von red 23.09.2024 17:00 Uhr

„Herzenssache Südtirol“ – Militärhistoriker Hubert Speckner im UT24-Interview

Der renommierte österreichische Militärhistoriker Hubert Speckner hat sich intensiv mit der Südtirolfrage beschäftigt – ein Thema, das nicht nur historisch, sondern auch politisch von großer Bedeutung ist. Im UnserTirol24-Interview spricht er über seine langjährige Arbeit, seine überraschenden Erkenntnisse, den Stellenwert Südtirols in der österreichischen Politik und sein vierbändiges Mammutwerk, welches jedem, der sich mit der „Herzenssache Südtirol“ beschäftigt, wärmstens zu empfehlen ist.

Hubert Speckner - Foto: Elmar Thaler/effekt!-Verlag

Unser Tirol24: Herr Speckner, seit wann beschäftigen Sie sich mit der Südtirolfrage?

Hubert Speckner: In meiner Funktion als Militärhistoriker des österreichischen Bundesheeres befasste ich mich zu dessen Gedenkjahr 2007 auch mit dem militärischen Einsatz zur Grenzsicherung gegenüber Südtirol und Italien im Jahr 1967. Dieser Einsatz war eine direkte Folge des „Vorfalls“ auf der Porzescharte am 25. Juni 1967, dem vier italienische Soldaten zum Opfer fielen. Italien übte gegenüber Österreich bereits seit Jahren im sogenannten „Notenkrieg“ beträchtlichen außenpolitischen Druck aus bis hin zum Veto gegen Österreichs Assoziationsverhandlungen zur „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG). Das Hauptargument war, Österreich unternehme zu wenig gegen den Terrorismus in Südtirol, da die Aktivisten des „Befreiungsausschuss Südtirol“ in Österreich wohlgeduldet Unterschlupf finden und von dort aus ihre Anschläge in Südtirol und Italien planen und durchführen würden. Der wahre Hintergrund war allerdings der Versuch Italiens, Österreich aus seiner völkerrechtlichen Schutzmachtfunktion für die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler hinauszudrängen.

So kamen die Anschläge der italienischen Außen- wie Innenpolitik äußerst gelegen. Die intensive Forschungsarbeit besonders an den „spektakulären“ Anschlägen in den Jahren 1966 und 1967 zeigte aber bald, dass hier in der offiziellen Darstellung durch Italien manche Unstimmigkeiten vorliegen.

Fortan ließ mich die Thematik nicht mehr los, zumal sehr viele und noch vielfach unbesehene Akten dazu existieren.

UT24: Wer nahm das erste Mal die „Herzenssache Südtirol“ in den Mund?

Speckner: Der erste demokratisch gewählte Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, Ing. Leopold Figl, sagte in seiner Antrittsrede am 21. Dezember 1945 die Worte „Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, und das ist Südtirol“. Aus der „Herzenssache“ wurde im Laufe der Jahre die „Herzensangelegenheit“. Seit vielen Jahren werden diese Begriffe in der österreichischen Politik aber kaum noch verwendet.

Aus der „Herzenssache“ wurde im Laufe der Jahre die „Herzensangelegenheit“. Seit vielen Jahren werden diese Begriffe in der österreichischen Politik aber kaum noch verwendet.

Hubert Speckner

UT24: Wie kam es zur Entstehung Ihres vierbändigen und über 3.000 Seiten umfassenden Mammutwerks mit dem gleichen Titel?

Speckner: Im Zuge meiner nun schon langjährigen Forschungsarbeit zur Südtirol-Frage fiel mir auf, dass die zahlreichen Wortmeldungen, parlamentarischen Anfragen und Beantwortungen, Anfragen oder Petitionen dazu in der zeithistorischen Forschung nur minimal Beachtung finden. Dann kamen die „Corona-Lockdowns“ mit Sperrung der Archive und „Homeoffice“ und daher entschloss ich mich 2020, das Thema „Südtirol in den Nationalratssitzungen der zweiten Republik Österreich“ anzugehen.

„Herzenssache“ Südtirol… von Hubert Speckner – Foto: Elmar Thaler/effekt!-Verlag

UT24: Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen, was war für Sie neu?

Speckner: Ich dachte ursprünglich, mit den Diskussionen zum „Südtirol-Paket“ und dem Autonomieabkommen 1972 wäre das Thema im Nationalrat weitgehend beendet, abgesehen natürlich von der österreichischen Streitbeilegungserklärung 1992 und dann noch den Debatten um die Gewährung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler. Aber weit gefehlt. Ich merkte bald, dass die Südtirol-Frage außer zu diesen Höhepunkten durch alle sogenannten „Gesetzgebungsperioden“ und Regierungen lief, zumindest bis Anfang 2020. Eine eher bittere Erkenntnis aus dieser Arbeit war die augenfällige Ahnungslosigkeit so mancher Politiker in der Thematik erkennen zu müssen.

Eine eher bittere Erkenntnis aus dieser Arbeit war die augenfällige Ahnungslosigkeit so mancher Politiker in der Thematik erkennen zu müssen.

Hubert Speckner bei seiner Forschung zur Südtirol-Frage im österreichischen Parlament

UT24: Welche Parteien zeig(t)en den größten Einsatz für Südtirol?

Speckner: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Südtirol-Frage eben die „Herzenssache“ einzelner Abgeordneter, und dies durch die „alten Parteien“, war. Hier sind besonders Franz Gschnitzer (ÖVP), Bruno Kreisky (SPÖ), Felix Ermacora (ÖVP) und in der Gegenwart Werner Neubauer (FPÖ) neben einigen anderen Abgeordneten zu nennen. Die meisten Wortmeldungen gingen auf das Konto von Universitäts-Professor Dr. Ermacora, die meisten schriftlichen Anfragen auf das Konto von Werner Neubauer, MA. Im letzten Band der Arbeit findet sich dazu eine genaue Statistik.

UT24: Was ist das Schöne an der historischen Forschung, wann blüht Ihr Herz als Historiker auf?

Speckner: Das Herz eines Historikers schlägt natürlich höher, wenn er im Archiv bisher nicht eingesehene Akten finden darf, was natürlich die gute Zusammenarbeit mit den Archivaren bedingt. Dies passierte beispielsweise bei meiner Arbeit über die „Porzescharte“.

Hubert Speckner mit seiner Arbeit über die „Porzescharte“ – Foto: Elmar Thaler/effekt!-Verlag

UT24: Lange war das Innsbrucker Universitätsinstitut für Zeitgeschichte in Südtirolthemen führend. Wirft das Thema keine neuen Fragen an die Forschung auf?

Speckner: Es würde absolut genug offene Forschungsfragen geben, derzeit scheint das universitäre Interesse – auch in Innsbruck – dazu aber eher gering zu sein.

UT24: Ist die Südtirolfrage erst nach der Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes gelöst?

Speckner: Die Südtirolfrage wäre wahrscheinlich auch bei einer „echten“ Autonomie zu einem gewissen Grad gelöst, aber hier hapert es ja leider! Die völkerrechtliche Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker hat natürlich seine Bedeutung.

Die Südtirolfrage wäre wahrscheinlich auch bei einer „echten“ Autonomie zu einem gewissen Grad gelöst, aber hier hapert es ja leider!

Hubert Speckner

UT24: Kann der historisch interessierte Laie nach der Lektüre Ihres Werkes aus der Geschichte lernen oder den Ansatz eines Versuchs starten?

Speckner: Wir könnten immer aus der Geschichte lernen – wenn wir wollten!

UT24: Ein persönliches Schlussresümee…

Speckner: Wie oben erwähnt, ein stärkeres Interesse an der Südtirol-Frage sowohl in der zeitgeschichtlichen Forschung wie in der Politik wäre schon sehr wünschenswert – Stichwort „Herzenssache“!

UT24: Danke für das Interview!

Das Interview führte Andreas Raffeiner

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