von gk 17.10.2024 09:00 Uhr

Südtirols ungleicher Kampf gegen die faschistische Unterdrückung

Trotz strenger Überwachung vonseiten Italiens sammelte man in Südtirol Unterschriften gegen die Annexion – doch der Traum von Freiheit endete in einer dunklen Epoche der Gewalt und Assimilation. Die Tiroler südlich des Brenners kämpften mit aller Kraft um ihre Identität, als die Faschisten ihnen ihre Kultur und Sprache zu nehmen drohten.

Faschisten mit Schlagstöcken am Blutsonntag. (Foto: SHB)

Im dritten Teil der Geschichte über Georg Klotz (hier gehts zum zweiten Teil) zeichnet Eva Klotz in ihrem Buch jene Ereignisse nach, die sich nach der Annexion Südtirols durch Italien ereigneten und die ihren Vater prägten.

Trotz italienischer Überwachung wurden durch Boten die Unterschriften sämtlicher Gemeinden Südtirols unter eine Denkschrift gegen die Angliederung an Italien gesammelt. Auf tief verschneiten Hochgebirgspfaden wurden sie heimlich nach Innsbruck gebracht und nach Bern zum amerikanischen Gesandten und zu Wilson weitergeleitet. Die Denkschrift legte offen, dass nach der letzten Volkszählung vor dem Krieg nördlich von Salurn neben 220.000 Deutschen und 9.400 Ladinern nur 7.000 Italiener festgestellt worden waren. Darin inbegriffen jene Italiener aus dem benachbarten Trentino, die sich zu Saisonarbeiten (Obst- und Traubenernte, Holzarbeit u. ä.) nur zeitweilig in Südtirol aufhielten sowie jene Kaufleute, die nur eine gewisse Zeit des Jahres in Bozen verbrachten.

Der amerikanische Präsident Wilson hatte taube Ohren. Alle Versuche Österreichs auf verschiedenen Ebenen, die Zerreissung Tirols zu verhindern, waren umsonst: Die Alliierten gingen über den Aufschrei der Tiroler hinweg und befriedigten die imperialistische Gier Italiens. Sie machten Italien nicht eine einzige Auflage über die Behandlung der nunmehr unter seine Herrschaft gestellten Tiroler.

Damit begann Südtirols Leidensweg. Weitsichtige Politiker erkannten, welche Entwicklung bevorstand. Sie nahmen in Warnungen vorweg, was bald schon bittere Wirklichkeit werden sollte. So prophezeite ein Südtiroler Abgeordneter zur österreichischen Nationalversammlung bei seiner Abschiedsrede:

Es wird jetzt in Südtirol ein Verzweiflungskampf beginnen um jeden Bauernhof, um jedes Stadthaus, um jeden Weingarten. Es wird ein Kampf sein mit allen Mitteln des Geistes und der Politik. Es wird ein Verzweiflungskampf deshalb, weil wir – eine Viertelmillion Deutscher – gegen vierzig Millionen Italiener stehen, wahrhaft ein ungleicher Kampf.

Es gab auch warnende Stimmen aus Italien, wie jene eines römischen Kammerabgeordneten: „Wir sollten nicht in jene neuen Gebiete gehen, um die Exzesse unserer Gesetzgebung dorthin zu bringen … Es handelt sich dort um ernste Völker. Sie brauchen wenige Gesetze und keine einzige unserer Maßnahmen. Wir haben uns in Istrien schon lächerlich gemacht, weil wir unsere ganze Clownerie und Lächerlichkeit dorthin importiert haben.“

Die Angliederung Südtirols an Italien wurde vom römischen Parlament mit 170 Stimmen gegen 48 beschlossen, nachdem alle Anträge auf Volksabstimmung und Schaffung von zwei getrennten Provinzen Südtirol und Trentino von der Mehrheit abgelehnt worden waren. Im Oktober 1920 trat die Annexion formell in Kraft. Dann ging es Schlag auf Schlag. Es begann mit der Unterdrückung der Muttersprache in der Schule, auch wurde der massive Zuzug von Italienern nach Südtirol organisiert. Bei der Volkszählung im Jahr 1921 waren bereits 20.000 Personen italienischer Muttersprache ansässig. Das bedeutet, dass seit 1918 bereits 13.000 Italiener neu zugezogen waren. Man fuhr zwei politische Schienen: Die Umwandlung der Südtiroler zu Italienern durch Verdrängung der deutschen Sprache und Kultur und die Zuwanderung von Italienern. Sollten die Südtiroler doch nicht so schnell zu Italienern werden, dann müssten ebenso viele Italiener angesiedelt werden, dass sich das Verhältnis umkehrte. Alle wichtigen Posten und Stellen waren mit Italienern zu besetzen, sodass die Tiroler von Verwaltung und Einfluss ausgeschlossen blieben. Die völlige Italianisierung war das Ziel, um Südtirol zu dauerhaftem italienischen Territorium zu machen. Diesem Ziel arbeitete der schnell aufkommende Faschismus unter Mussolini bereitwillig in die Hände.

Nach der kulturellen und sozialen Unterdrückung folgte nackte Gewalt! Bereits im Jänner 1921 hatten die Faschisten in Bozen eine Kampftruppe gegründet, und faschistische Horden begannen mit Knüppelterror. Im April 1921 überfielen sie, verstärkt durch einige Hundertschaften aus oberitalienischen Städten, mit Pistolenfeuer und Handgranaten den Festumzug der Bozner Mustermesse. Es gab 48 Verwundete. Ein Lehrer, der zwei Buben in Sicherheit bringen wollte, wurde erschossen. Das war der Auftakt, und fortan beherrschte dieser Terror der Faschisten das politische Geschehen in Südtirol über zwanzig lange Jahre.

Mussolini erklärte dazu:

 

In Italien gibt es mehrere Hunderttausend Faschisten, die bereit sind, Südtirol eher zu zerstören und zu verwüsten, als die Trikolore, die auf der "Vetta d’Italia“ weht, einziehen zu lassen. Wenn die Deutschen verprügelt und zerstampft werden müssen, um Vernunft anzunehmen, wohlan, wir sind bereit!

Drei Wochen vor dem Marsch auf Rom fand in Bozen die Generalprobe dazu statt. Im Oktober 1922 trafen 700 Faschisten in Bozen ein, besetzten die deutsche Schule und das Rathaus, sprengten den Gemeinderat und erzwangen die Absetzung des seit 28 Jahren amtierenden Südtiroler Bürgermeisters. Ein italienischer Kommissär wurde von der römischen Regierung an seine Stelle gesetzt. In den folgenden Jahren löste Rom auch alle anderen Gemeinderäte auf, entmachtete die traditionsreiche Tiroler Gemeindeautonomie, entließ die gewählten Bürgermeister und ernannte faschistische Amtsbürgermeister und italienische Gemeindesekretäre. Das Hauptargument ihrer Regierung war die schnelle und wirksame Auseinandersetzung der faschistischen Kräfte. Die Faschisten gingen systematisch und ohne Skrupel vor. Eigene Sprachverordnungen verboten den Gebrauch der deutschen Sprache nicht nur in Ämtern, sondern auch auf Grabinschriften und auf allen Tafeln und Aufschriften. 1923 wurde der Name Tirol und die Verwendung der gewachsenen Ortsnamen verboten. Es durften im amtlichen und sogar im privaten Verkehr nur noch die Tolomeischen Namen verwendet werden. Südtirol hieß von nun an nur noch „Alto Adige“. Auch alle in Verbindung mit „Tirol“ stehenden Bezeichnungen wurden verboten, und bald waren auch alle Straßen- und Wegbezeichnungen nur noch italienisch.

Deutschunterricht nur in Katakombenschulen

Da die Schule das Herzstück des kulturellen und geistigen Lebens jeder Gemeinschaft ist, gingen die Faschisten gegen sie vor. In allen Schulen wurde die italienische Unterrichtssprache eingeführt und der Deutschunterricht bei schwerster Strafe verboten. Waren bereits 1923 die deutschen Volks-, Mittel- und Fachschulen italianisiert worden, so wurde im Mai 1924 die Italianisierung aller Kindergärten und Kinderheime sowie die Aufhebung der deutschen Lehrerbildungsanstalt in Bozen verordnet, weil sie als „überflüssig“ eingestuft worden war. Auch der Religionsunterricht in deutscher Sprache wurde in den Schulen verboten. Die Kirche in Südtirol wies den Klerus jedoch daraufhin an, in Kirchen und Pfarrhäusern den Religionsunterricht in deutscher Sprache abzuhalten. Damit hat sie den faschistischen Angriffen erfolgreich getrotzt. Mit der Italianisierung des Schul- und Beamtenwesens in Südtirol wurden auch die deutschen Lehrer und Beamten „überflüssig“. In ihre Stellen kamen Italiener aus allen Teilen des Stiefels. Die Folgen der Auflösung des deutschen Schulwesens in Südtirol waren verheerend. Die Jugend der Jahrgänge bis in die vierziger Jahre war zum Halbanalphabetentum verurteilt. Sie lernten weder richtig Italienisch noch Deutsch. In den paar Stunden Religionsunterricht in deutscher Sprache konnte das Lesen und Schreiben in deutscher Sprache nicht ausreichend vermittelt werden. In ganz Südtirol wurde zwar von beherzten Freiwilligen geheimer Unterricht in deutscher Sprache abgehalten, aber es konnten nur wenige Grundkenntnisse vermittelt werden. Der Geheimunterricht wurde in Scheunen, Bauernstuben und Kellern abgehalten, deshalb sprach man von den „Katakombenschulen“. Lehrer und Schüler mussten dabei in ständiger Angst leben, entdeckt zu werden. Vielfach war dies auch der Fall, es gab immer wieder Hausdurchsuchungen. Die Strafen für die Eltern, vor allem aber für die Lehrer, waren hart: Gar manche verdienten Lehrer landeten im Gefängnis oder in Verbannung auf den Malariainseln. Viele überlebten die Verfolgung nicht.

Ein Land kämpft um seine kulturelle Identität

Man muss sich vorstellen, wie der Schulunterricht jener zwanzig Jahre ablief. Da stand plötzlich ein Lehrer oder eine Lehrerin, die kein Wort Deutsch konnten, Kindern gegenüber, die kein Wort Italienisch verstanden! In vielen Bergdörfern waren einklassige Volksschulen. Die sechsjährigen Erstklässler bis zu den Vierzehnjährigen der letzten Klasse wurden gleichzeitig in ein und demselben Raum unterrichtet. Es verwundert nicht, dass viele Kinder überhaupt nicht mehr in die Schule wollten und nur mit Unwillen lernten. Eine ganze Generation wurde um ihre sprachliche und kulturelle Grundbildung betrogen! Eine weitere Stoßrichtung der faschistischen Unterdrückungspolitik zielte auf das reiche Vereinsleben ab und alles, was mit Tiroler Sitten, Bräuchen und Tradition zu tun hatte. Kulturelle Vereine und Verbände, die Sport-, Gesellen- und anderen Vereine wurden aufgelöst und deren Vermögen beschlagnahmt. Die Schützenkompanien hatten ihre Ausrückungen und Tätigkeiten bereits früher einstellen müssen und wurden verboten. Es durften keine deutschen Lieder mehr gesungen werden, auch das Abbrennen der traditionellen Holepfann- und Herz-Jesu-Feuer mit religiösem Hintergrund wurde strengstens verboten. Das Land sollte seine kulturelle Identität gänzlich und schnell verlieren. Hand in Hand mit dem Kampf gegen die deutsche Sprache, Kultur und Verwaltung ging die Kontrolle über das Pressewesen durch Zensur und Verbote. Auch die wirtschaftliche Basis der Südtiroler wurde untergraben. Der Großteil der angestammten Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig. Die im Bauernbund organisierten Südtiroler waren ein Bollwerk des Tirolertums. Deswegen wurde diesem der Kampf angesagt. Der Vorstand des Bundes wurde kurzerhand aufgelöst. Schließlich wurde die Bozner Handelskammer, das Herzstück der wirtschaftlichen Organisation, aufgelöst. Italienische Geldinstitute, die den Bauern Kredite teilweise aufgedrängt hatten, trieben ihre Guthaben später rücksichtslos ein. Eine eigene staatlich geförderte Einrichtung, das „Ente delle Tre Venezie“ (Körperschaft der Drei Venezien), kaufte viele verschuldete Höfe günstig auf und kam so zu großen Gütern und zahlreichen Höfen. Es wurde die Ansiedlung italienischer Bauern betrieben, um auch den Städten auch im ländlichen Gebiet Zentren zu bilden, welche die Italianisierung vorantreiben sollten.

Die Majorisierungspolitik schreitet voran

Anfang der dreißiger Jahre musste man in Rom und Bozen jedoch erkennen, dass sich die Südtiroler auch mit den radikalsten Methoden nicht zu Italienern umwandeln ließen. Aber wurde noch entschiedener die Schiene des massiven Zuzugs von Italienern betrieben. Für sie mussten Arbeitsplätze und Wohnungen geschaffen werden. Die Grundstücke für die Errichtung der Fabriks- und Wohnanlagen wurden den Südtirolern zu einem Spottpreis enteignet. Südlich von Bozen wurden 300 Hektar intensiver Obst- und Weinbauliche vernichtet, Tausende von Obstbäumen und Edelreben mit den vor der Reife stehenden Früchten vernichtet, um eine riesige Industrieanlage zu errichten. Der Staat gewährte großzügige Begünstigungen, besonders hinsichtlich der Transportkosten, und Steuerbefreiungen, da die Betriebe wegen ihres ungünstigen Standortes nicht lebensfähig geworden wären. Südtiroler durften dort nicht beschäftigt werden, obwohl es im Land infolge der Weltwirtschaftskrise und der Aussperrung der öffentlichen Stellen viele Arbeitslose gab. Diese Zuwanderungspolitik zeigte die nachhaltigste Wirkung.

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, der Biografie von Dr. Eva Klotz über ihren Vater.

Klotz, Eva: Georg Klotz. Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols. Eine Biografie. Neumarkt an der Etsch: Effekt Verlag. 2002. ISBN: 3-85485-083-2

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite