Kunstbahnrodlerin Sandra Robatscher im UT24-Interview
UnserTirol24: Frau Robatscher, danke, dass Sie sich Zeit für das Interview nehmen. Sie bereiten sich gerade auf die neue Saison vor. Wie bereiten Sie sich auf den kommenden Winter oder mental auf einen Wettkampf vor, wenn Sie wissen, dass jede Tausendstelsekunde über Sieg oder Niederlage entscheiden kann? Gibt es gewisse Rituale oder mentale Techniken, die Ihnen helfen, sich stets zu fokussieren und ruhig zu bleiben?
Sandra Robatscher: Ich bereite mich natürlich körperlich, sowie geistig jedes Jahr sehr gut vor. Ich habe inzwischen gelernt, dass nicht nur eine gute körperliche Fitness zählt, sondern auch, dass der Kopf mitspielen muss. Daher habe ich heuer im Sommer im Vergleich zu anderen Jahren vermehrt am Mentaltraining gearbeitet.
Ob das Training genutzt hat, sehe ich dann im Winter bei den Rennen. Was ich aber schon seit Jahren mache und was mir auch immer hilft, ist mein Fokussieren vor einen Wettkampf oder einer Trainingseinheit. Dabei gehe ich im Kopf mehrmals die Bahn durch, entferne mich etwas vom ganzen Trubel und schalte meine speziell zusammengestellte Playlist ein, die aus Pop, Rock, Schlager und Volksmusik besteht.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers
UT24: Das Gefühl, mit hoher Geschwindigkeit und extremen Fliehkräften durch die Kurven des Eiskanals zu fahren, ist für viele schier unbeschreiblich und unvorstellbar. Wie würden Sie die körperlichen und emotionalen Empfindungen während eines Laufs beschreiben? Und gibt es Momente, in denen Sie sich besonders „eins“ mit dem Schlitten und der Bahn fühlen?
Robatscher: Ich liebe es jedes Mal, die Bahn runter zu rauschen. Das Gefühl, wie es dich in die Kurven reindrückt und du spürst, wie dir die Luft wegbleibt, ist jedes Mal ein Wahnsinn. Wenn es kalt ist und die Bahn besonders schnell ist, spürt man die Geschwindigkeit ab einen gewissen Punkt nicht mehr, und da fühle ich mich besonders wohl.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers
UT24: Der Start ist für so manchen Athleten das Um und Auf im Rodeln. Welche Gedanken und Gefühle schwirren Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich am Start vorbereiten? Fühlen Sie mehr Anspannung, Vorfreude, Konzentration oder sogar einen Funken Adrenalin?
Robatscher: Vor jedem Start bin ich immer etwas aufgeregt, speziell vor Rennen. Aber etwas Adrenalin und Nervosität braucht man. Ich gehe meistens nochmals die Bahn durch, sprich mir Mut und Motivation zu und setze mich dann auf den Schlitten. Sobald die Ampel grün wird, atme ich nochmals durch und nehme mein Visier runter, richte den Schlitten gerade und sag zu mir „Auf geats, Sandi“. Aus Nervosität wird Freude und los geht’s.
Sandra Robatscher beim Wettkampf in Altenberg – Alle Fotos: Mareks Galinovskis und Edijs Dzalbs
UT24: Rückschläge gehören zu jedem Sportlerleben dazu. Wie gehen Sie mit Enttäuschungen um, wie zum Beispiel einem missglückten Lauf oder einer Verletzung? Gibt es bestimmte Strategien oder Menschen, die Ihnen helfen, sich wieder zu motivieren, Kraft zu schöpfen und weiterzumachen?
Robatscher: Mein Vater hat immer gesagt: „Wer nicht vom Pferd gefallen ist, saß noch nie drauf, also rauf aufs Pferd“, und beim Sport ist es das Gleiche. Verletzungen und misslungene Läufe gehören dazu. Man lernt nur aus solchen Situationen daraus. Ich hatte schon sehr viele Rückschläge in meiner Karriere, aber ich habe immer wieder den Mut und die Motivation fürs Kämpfen wiedergefunden. Meine Familie, Partner, Freunde und meine Tiere haben mich da immer wieder aufgebaut und super unterstützt.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers
UT24: Rodeln ist ein Hochgeschwindigkeitssport mit einem gewissen Risiko. Wie gehen Sie persönlich mit der Angst oder dem Bewusstsein um, dass etwas schiefgehen könnte? Wie sprechen Sie mit Ihren Liebsten über diese Aspekte des Sports, die sie möglicherweise besorgt machen?
Robatscher: Passieren kann immer was, das wissen auch meine Liebsten. Aber sie wissen, dass ich nichts Unüberlegtes mache und immer das Risiko für eine Verletzung vermeide. Dennoch kann man Stürze nie ganz vermeiden, sie gehören dazu. Das bezeichne ich immer als Berufsrisiko. Daher versuche ich nie mit Angst zu fahren, sondern eher mit Respekt und mit Köpfchen.
Sandra Robatscher in Altenberg – Alle Fotos: Mareks Galinovskis und Edijs Dzalbs
UT24: Die Trainingseinheiten in den wärmeren Jahreszeiten sehen ganz anders aus als im Winter auf dem Eis. Wie gestalten Sie Ihre Trainings, um sich nach bestem Wissen und Gewissen auf die Wintersaison vorzubereiten? Welche Schwerpunkte setzen Sie – zum Beispiel Kraft, Schnelligkeit oder Technik?
Robatscher: Der Wintersportler wird ja im Sommer gemacht, heißt es. Also arbeiten wir da schon an unserer Wettkampfform. Das Training besteht da hauptsächlich aus Krafteinheiten, wo wir meistens in Meransen und Lana sind und an speziellen Geräten arbeiten, die extra für uns gebaut worden sind, mit Ausdauer- und mehreren Schnelligkeits- und Koordinationseinheiten pro Woche. Wir machen auch gemeinsame Trainingslager, bei denen wir auch spielen, Fahrradfahren oder Wandern. Es ist eigentlich ein Mix aus allem, um fit zu bleiben und Muskeln aufzubauen. Im Winter wird das Programm immer etwas enger. Neben Bahntraining und Schlittenbau wird im Kraftraum oder in der Halle dann nur mehr die Fitness erhalten und vermehrt auf Schnelligkeit gearbeitet.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers
UT24: Gibt es eine spezielle Bahn, die Sie besonders lieben oder mit der Sie besondere Erinnerungen und schöne Momente verbinden? Was macht diesen Eiskanal für Sie so außergewöhnlich – ist es folglich die Herausforderung, die Atmosphäre oder vielleicht eine besondere Leistung, die Sie dort erbracht haben?
Robatscher: Die Bahn in Lillehammer ist klar der Favorit. Mir gefallen einfach die Art der Kurvenkombination und die Herausforderung, dort schnell zu sein, das finde ich sehr spannend. Zudem fühle ich mich sehr wohl an dem Ort. Die Lage ist wunderschön, die Appartements sind gut und wir können dort selber kochen – also nur Südtiroler Spezialitäten. Zudem habe ich dort als Juniorin meinen ersten und zwei weitere Juniorenweltcups gewonnen.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers über ihren Weltcup-Lieblingsort Lillehammer
UT24: Wie hat sich Ihr Blick auf das Rodeln im Laufe Ihrer langen Karriere verändert? Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich sagen, das vielleicht am Anfang seiner sportlichen Reise steht?
Robatscher: Weniger ist oft mehr. Ich war und bin auch heute noch sehr ehrgeizig und oft auch übermotiviert. Ich habe immer mehr trainiert als die anderen, oft nach strengen Trainingseinheiten noch eine Runde gelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren, anstatt meinem Körper die nötige Ruhe zu geben.
Im jungen Alter ist es lange gutgegangen, aber als ich älter geworden bin, hat das mein Körper irgendwann nicht mehr mitgemacht. Muskelkater regenerierten langsamer, Verletzungen schlichen sich ein – speziell meine Schultern litten darunter und ich musste viermal operiert werden und mehrere Saisonen komplett auslassen.
Daher würde ich meinem Jungen Ich raten, mehr mit Köpfchen zu arbeiten und auf den Körper zu hören. Nur mit einem gesunden Körper kann man sein ganzes Können zeigen und Rennen gewinnen.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers, über ihren oft zu hohen Ehrgeiz und ihre Übermotivation
UT24: Der Druck von außen kann enorm sein, sei es von Fans, Medien oder der Öffentlichkeit. Wie schützen Sie sich vor diesen Erwartungen und schaffen es, sich auf das zu konzentrieren, was für Sie als Athletin bedeutsam ist?
Robatscher: Den Druck von außen habe ich nie richtig wahrgenommen. Ich wurde zwar immer verglichen mit anderen Mädels oder auch mit meinem Onkel Armin (Zöggeler, Anm. d. Red.), aber ich konnte das sehr gut wegstecken. Ich habe mir immer gesagt, dass ich ich bin und sie sie sind. Vielmehr habe ich mir den Druck eher selber gemacht, speziell nach meinen Verletzungen habe ich mir wenig Zeit gegeben, das Gefühl für den Schlitten wieder zu bekommen. Ich wollte gleich wieder im Weltcup mitmischen. Das ist aber meistens nach hinten losgegangen.
Sandra Robatscher mit ihrem Onkel Armin Zöggeler – Alle Fotos: Mareks Galinovskis und Edijs Dzalbs
UT24: Ihr Team – bestehend aus Trainern, Betreuern und manchmal auch anderen Athletinnen – spielt eine nicht unwesentliche Rolle für Ihren Erfolg. Wie wichtig ist Ihnen diese Unterstützung, und gibt es Augenblicke, in denen ihr als Mannschaft besondere Errungenschaften oder auch Rückschläge zusammen bewältigt habt?
Robatscher: Hinter jedem erfolgreichen Sportler steht ein Team. Ohne meine Trainer würde vieles nicht gehen. Aber auch meine Teamkollegen sind mir sehr wichtig. In der Bahn bin ich zwar alleine, aber es ist immer schön, wenn sich meine Teamkollegen mit mir freuen oder auch mit mir trauern, wenn ein Rennen schlecht gelaufen ist. Wirklich cool sind die Teamevents. Dort fahren wir nicht nur alleine und schauen nicht nur auf uns selber, sondern als Team. Wir gewinnen und verlieren gemeinsam.
UT24: Gab es in Ihrer Karriere Momente, in denen Sie überlegt haben, alles hinzuschmeißen? Wer oder was hat Sie in solchen Zeiten motiviert, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, weiterzukämpfen und an Ihren (sportlichen) Träumen festzuhalten?
Robatscher: Der schlimmste Tiefpunkt in meiner Karriere war sicher jener, als ich mich in der Saison 2021/22 nicht für die Weltcupstarts und für die Olympischen Spiele qualifiziert habe. Ich kam da gerade wieder von einer Verletzungspause zurück, wo ich den Winter zuvor die ganze Saison ausgefallen war. Wir waren damals noch fünf Mädels, aber nur vier Damen durften im Weltcup fahren. Also mussten wir mehrere Qualifikationen fahren und die besten vier Mädels starteten die erste Hälfte der Saison fix und zur zweiten Hälfte hin wurde die schlechteste der vier mit der fünften Dame ausgetauscht.
In China, wo die wichtigste und letzte Qualifikation stattfand, lief es für mich schon die ganze Woche schlecht. Ich kam überhaupt nicht mit der Bahn zurecht und stürzte mehrere Male. Zudem wusste ich, dass ich diese Ausscheidung gewinnen musste, um überhaupt noch eine Chance auf den Weltcup und Olympia zu haben. Aber ich patzte auch bei der Quali und flog aus dem Weltcupkader. Ich dachte mir damals, dass wenn ich zu schlecht fürs eigene Team bin, dann habe ich auch nichts im Weltcup zu suchen. Meine Motivation war im Keller, ich hatte keine Freude mehr und empfand nichts mehr fürs Rodeln.
Das bedeutete das Ende meiner Karriere – ich wollte nicht mehr, wollte nur mehr nach Hause und alles hinschmeißen. Am Abend telefonierte ich mit meinen Eltern und ich wollte ihnen mitteilen, dass ich aufhören will. Da sagte mein Vater zu mir: „Sandi, iats hosch so gekämpft, iats wersch net auheren wenns zach wert!“. Eigentlich hatte er Recht. Drei Schulteroperationen haben mich nicht gestoppt, dann schafft das auch die verpatzte Olympiaqualifikation nicht. Und so kämpfte ich mich zurück in den Weltcupkader und holte mir meinen Fixplatz zurück. Ich habe mir ein neues Ziel gesetzt. Olympia 2026 zu Hause in Cortina. Dort will ich hin.
Sandra Robatscher, Kunstbahnrodlerin aus Tiers, über ihren Karriere-Tiefpunkt
Sandra Robatscher im Eiskanal von Winterberg – Alle Fotos: Mareks Galinovskis und Edijs Dzalbs
UT24: Wenn man die Doppelbewerbe weglässt, kann man behaupten, dass der Rodelsport eher ein Einzelsport ist. Man kennt die Konkurrenz oft sehr gut, zumal man sich bei vielen Wettkämpfen immer wieder aufs Neue begegnet. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie gegen Athletinnen antreten, die auch Ihre Freundinnen sind? Gibt es eine Art von Rivalität oder eher gegenseitige Unterstützung?
Robatscher: Auch wenn Rodeln zwar ein Einzelsport ist, wollen wir aber irgendwie alle das Gleiche: Am Renntag ganz oben stehen, und manchmal profitiert man mehr, wenn man sich Freunde macht und sich etwas gegenseitig hilft. Ein gesunder Konkurrenzkampf gehört da dazu. Wir sind zwar Freunde, und man freut sich über gegenseitige Erfolge, aber dennoch Konkurrenten, das darf man nicht vergessen.
UT24: Danke für das Interview!
Das Interview führte Andreas Raffeiner