von red 17.09.2024 17:00 Uhr

Demokratie unter Druck: Herausforderungen, Chancen und das Streben nach Selbstbestimmung – Gilbert Gornig im UT24-Interview

In einer Phase tiefgreifender globaler Herausforderungen und sozialer Veränderungen wie der gegenwärtigen steht die Demokratie vor einer Vielzahl komplexer Aufgaben. Der deutsche Staats- und Völkerrechtler Gilbert Gornig beleuchtet im UnserTirol24-Gespräch zum vorgestrigen Tag der Demokratie nicht nur die fundamentale Bedeutung der Demokratie als Staatsform, sondern auch die wachsende Kluft zwischen der politischen Führung und den Bürgern, die zunehmend das Vertrauen in politische Prozesse verlieren.

Gilbert Gornig bei einer Reise nach Botswana - Foto: privat

Zudem warnt er vor den Gefahren autoritärer Regime wie China, deren wachsender Einfluss und alternative Regierungsmodelle Demokratien weltweit unter Druck setzen. Gornig geht auch auf die tiefgreifenden Auswirkungen der Digitalisierung ein. Ein weiteres Thema ist auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das als eines der grundlegendsten demokratischen Rechte angesehen wird. In diesem Zusammenhang wird das Beispiel Südtirol erwähnt.

UnserTirol24: Herr Professor Gornig, was bedeutet Demokratie für Sie persönlich?

Gilbert Gornig: Für mich bedeutet Demokratie die Freude in einem freien Land zu leben, mit Hilfe der Meinungsäußerungsfreiheit die Möglichkeit zu haben Anregungen zu geben und Kritik zu äußern, ohne bestraft zu werden und bei Wahlen mich frei zwischen verschiedenen Angeboten zu entscheiden.

UT24: Welche globalen Herausforderungen sehen Sie für Demokratien heute?

Gornig: Die Erfolge des Regimes in der Volksrepublik China können auf den ersten Blick eine Gefahr für freiheitliche demokratische Systeme darstellen. Das Land investiert massiv in das Wohl der Bevölkerung, baut seine Infrastruktur rasant aus und bietet Sicherheit und öffentliche Ordnung. Auch ermöglicht es den Bürgern, ins Ausland zu reisen. Allerdings fehlt die politische Mitbestimmung.

Solange der Lebensstandard steigt, ignorieren viele die politische Situation. Doch wie die Proteste während der Pandemie zeigen, kann sich dies schnell ändern. Die Regierung überwacht die Bürger, um mögliche Aufstände zu verhindern. Trotz wirtschaftlichen Wohlstands bleibt das Streben nach Freiheit ein starkes menschliches Bedürfnis, wie Beispiele aus der Geschichte zeigen.

Unterwegs in Shanghai – Foto: privat

Solange der Lebensstandard steigt, ignorieren viele die politische Situation. Doch wie die Proteste während der Pandemie zeigen, kann sich dies schnell ändern.

Gilbert Gornig, Staats- und Völkerrechtler

UT24: Inwiefern wächst das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen, und wie kann es überwunden werden?

Gornig: Das Misstrauen wächst, wenn Parteien in einer Demokratie nur noch ihre Ideologie verfolgen, Minderheiteninteressen über die der Mehrheit stellen und die Mitte der Gesellschaft vernachlässigen. Wenn eine Partei der Mitte zu weit nach links oder rechts abdriftet, entstehen oft neue Parteien, die jedoch von extremen Kräften übernommen werden können, was das Land unregierbar macht. Zudem schwindet das Vertrauen, wenn politische Führungspersonen ohne Bildung und Lernbereitschaft ihre Inkompetenz öffentlich zur Schau stellen dürfen.

Im Senat von Santiago de Chile – Foto: privat

Das Vertrauen in die Politik schwindet, wenn politische Führungspersonen ohne Bildung und Lernbereitschaft ihre Inkompetenz öffentlich zur Schau stellen dürfen.

Gilbert Gornig, Staats- und Völkerrechtler

UT24: Immer mehr Menschen zweifeln am Funktionieren der Demokratie hierzulande. Was läuft da falsch?

Gornig: Allerorts wächst das Misstrauen, wenn eine Regierungskoalition die von der vorherigen Führung hinterlassenen Probleme nicht einig angeht. Menschen zweifeln an der Demokratie und wünschen sich starke Führung. Die Interessen von Minderheiten scheinen oft wichtiger als die der Mehrheit, und ideologische Vorgaben greifen tief in das persönliche Leben ein.

Schlechte Gesetzgebung und ahnungslose Politiker schaden dem Land. Ungeordnete Zuwanderung bedroht Heimat und Sicherheit, während die Politik mehr auf Machterhalt als auf das Gemeinwohl fokussiert ist. Dadurch werden extrem rechte und linke Parteien gestärkt.

Mit chinesischen Studenten an der Universität La Sapienza in Rom – Foto: privat

Ungeordnete Zuwanderung bedroht Heimat und Sicherheit, während die Politik mehr auf Machterhalt als auf das Gemeinwohl fokussiert ist.

Gilbert Gornig, Staats- und Völkerrechtler

UT24: Ein Blick ins Jetzt: Wie beeinflusst die Digitalisierung die Demokratie?

Gornig: Die Digitalisierung kann für die Menschen ein Segen sein, sie kann aber auch, wie Putins Trolle und Trumps Fakes zeigen, die Menschen desinformieren und zu falschen Entscheidungen veranlassen.

Professor Gilbert Gornig in Kaohsiung in Taiwan – Foto: privat

UT24: Wie ist es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker bestellt? Gehen Sie bitte hier auf das Beispiel Südtirol ein!

Gornig: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Volksgruppen ist Bestandteil des geltenden Völkerrechts. Es wird heute als gewohnheitsrechtlicher Grundsatz und ius cogens (dt. zwingendes Recht, Anm. A. R.) respektiert. Es ist daher nicht zulässig, dass ein Staat gewaltsam die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes oder einer Volksgruppe unterdrückt. Ein Rechtsanspruch auf Selbstbestimmung kann aber nur dann gegeben sein, wenn sich das Volk in dem durch die Staatsgrenzen bestimmten Gebiet in seiner Gesamtheit von der Mehrheitsbevölkerung des Gesamtstaates unterscheidet und in seinem Gebiet geschlossen lebt.

Die deutsche Volksgruppe in Südtirol ist daher grundsätzlich Träger des Selbstbestimmungsrechts. Problematisch ist aber, ob einem Volk nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker das Recht zugestanden werden soll, sich von seinem Staatsgebiet abzuspalten. Die Friendly-Relations-Declaration vom 24. Oktober 1970 stellt für den Fall der Lostrennung von einem bestehenden Staat strenge Voraussetzungen auf. Man kann daher einem Volk nur dann ein Recht zur Abspaltung zugestehen, wenn der Staat, zu dem es als Minderheit gehört, die Selbstbestimmung innerhalb des Staates versagt. Nur massive Menschenrechtsverletzungen und unzumutbare Diskriminierungen eines Volkes erlauben somit eine Sezession.

Professor Gilbert Gornig in Namibia – Foto: privat

Nur massive Menschenrechtsverletzungen und unzumutbare Diskriminierungen eines Volkes erlauben eine Sezession.

Gilbert Gornig, Staats- und Völkerrechtler

UT24: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Raffeiner

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