Südtirols zögerlicher Widerstand gegen Italien 1945
Der Mai 1945 markierte eine Schlüsselphase für Südtirol, das seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Italien und Österreich hin- und hergeschoben wurde. Mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Rückzug der deutschen Wehrmacht entstand ein Machtvakuum, das viele als Gelegenheit sahen, Südtirols Zukunft neu zu verhandeln. Doch statt einer entschlossenen Widerstandsbewegung prägten Unsicherheit und Zögerlichkeit das Verhalten der Südtiroler Bevölkerung und ihrer politischen Vertreter.
Historiker und Zeitzeugen beschreiben die Region als unorganisiert, während italienische Befreiungskomitees (Comitati di Liberazione Nazionale, CLN) gezielt Positionen besetzten. Diese Umstände führten dazu, dass Südtiroler Interessen in dieser historischen Übergangsphase kaum vertreten wurden.
Das Versagen der Südtiroler Führung
Ein Hauptkritikpunkt ist die mangelnde Führung und Entschlossenheit der Südtiroler Widerstandsbewegung. Der Andreas-Hofer-Bund (AHB), der von Persönlichkeiten wie Hans Egarter gegründet wurde, setzte sich zwar gegen den Faschismus und Nationalsozialismus ein, blieb jedoch in entscheidenden Momenten passiv. Egarter, der als zentrale Figur des Widerstands angesehen wurde, agierte im Verborgenen und konnte die Bewegung weder koordinieren noch zu einer schlagkräftigen Kraft entwickeln.
Dr. Friedl Volgger, ein potenzieller Anführer der Bewegung, war zu dieser Zeit im KZ Dachau inhaftiert. Sein Fehlen wird als symbolisch für das Führungsdefizit beschrieben, das eine geeinte Position Südtirols verhinderte.
Angst und Zögerlichkeit
Neben fehlenden Führungspersönlichkeiten war die Angst vor Repressionen ein prägendes Merkmal der Südtiroler Gesellschaft. Die Bevölkerung zögerte, klare Positionen zu beziehen, und befürchtete Vergeltungsmaßnahmen durch Partisanen und die italienische Regierung. Historiker sprechen von einer „erschreckenden Kleingeistigkeit und Verwirrung“, die dazu führte, dass Südtirols Interessen in dieser entscheidenden Phase unverteidigt blieben.
Die Unsicherheit war so groß, dass deutsche Amtsträger und Beamte sogar noch kurz vor ihrem Abzug offiziell weiterarbeiteten, bevor sie durch italienische Funktionäre ersetzt wurden. Auch symbolische Aktionen wie das Hissen der österreichischen Flagge wurden nicht umgesetzt, was den Alliierten das Bild einer unentschlossenen Bevölkerung vermittelte.
Kritik aus Österreich: Verpasste Chancen
Österreichische Widerstandskämpfer wie Dr. Ludwig Steiner und Fritz Molden äußerten deutliche Kritik an der Untätigkeit der Südtiroler. Sie argumentierten, dass ein Volksaufstand oder eine klare Positionierung notwendig gewesen wären, um den Anschluss an Österreich zu sichern. Dr. Steiner war überzeugt, dass die Südtiroler ihre Gelegenheit verpasst hatten, während Molden bemängelte, dass wertvolle Zeit durch organisatorische Schwächen verschwendet wurde.
Diese Kritik wird durch den historischen Kontext gestützt: In den letzten Kriegstagen war die politische Bühne in Südtirol weitgehend leer, während italienische CLN-Vertreter ihre Machtpositionen ausbauten. Steiner und Molden sehen die Passivität der Südtiroler als einen der Gründe, warum die Region bei späteren Verhandlungen nicht zugunsten Österreichs berücksichtigt wurde.
Die Perspektive der Alliierten
Die Alliierten, insbesondere die Amerikaner, betrachteten Südtirol als Teil eines politischen Machtspiels zwischen Italien und Österreich. Sie suchten pragmatische Partner, die Stabilität garantieren konnten, und arbeiteten daher mit moderaten Gruppen wie dem Andreas-Hofer-Bund zusammen. Revolutionäre Aktionen, die das fragile Gleichgewicht gestört hätten, waren aus ihrer Sicht nicht erwünscht.
Fritz Molden, der als Verbindungsoffizier der Alliierten in Südtirol tätig war, beschrieb die Südtiroler als hoffnungsvoll, aber ohne klare Vision oder Plan. Er bemängelte, dass die damaligen Politiker nicht in der Lage gewesen seien, die Situation strategisch zu nutzen:
Fritz Molden sollte übrigens ebenso wie Helmut Heuberger in den 1960er-Jahren den Südtiroler Widerstand des “Befreiungsausschuss Südtirol” (BAS) unterstützen.
Fortsetzung folgt…
(Zur Vorgeschichte und zu vorherigen Artikeln hier entlang.)
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ von Dr. Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2020. ISBN: 978-88-97053-68-2