von gk 10.09.2024 09:17 Uhr

Mut und Widerstand: Zwei Freunde gegen das Nazi-Regime

Im Sommer 1943 wagten Leo Gutmann und Jakob Steixner einen gefährlichen Akt des Widerstands: Sie erklommen den Olperer, einen der höchsten Gipfel Tirols, und entfernten ein 60 Kilogramm schweres Hakenkreuz-Banner, das von den Nazis gehisst worden war. Sie setzten damit ein mutiges Zeichen gegen die Unterdrückung.

Die Hakenkreuzstandarte am Gipfel des Olperer (3476 m) in den Zillertaler Alpen (Bild aus: Zeitgeschichte Tirols, Tyrolia/Athesia).

Im ersten Teil unserer Zeitzeugenserie (zum Bericht: Widerstand und Glaube) tauchten wir in die Erinnerungen eines ehemaligen Schülers des Reithmanngymnasiums Innsbruck ein, der von prägenden Begegnungen mit Georg Schuchter, einem Priester, der in den 1930er- und 40er-Jahren mutig gegen die nationalsozialistische Unterdrückung stand, berichtete. Nun im zweiten Teil des Zeitzeugenserie geht es um zwei junge, mutige Burschen, die sich gegen das Nazi-Regime auflehnten.

So wie Schuchter war der Innsbrucker Leo Gutmann (*1920 +1972), der in der Tschurtschentalerstraße 5 in unmittelbarer Nähe des Canisianums aufwuchs und am Akademischen Gymnasium maturierte, am 25. Mai 1940 Zeuge der Beschlagnahme des „Männerheimes“.  Die Theologiestudenten kamen in Höfen der näheren Umgebung unter. Sie wurden sofort aufgenommen und gut versorgt; die Gastfreundschaft der warmherzigen Familien war ungemein stark ausgeprägt – so auch die der Familie Josef „Sepp“ Mair vom „Glasenhof“, in dem Schuchter und Gutmann untergebracht waren, bevor sie zwecks Fortsetzung des Studiums weiter nach St. Georgen am Längsee zogen. Zu den Osterferien 1941 kamen sie nach Hause, erfuhren von der Aufhebung der Waldrast und besuchten die Familie des Sepp Mair. Am 20. April beteten vor der versperrten Kirche hunderte von Menschen aus dem Wipp- und Stubaital den Rosenkranz. Gutmann traf, so erzählt mir sein gleichnamiger, in Silz wohnhafter Sohn, auf Jakob „Joggl“ Steixner und die Innsbruckerin Maria Thaler, und er verliebte sich alsbald in die vorerst in Fulpmes, später in Fendels tätige Volksschullehrerin. Er sattelte auf Medizin um; nach der Heirat anno 48 übte er zwischen 49 und 72 seinen Beruf als Facharzt der Zahnheilkunde in der Innsbrucker Fallmerayerstraße 3 aus.

  • Links: Gottfried Mair vom Glasnhof in Schöfens, Sohn des Sepp Mair. Rechts: Rosl Steixner in Schönberg (Bilder: Privat, Christian Rosenkranz)

Gutmann wurde 1941 zum Militärdienst einberufen. Er kämpfte nach Abschluss des Balkanfeldzuges an verschiedenen Fronten auf dem griechischen Festland. Auf Kreta wurde er durch Granatsplitter verletzt. Im weiteren Verlauf war er in der Sanitätsabteilung der Innsbrucker Kloster- bzw. Fenner-Kaserne, die 1992 abgerissen wurde, tätig. Dort kam er wieder mit Steixner (*1920 +1985), seinem „Joggl“, zusammen. Die zwei – ab jetzt als Leo und Joggl geführt – kannten sich bereits aus der Zeit, als Schuchter in Mieders und Schönberg tätig war. Wie mir Monika Ullmann, seine Tochter, sowie Rosl und Luis Steixner, seine beiden zwar betagten, aber geistig noch erfrischend jungen Geschwister, eröffnen, war Joggl bereits in jungen Jahren ein dynamischer Bursch – ein Mensch, der geselligen Umgang liebte und sich daher in der Pfarrjugend und Jungbauernschaft stark engagierte. Wie Leo war er Opfer des Kriegsgeschehens: Millerowo, ein 220 km nördlich von Rostow am Don gelegener Ort, im Juli 1942 von der deutschen Wehrmacht besetzt, wurde Anfang 1943 von Truppen der Südwestfront der Roten Armee zurückerobert. Wunden, die er im Zuge der Gefechte erlitt, ließ er deshalb nicht gut genug pflegen, um deren Heilung hinauszuzögern und eine Absenz vom Kriegsdienst begründen zu können. Über die Stationenkaserne Glasenbach bei Salzburg und Jägerkaserne in Kufstein kam er nach Innsbruck, wo er fortan für das Munitionslager verantwortlich zeichnete. Nach Kriegsende blieb Joggl seiner Leidenschaft, der Arbeit in der Landwirtschaft, treu, zumal er Tätigkeiten als Verwalter von Wirtschaftsbetrieben in Hall in Tirol, Zams und Volders ausübte, bevor er mit seiner Gattin Paula Lenhart zurück nach Schönberg zog, um dort erst einmal den Simelerhof zu führen. An dessen Stelle wurde 1968 das Hotel Stubai errichtet.

  • Der Olperer (Bild: privat, Ch. Rosenkranz)

Leo und Joggl waren während ihrer gemeinsamen Zeit in der Klosterkaserne Teil eines engmaschigen Netzes von Widerstandsgruppen. Ich kann nur schwer erahnen, wie beklemmend für die zwei die damalige, von Unterwürfigkeit durchtränkte Zeit, gewesen sein muss. Für sie war „das stolze Banner Großdeutschlands“, „ein ganz aus Eisen gearbeitetes Hakenkreuzbanner im Gesamtgewicht von 60 Kilogramm“, das – wie die „Salzburger Zeitung“ (Freitag, 29. April 1938, Seite 8) meldete – von der „SA der Magnesitwerke Tux im Zillertal … auf dem 3480 Meter hohen Olperer …“ gehisst, schon längst ein Dorn im Auge. Ihnen waren die Worte des Bergliedes „Wenn ich auf hohen Bergen steh“ – „Die Berge sind mein Gotteshaus, der Jodler mein Gebet, hoch droben auf den Bergen der Herrgott selber steht!“ – bestens vertraut.

„Der König der Tuxer Alpen“ ist ein alpinistisch anspruchsvoller Gipfel, dessen markante Gestalt das Landschaftsbild im Wipptal Richtung Brenner bestimmt. Leos und Joggls vor Zorn in den Hosensäcken geballten Fäuste sollten in offenem Widerstand sichtbar werden. Mit Mut und Optimismus nahmen die zwei, die sich immer wieder als Rad- und Bergsportler hervortaten, die Verwirklichung ihrer Idee in Angriff, denn „wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft“ (Marie von Ebner-Eschenbach). Um sich abzusichern, beantragten sie im Sekretariat des „Deutschen Alpenvereins Zweig Innsbruck“ die „Mitgliedskarte“. Es ist davon auszugehen, dass die beiden gründlichst „abgeklopft“ wurden, um festzustellen, ob sie politisch zuverlässig sind. Das Gelände, in das sie aufbrachen, war das Valsertal, an dessen Ende sich heute noch Spuren einer kompletten Bergwerksanlage befinden: Abbaustollen, Erzseilbahn und Aufbereitung. Errichtet hatten sie Kriegsgefangene, Zwangs- und Fremdarbeiter aus Italien, Frankreich, Jugoslawien und der Sowjetunion. Unter dem Kommando der Wehrmacht sollte diese Anlage das kriegswichtige Edelmetall Molybdän liefern; es wurde jedoch nie gefördert. Ende Mai 1942 kamen 59 Mann „Ostarbeiter“ in Außervals an; dort – auf der dem Schneiderhof gegenüberliegenden Bachseite – war eine Gemeinschaftsbaracke aufgestellt. Aufgabe der Gefolgschaft war es, Straßen- und Kabellegungsarbeiten zu verrichten. Die Bergbaumannschaft des bereits im Sommer 1941 begonnenen Betriebes war im Winterraum der Geraerhütte und im Touristenlager der Hütte untergebracht.

  • Alpenvereinsausweis Jakob Steixner (Bild: Privat, Ch. Rosenkranz).
  • Alpenvereinsausweis Jakob Steixner (Bild: Privat, Ch. Rosenkranz).
  • Alpenvereinsausweis Jakob Steixner (Bild: Privat, Ch. Rosenkranz).

Am „Schneiderhof“, genannt das „Pergerlehen“, 1568 erstmals erwähnt (siehe Vals. Höfe und Familien, hg. Franz Tscheikner-Gratl), waren dazumal der bereits im Ersten Weltkrieg zum Heer einberufene Alois Schröder, sein Bruder Hermann und seine Schwestern Notburga und Josefa zuhause. Sie hatten viel Verständnis für die in ihrer unmittelbaren Nähe untergebrachten „Ostarbeiter“. „Burgl“ stellte für sie und deren Wärter Suppe und Brot bereit. Das Wachpersonal billigte dieses edle Tun, da ja nicht nur sie, sondern auch die Gefangenen insofern profitierten, als sie bessere Arbeit leisten konnten. Es sei hier erwähnt, dass Josefa „Seffe“ Joggls Stiefmutter war; sie war die zweite Gattin des in Schönberg wohnhaften Geschäftsinhabers, Gastwirtes, Landwirtes und Viehhändlers Johann „Hans“ Steixner. Joggl mochte sie und führte sie in sein Vorhaben ein. „Seffe“ informierte ihre Schwester „Burgl“ über das tollkühne Unternehmen der zwei Haudegen, das laut Eintragung in Joggls Tagebuch zu Beginn der 32. Woche des Jahres 1943, also am Montag und Dienstag, den 2. und 3. August, vonstatten ging. Ein stichhaltiger Hinweis dafür ist eine Skizze, die als Stange mit dem Banner gedeutet werden kann.

Mit dem Rad machten sie sich von der Klosterkaserne aus auf den Weg zum Schneiderhof. Sie verbrachten höchstwahrscheinlich nur wenige Stunden in dessen Tenne, um sich zeitig in der Früh unentdeckt wieder auf das Rad zu schwingen und in Innervals zu Fuß von der Altereralm über das weite Gelände der Alpeinalm – an der Geraerhütte vorbei – und den Wildlahnergrat zum Gipfel zu steigen. Sie sägten den oberen Teil der Stange ab und warfen das Banner hinunter. Sie fühlten sich nach dem erfolgreichen Streich überglücklich; über den Frühnebeln muss sich deren Freiheit wohl grenzenlos angefühlt haben. Kurze Zeit später stellte Leo seinem Bruder Paul, der gerade in Saint Valery en Caux am Ärmelkanal im Einsatz war, eine Ansichtskarte mit den Worten „Der Olperer ist feindfrei!“ zu.

Von Christian Rosenkranz

  • Skizze in Jakob Steixners Tagebuch (Bild: privat, Ch. Rosenkranz).

Anmerkung:

Leo Gutmanns Firmpate war Anton Müller (*1870  +1939), besser bekannt unter dem Pseudonym Bruder Willram. Als Sohn einer Zimmermannsfamilie in Bruneck aufgewachsen, trat er nach seiner Schulzeit im Bischöflichen Institut Vinzentinum in das Priesterseminar Brixen ein. 1892 wurde er im Brixner Dom zum Priester geweiht. Da bereits zu jener Zeit seine dichterische Ader erkennbar war, schloss er sich dem Dichterkreis „Netheborn“ an, in dem es üblich war, dass sich die Mitglieder Künstlernamen zulegten. Der seine prägte ihn so sehr, dass sein eigentlicher Name völlig zurücktrat und er bis heute nur unter dem Pseudonym bekannt ist. Von 1903 an bis zu seinem Übertritt in den „Unruhestand der anderen Art“ war er als Religionslehrer an der Lehrerbildungsanstalt / LBA in der Fallmerayerstraße tätig.

Müllers literarisches Schaffen umfasst insbesondere Kurzprosa und Lyrik; letztere umfasst 25 Gedichtbände. Eines der Heimatgedichte ist das aus fünf Strophen bestehende „Jungtirol“. Die letzte liest sich wie folgt: „Gott und Heimat! Fromm und bieder / Über alle Berge hin / Wird der rote Adler wieder / Frei der Freiheit Kreise ziehn.“ Es war Leo Gutmann, der in seinem Rucksack eine kleine eigens angefertigte Holztafel, auf der diese letzte Strophe des Liedes eingebrannt war, verpackt hatte. Nachdem er mit Jakob „Joggl“ Steixner den oberen Teil der Stange mit dem Hakenkreuzbanner absägte und über die Fels- und Eispartien warf, befestigten sie die Tafel am Rest der Stange.

Nach der Aktion, die größten Respekt verdient, traf Gutmann in Innsbruck auf einen Freund, der ihm gleich zu Beginn ihrer Unterredung eröffnete, dass er den Dreitausender bestiegen und die an der Stange platzierte Holztafel gesehen hatte. Gutmann spielte den Unwissenden und gab keinen Kommentar ab. Auch in Schönberg war es kein Geheimnis, dass eine Holztafel das Hakenkreuzbanner ersetzte.

 

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