von gk 30.08.2024 14:52 Uhr

Widerstand und Glaube: Ein junger Priester in den Wirren des NS-Regimes

Im ersten Teil unserer Zeitzeugenserie tauchen wir in die Erinnerungen eines ehemaligen Schülers des Reithmanngymnasiums Innsbruck ein. Er berichtet von der prägenden Begegnung mit Georg Schuchter, einem Priester, der in den 1930er- und 40er-Jahren mutig gegen die nationalsozialistische Unterdrückung stand. Schuchters unerschütterlicher Glaube und sein Einsatz für die Jugend machten ihn zum Hoffnungsträger in einer dunklen Zeit.

Georg Schuchter (Mitte) zwischen Leo Gutmann und Jakob Steixner (Bild: privat).

Im Herbst 1965 wurde das Reithmanngymnasium Innsbruck eröffnet. Ich war einer der ersten Schüler im Neubau, am Schnittpunkt zwischen Andechs- und Reichenauerstraße. In den ersten zwei Jahren hatte meine Klasse Georg Schuchter als Lehrer in katholischer Religion. In  den frühen 1980er-Jahren lernte ich eine junge Silzer VS-Lehrerin namens Agnes Konrad, seit mehr als 40 Jahren meine Gattin, kennen und lieben. Ich erfuhr von ihr, dass Schuchter, der zwischen 1967 und 1981 Direktor der Pädagogischen Akademie von Zams war, wiederholt von seinem Zuhause, dem „Schuchterhaus“ im Silzer Oberdorf, Spaziergänge in das nahen Pirchet unternahm und dabei meinem Schwiegervater den Rat gab, seine Tochter möge nach der Matura an der Akademie weiter studieren. In meiner Erinnerung war Schuchter für mich als Erst- und Zweitklässler von großer Gestalt; seine leicht schriftdeutsche Sprechweise sicherte ihm zusätzliche Autorität. Als ich ab 2013 etliche Male die heute als „Quo Vadis“-Pilgerwanderung bezeichnete Wallfahrt von Innsbruck zum Gnadenort Maria Waldrast organisierte und frühmorgens mit dutzenden Gleichgesinnten die Telfer Wiesen querte, dachte ich beim Blick auf Schönberg und Mieders auch an den jungen Schuchter. Sein Wirken vor Ort „brachte Frucht; es ging viel guter Same auf“ (Matthäus 13).

Kirchenfeindliche Handlungen durch die Nationalsozialisten

Schuchter (*1917 +1987) maturierte am Akademischen Gymnasium Innsbruck. Er entschied sich für das Theologiestudium, als die Zeit aus den Fugen geriet. Gleich nach der 1938 erfolgten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, setzte Gauleiter Franz Hofer kirchenfeindliche Handlungen. Tiroler mit widerständigem Geist feierten dennoch ihren Glauben. Eine „Auseinandersetzung handgreiflicher Art mit den Nazis“ – so Schuchter in seinen Helmut Tschol geschilderten Erlebnissen (1976) – „gab es am Abend des 5. Juni 1939“, als der auf die damalige junge Bevölkerung so überzeugend, ja mitreißend wirkende Bischof Paulus Rusch, anlässlich eines Jugendbekenntnistages in der Innsbrucker Jesuitenkirche beim Gottesdienst predigte. Schon während der Feier zeigten sich Vertreter der Hitlerjugend, unverkennbar in Gummimänteln und Stiefeln, in der Kirche, stolzierten umher und notierten sich Namen von Teilnehmern.

Nach der Feier verübte die HJ Überfälle auf Jugendliche. Die Gruppe, bei der sich Schuchter befand, wurde bei der Kaserne umringt und bedroht. Das Studienjahr 1939/40 verbrachte Schuchter als Priesteramtskandidat der Apostolischen Administratur im „Männerheim“, das damals nach Schöfens in die ehemalige „Pension Kraft“ verlegt worden war. Er war erst im 23. Lebensjahr, als er in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt von Matrei mit Dispens vom kanonischen Alter am Karsamstag, den 23. März 1940, die Priesterweihe erhielt. Rusch hoffte, mit dieser Handlung ein Zeichen setzen zu können – für seine Bereitschaft, den neuen Machthabern die Stirn zu bieten. Wie Rusch verkörperte der Neupriester geistigen Aufbruch und ungebrochenes Engagement für eine standhaft bleibende katholische Kirche. Für katholische Jugendliche der Gemeinden Mieders und Schönberg war er ein Signal und Hoffnungsträger, und seine Haltung galt ihr als Richtpunkt in ihren persönlichen Entscheidungen. Seine unaufdringliche, wohl aber spürbare Frömmigkeit, öffnete ihm die Herzen. Sein Einsatz als Jugendseelsorger blieb stets in guter Erinnerung.

Diesen Eindruck gewann ich während eines längeren Gesprächs mit Maria Stern, einer stark prosozial eingestellte Miedererin. Laut ihrer Schwiegermutter Anna, eine 1922 geborene Seewald, verbrachten einige Jugendliche – etwa Anna selbst und ihr Bruder Anton sowie Hedwig Stern und deren Bruder Ferdinand – in Mädchen- und Burschengruppen gemeinsame Zeit mit Georg Schuchter. In den Bibelrunden wurden unter anderem Inhalte spiritueller und profaner Texte besprochen, was Anna freute, da sie eine ausgesprochene Leseratte war. Es war das Anliegen Schuchters, seiner ihm anvertrauten Jugend im Zuge der Auseinandersetzung mit verschiedenstem Lesestoff erstrebenswerte Orientierungspunkte und Werte, die Wegweiser für erfüllteres Leben sein mögen, mit auf den Weg zu geben. Eines Tages wurde Anna von einer Frau angesprochen. Annas Replik auf deren Aufforderung, sich dem „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) anzuschließen, war ein klares Nein. Nach einer wenige Tage später erneut erfolgten Weigerung wurde ihr stark empfohlen, die Zunge zu hüten, um nicht Gefahr zu laufen, in ein Arbeitslager gesteckt zu werden.

Annas Vater Josef, Bürgermeister der Gemeinde Mieders vor dem März 1938, hatte bei den Nazis einen schweren Stand: Sein Zuhause, der sich im Ortskern befindende Prangerhof, wurde von der Gestapo stets überwacht; etliche Male gab es in der Bauernstube lautstarke Auseinandersetzungen. Der „g‘rade Michl“ blieb standhaft – so wie Anna, die dem BDM nicht beitrat. Schuchter musste allerdings die regelmäßig gehaltenen „Glaubensstunden“ aufgeben; in einem an den Schönberger Jakob „Joggl“ Steixner gerichteten Brief (Salzburg, 26.09.1940) weist Schuchter darauf hin, dass er „am Sonntag zum letzten Mal kommen“ könne. Ab Herbst 1940 war das „Männerheim“ zu Gast beim Priesterseminar der Diözese Gurk-Klagenfurt.

  • Seminaristen Bischof Dr. Stecher, Dr. Gutmann, Dr. Schuchter, Pf. Lugger, H. Schramm (Bild: Privat).

Der HJ-Streifendienst kontrollierte landauf landab Gottesdienste und Glaubensstunden für Jugendliche, solange diese stattfanden, und versuchte sie zu stören. Motorisierte Überfalls-kommandos durchsuchten überraschend all die Wohnungen, in denen die Gestapo oder HJ geheime Zusammenkünfte der katholischen Jugend vermutete. Der Terror, ein Gewissensterror gegen Laien und Seelsorger, die in der Pfarrjugend tätig waren, war allgegenwärtig. Es war auch das Verdienst Schuchters, dass am Weißen Sonntag 1941, der zugleich Hitlers Geburtstag (20. April) war, eine Protestwallfahrt zur geschlossenen Wallfahrtskirche Maria Waldrast stattfinden konnte. Wegen seiner aktiven Teilnahme an deren Organisation und somit „Untergrabung der Staatsautorität“ war er zwischen dem 4.6. und 25.7. 1941 im Polizeigefangenenhaus beim ehemaligen Hotel „Goldene Sonne“ in der Innsbrucker Adamgasse. Der Gefängniswärter schüttelte nur den Kopf, als mehrmals Jugendliche auf der Straße vor dem Gefängnis standen und gemeinsam die Melodie des bekannten Kirchenkanons „Stark wie der Tod ist die Liebe“ sangen. Es war „seine“ Stubaier Jugend, die Schuchter die Treue hielt; sie war für ihn ein großer Trost. Um Schuchter einem weiteren Zugriff der Innsbrucker Gestapo zu entziehen und ihn vor einer Einberufung zum Militärdienst zu bewahren, versetzte ihn Rusch mit 1. Oktober 1941 nach Anras im Osttiroler Anteil des Pustertales, wo er als Kooperator wirkte. Der Bezirk Lienz gehörte zwar zum Gau Kärnten, gänzlich ungefährlich war jedoch auch dort die Lage nicht.

Die Zwischenkriegszeit und die Zeit des politischen Umbruchs prägten nicht nur Schuchters Entwicklung. Etliche kinderreiche Familien waren durch eine ausgeprägte Religiosität der Eltern geprägt, was dazu führte, dass sie entschieden abweisend den nationalsozialistischen Ideen gegenüberstanden. Trotz Unterdrückung und Terror regte sich in vielen Jugendlichen sehr rasch der Wille zum Widerstand – wesentlich gefördert durch glückliche Umstände, die in Schulen wie dem Akademischen Gymnasium Innsbruck gegeben waren. Es gab Klassen, die weitgehend frei von nationalsozialistisch Gesinnten waren, unterrichtet von Lehrkräften, die sie in ihrer Einstellung bestärkten. Es wuchs in vielen Köpfen die Bereitschaft, einen Beitrag zum Widerstand, wenn auch im Kleinen, zu leisten. Wie hieß es in einem Flugblatt der „Weißen Rose“ der Gebrüder Scholl?

„Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben.“

Insbesondere die Jahre 1943/44 waren charakterisiert durch die Entstehung zahlreicher kleiner, selbstständig handelnder Widerstandszellen. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass ein Aufdecken von „subversiven Tätigkeiten“ unter dem Titel „Hochverrat“ oder „Wehrkraftzersetzung“ rettungslos zur Todesstrafe führte.

Von: Christian Rosenkranz

Fortsetzung folgt…

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