von hz 18.10.2024 06:29 Uhr

Hamas-Führer getötet

Der Anführer der islamistischen Hamas im Gazastreifen, Yahya al-Sinwar, ist nach Angaben der israelischen Regierung tot. „Der Massenmörder Yahya al-Sinwar, der für das Massaker und die Gräueltaten des 7. Oktober verantwortlich ist, ist von israelischen Soldaten getötet worden“, erklärte Außenminister Israel Katz am Donnerstagabend nach Angaben seines Sprechers. Auch die Armee bestätigte den Tod Sinwars am Mittwoch im südlichen Gazastreifen. Die Hamas äußerte sich nicht.

Hamas-Führer Sinwar hatte den Angriff auf Israel befohlen - Bild: APA/AFP

Sinwar wurde nach Medienberichten bei einem eher zufälligen Zusammenstoß mit israelischen Soldaten getötet. Die Streitkräfte seien am Mittwoch bei einem Einsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen unterwegs gewesen, berichteten verschiedene israelische Medien. Es sei zu einer Konfrontation mit Sinwar und zwei weiteren bewaffneten Palästinensern gekommen. Erst nach seiner Tötung sei den Soldaten die Ähnlichkeit mit dem Hamas-Chef aufgefallen. Die getöteten Männer hätten große Mengen an Bargeld und gefälschte Pässe bei sich gehabt. Sinwar habe eine Weste mit Handgranaten getragen.

Die israelische Armee bestätigte, Soldaten der 828. Brigade (Bislach) hätten drei Terroristen im Süden des Gazastreifens getötet. Sie seien in den vergangenen Wochen verstärkt im südlichen Teil des Küstenstreifens im Einsatz gewesen, weil Geheimdienstinformationen darauf hingewiesen hätten, dass sich dort ranghohe Hamas-Mitglieder versteckt halten könnten.

Seit einem Jahr herrscht Krieg

Der drahtige, bärtige Mann galt als Planer und Drahtzieher des brutalen Ãœberfalls auf Israel am 7. Oktober 2023 (UT24 berichtete). Terroristen der Hamas und anderer Organisationen im Gazastreifen hatten dabei mehr als 1.200 Menschen getötet und weitere 250 in den Gazastreifen verschleppt. Das schlimmste Massaker an Juden seit dem Holocaust hatte den Gaza-Krieg ausgelöst, der in weiterer Folge die jüngste Eskalation in Nahost nach sich zog – zuletzt den israelischen Militäreinsatz gegen die Hisbollah im Libanon.

Mehrere Hamas-Führer getötet

Sinwar stand seit Beginn des Gaza-Kriegs ganz oben auf Israels Abschussliste. Vor ihm tötete Israel mehrere Spitzenvertreter der Hamas, unter ihnen Mohammed Deif, den Militärkommandeur der islamistischen Organisation (UT24 berichtete). Israel zugeschrieben wird auch der Mordanschlag auf den politischen Führer der Hamas, Ismail Haniyeh, in Teheran (UT24 berichtete). Sinwar, der bis dahin der Hamas-Chef im Gazastreifen gewesen war, übernahm daraufhin die gesamte Führung der Organisation.

Ist die Hamas jetzt besiegt?

Nach dem Tod des Hamas-Führers stellt sich die Frage, ob damit die Hamas besiegt ist. Beobachter halten das nicht für wahrscheinlich. Sinwars Bruder Mohammed spielt eine wichtige Rolle in der Militärstruktur der Hamas. Ob er die Nachfolge Deifs übernommen hat, ist unklar. Er könnte in die Fußstapfen seines Bruders treten. Hinzu kommt, dass die Hamas unter dem Druck der mächtigen israelischen Invasion nicht mehr in klassischen militärischen Formationen kämpft, sondern als Guerilla-Streitkraft, die in kleinen Zellen und dezentral operiert.

Das Schicksal der Geiseln

Weiterhin völlig ungewiss ist das Schicksal von rund 100 Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Hamas befinden. Die Bemühungen um ihre Freilassung dürften sich noch schwieriger gestalten, solange nicht klar ist, wer die Entscheidungen an der Spitze der Hamas trifft. Außerdem könnten ihre Entführer wegen der Tötung von Sinwar Rache an ihnen üben, wie etliche der Geiselangehörigen befürchten.

Chaos und Anarchie im Gazastreifen?

Aber selbst ein Kollaps der Hamas, die bis zum Kriegsausbruch den Gazastreifen mit eiserner Hand regiert hatte, würde nicht unbedingt klare Verhältnisse schaffen. Da Israel keine militärische Verwaltung des Küstengebiets anstrebt und auch sonst keine konkreten Vorstellungen für ein Gaza ohne Hamas zu haben scheint, droht ein gefährliches Machtvakuum. In diesem könnten sich Chaos und Anarchie ausbreiten.

Wer ist die Hamas?

Der 61-jährige Sinwar gehörte zur Gründergeneration der Hamas. Die islamistische Organisation formierte sich während des ersten Palästinenseraufstands Intifada Ende der 1980er-Jahre im Kampf gegen die israelische Besatzung. Nach Beginn des Friedensprozesses zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO verübte die Hamas über Jahre blutige Selbstmordanschläge in Israel, um diesen zu torpedieren. Sinwar war auch am Aufbau des militärischen Hamas-Arms, der Qassam-Brigaden, beteiligt.

Seit 2017 war Sinwar Hamas-Chef im Gazastreifen. Seitdem hatte er immer wieder versucht, die 2006 von Israel verschärfte Blockade des Gazastreifens zu beenden, die über die Jahre auch von Ägypten mitgetragen wurde. Dabei setzte er unter anderem auf gewaltsame Proteste am Trennzaun.

Der „Schlächter von Chan Junis“ ist tot

Geboren wurde er 1962 im Flüchtlingslager von Chan Junis im Süden des Gazastreifens. Seine Familie stammt aus der Gegend der Küstenstadt Aschkelon, heute auf israelischem Staatsgebiet. Sinwar war 1988 wegen Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten von Israel verurteilt worden. Wegen seiner Grausamkeit auch gegen die eigenen Leute war er auch als der „Schlächter von Chan Junis“ bekannt. Er verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte in israelischer Haft und lernte in der Zeit Hebräisch.
2011 kam Sinwar als einer von mehr als 1.000 palästinensischen Häftlingen im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit frei. Nach seiner Freilassung war Sinwar zunächst zuständig für die Verbindung zwischen militärischem und politischem Arm der Hamas.

APA/UT24

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