war. Als sie das erste Mal ins Gefängnis ging, durfte sie ihren Jörg nicht sehen, man gab ihr aber seine Wäsche mit. Da sah sie, „was los war, sie war ganz hin und voller Blut.“
Als sein erster Brief aus dem Gefängnis zu Hause ankam, erkannte Berta Pircher die Schrift ihres Mannes nicht wieder, sie musste ihren Schwiegervater fragen: „Da haben wir alles gewusst. Das wünsche ich niemandem.“ (Zitiert nach: Astrid Kofler: „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 49f)
Über dieses Erlebnis (zitiert nach: „Das Schützenwesen in Lana“ Festschrift im 50. Jahr der Wiedergründung der Schützenkompanie Franz Höfler Lana, Lana 2008, S. 204) hat Jörg Pircher erst lange Zeit später im Kreise seiner Freunde und Schützenkameraden gesprochen. Er hat dieses Geheimnis ebenso wie Sepp Kerschbaumer auch unter der Folter den Carabinieri nicht preisgegeben. Gedankt wurde es ihm von der österreichischen Politik nicht.
Doch, es hat eine Ausnahme gegeben: Der Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer hatte durch das Schützenwesen Jörg Pircher kennengelernt, und die beiden waren persönlich enge und gute Freunde geworden. Als maßgebende politische Kreise in Nordtirol den Landesfestzug des Jahres 1984 als harmlosen Trachtenumzug ausrichten wollten, waren es Jörg Pircher und Eduard Wallnöfer, die dies verhinderten. Jörg Pircher ließ im Zusammenwirken mit anderen ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern im Stillen eine große Dornenkrone als Zeichen des Schmerzes über die Teilung des Landes Tirol anfertigen und am Vorabend des Landesfestzuges mit einem Hubschrauber nach Innsbruck einfliegen. Landeshauptmann Wallnöfer gab überfallsartig am Vortag die amtliche Weisung aus, dass die Dornenkrone im Landesfestzug mitgetragen werde und dass Transparente für die Selbstbestimmung und LandesÂeinheit in ganz Innsbruck aufgehängt werden durften. All das zum großen Verdruss einiger Politiker. Die Bevölkerung jubelte aber den Südtiroler Schützen zu, als die Dornenkrone vorbeigetragen wurde.
Leider hatten auch Jörg Pircher die Folter und acht lange Jahre Haft körperlich schwer gezeichnet. Er war herzleidend geworden und musste lange Klinikaufenthalte auf sich hinnehmen. Im Jahre 1988 starb er im Alter von nur 62 Jahren.
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9