Tirols Landeshauptmann Mattle im UT24-Gespräch: „Gemeinsam für ein starkes Tirol!“

Zudem äußert sich der Landesobmann der Tiroler Volkspartei zu den politischen Differenzen mit Italien, der Rolle der einheimischen Kultur in der modernen Gesellschaft und den langfristigen Visionen für Tirol. Außerdem erklärt der 61-jährige Politiker die zukünftigen Ziele seiner Amtszeit und die strategische Positionierung Tirols in einem sich wandelnden europäischen Kontext.
Unser Tirol24: Herr Landeshauptmann Mattle, wie bewerten Sie die derzeitigen Beziehungen zwischen Nord-/Osttirol und Südtirol? Gibt es spezifische Bereiche, in denen Sie eine Intensivierung der Zusammenarbeit sehen?
Landeshauptmann Anton Mattle: Beide Tiroler Landesteile sind starke Partner. Nicht zuletzt, weil ich mit Landeshauptmann Arno Kompatscher einen guten Austausch aber auch eine persönliche Freundschaft pflege. Es ist uns ein ganz großes Anliegen, die Menschen aus allen drei Teilen des historischen Tirols zusammenzubringen. Künftig soll etwa das Euregio-Ticket erweitert werden, damit die Tiroler mit einem Klimaticket bis ins Trentino oder sogar bis an den Gardasee fahren können. Abseits der geplanten Projekte sind wir auch bei den großen Fragen – vom Verkehr bis zur illegalen Migration – eng abgestimmt.
UT24: Wie stehen Sie zur Frage der Autonomie Südtirols innerhalb Italiens? Gibt es Vorschläge oder Initiativen seitens Tirols, die die Beziehung zu Südtirol verbessern könnten?
Mattle: Seit 1946 ist die Schutzfunktion Österreichs für Südtirol vertraglich verankert. Als Bundesland Tirol ist uns die Freundschaft und Verbundenheit zu Südtirol ein ganz besonderes Anliegen. Wenn ich als Landeshauptmann von Tirol etwa auf Diplomaten und Vertreter Italiens treffe, dann stehe ich selbstverständlich für die Autonomie Südtirols ein. Zuletzt habe ich im Gespräch mit dem künftigen Botschafter Österreichs in Italien die Gelegenheit genützt, um auf die Interessen Südtirols einzugehen und um entsprechende Unterstützung gebeten. Auf regionaler Ebene ist es wichtig, die Euregio als zentrale Drehscheibe der Tiroler, Südtiroler und Trentiner Interessen zu stärken.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle auf die Frage zur Autonomie Südtirols
UT24: Gibt es aktuelle Projekte oder Vereinbarungen zwischen dem Bundesland Tirol und Südtirol, die Ihrer Meinung nach besonders hervorzuheben sind?
Mattle: Zuletzt haben wir uns im Rahmen der Euregio-Vorstandssitzung im Vinschgau getroffen. Zahlreiche Projekte, vom öffentlichen Verkehr über die Kultur bis hin zum Arbeitsmarkt, sind aktuell in Ausarbeitung. Natürlich kommen wir angesichts der aktuellen Diskussionen auch immer wieder auf die Transitproblematik zu sprechen. Die Regionen machen ihre Hausaufgaben, indem wir eng abgestimmt sind und Tag für Tag an Lösungen arbeiten. Von Rom und Berlin fordern wir endlich Unterstützung für eine technische Lösung mithilfe eines intelligenten Verkehrsmanagementsystems. Ein Slot-System hilft, den Verkehr zu entzerren und Stau zu vermeiden (UT24 berichtete). Deshalb bekennt sich die Euregio zu einer intensiven Zusammenarbeit, was das Baustellenmanagement nördlich und südlich des Brenners betrifft, sowie zu technischen und infrastrukturellen Möglichkeiten, um die Belastungen zu mindern. Langfristig führt an der Harmonisierung der Schiene innerhalb der Europäischen Union aber kein Weg vorbei.
LH Mattle macht sich bei einer Reise nach Hamburg selbst ein Bild von einem funktionierenden Slot-System – Foto: Flitsch
UT24: Könnten Sie die Gründe und Ziele des Nachtfahrverbots auf den Tiroler Straßen erläutern? Wie beeinflusst dieses Verbot die Wirtschaft und den Personenverkehr in Tirol?
Mattle: Tirol wehrt sich seit den 1980er-Jahren gegen den überbordenden Transitverkehr. 1989 wurde erstmals ein Nachtfahrverbot für die Inntal- und Brennerautobahn erlassen. Aufgrund der Topografie und der starken Verkehrsbelastung haben wir in Tirol mit einer starken Luftschadstoffbelastung zu kämpfen. Nur durch konsequente Maßnahmen, wie dem Nachtfahrverbot, konnten die Luftgütewerte in den vergangenen Jahren verbessert und damit die Gesundheit sowie die Umwelt geschützt werden. Es ist nachgewiesen, dass sich Luftschadstoffe in der Nacht aufgrund der Thermik viel stärker auswirken als bei Tag. Hier wiegen die Gesundheit der Menschen und der Schutz der Umwelt für mich höher als wirtschaftliche Interessen. Insbesondere, weil sich Tirol mit der Stärkung der Schiene enorm bemüht, eine Alternative für den Güterverkehr zu bieten.
UT24: Wie gehen Sie mit den Einwänden und Bedenken der Transporteure um, die sich über das Nachtfahrverbot beschweren? Gibt es Alternativen oder Anpassungen, die in Betracht gezogen werden könnten?
Mattle: Dass die Einschränkungen auf der Luegbrücke (UT24 berichtete) nun als Anlass genommen werden, um gegen das Nachtfahrverbot Stimmung zu machen, lasse ich nicht gelten. Ich kann die Sorge in Deutschland und Italien nur teils nachvollziehen. Die Luegbrücke ist eine Herausforderung, aber keine unlösbare Situation. Am Brennerkorridor gibt es jedes Jahr umfangreiche Baustellen, der Aufschrei bei Einspurigkeit auf anderen Streckenabschnitten ist bislang immer ausgeblieben. Diese Einschränkung ist also nichts Neues. Die ASFINAG wird mit einem umfassenden Maßnahmenpaket entgegenwirken und insbesondere die Anrainergemeinden schützen. Tirol kann aber nicht zulassen, dass man den Menschen und der Umwelt entlang der Inntal- und Brennerautobahn mit der Abschaffung des Lkw-Nachtfahrverbotes eine wichtige Erholungsphase in der Nacht nimmt.
UT24: Wie bewerten Sie die Wirksamkeit des Nachtfahrverbots hinsichtlich der Lärmminderung und des Umweltschutzes?
Mattle: Das Nachtfahrverbot basiert auf dem Immissionsschutzgesetz-Luft und hat zum Ziel, die Luftqualität zu verbessern und die Schadstoffbelastung zu reduzieren. Das Nachtfahrverbot erfüllt seinen Zweck und schützt somit die Menschen und die Umwelt entlang des Brennerkorridors. Zudem ist der Lärm eine Belastung, die nicht unterschätzt werden darf. Die Antwort auf den vielen Verkehr, der neben Mensch und Natur mittlerweile auch die Infrastruktur massiv belastet, kann nicht noch mehr Verkehr sein.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle – Foto: Fischler
UT24: Wie ist der aktuelle Stand der Baustelle an der Luegbrücke? Gibt es Verzögerungen oder Herausforderungen, die die Fertigstellung des Projekts beeinflussen könnten? Welche Maßnahmen werden getroffen, um die Auswirkungen der Baustelle auf den Verkehr und die Anwohner zu minimieren?
Mattle: Die ASFINAG hat als Autobahnbetreiber wesentliche Partner, darunter auch das Land Tirol und die betroffene Region, zur Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe zur Luegbrücke eingeladen. Seither bringen sich die Experten des Landes ein. Für das Land ist wesentlich, dass die betroffene Region eng miteinbezogen wird. Gemeinsam mit der ASFINAG wird das Land Tirol alles unternehmen, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und etwaige begleitende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu setzen. Aktuell testet die ASFINAG etwa eine zweispurige temporäre Verkehrsführung, um gerade an verkehrsreichen Tagen für Entlastung zu sorgen (UT24 berichtete).
Die Luegbrücke an der Brennerautobahn – Foto: Vladimir Menkov [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]
UT24: Wie wichtig ist dieses Projekt für die regionale Infrastruktur und die Wirtschaft Tirols?
Mattle: Die Luegbrücke ist die längste Brücke entlang der Brennerautobahn und damit ein wesentliches Verbindungsglied zwischen dem Norden und dem Süden. Als exportorientiertes Land ist eine funktionierende Mobilität für Tirol wesentlich, deshalb bemühen wir uns auch intensiv um einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum. Denn der Zustand der Luegbrücke zeigt, dass die Verkehrsbelastung nicht mehr nur Mensch und Natur, sondern mittlerweile auch die Infrastruktur enorm belastet. Die Vorgehensweise bei der Luegbrücke ist also keine politische, sondern eine technische Frage.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle zur Verkehrsproblematik
UT24: Herr Mattle, wie sehen Sie den aktuellen Konflikt mit Matteo Salvini? Welche Auswirkungen hat dieser Konflikt auf die Beziehungen zwischen Tirol und Italien?
Mattle: Italien ist und bleibt ein starker Partner. Ex- und Importe in der Höhe von jeweils über 13 Milliarden Euro zeigen, dass der europäische Wirtschaftsraum wichtig für unseren Wohlstand ist. Zudem gehören die Italiener zu treuen Gästen Tirols und umgekehrt. Unsere Nachbarschaft kann und soll nicht rein auf die Transitproblematik reduziert werden. Die Republik Österreich und das Bundesland Tirol bleiben aber auch in der Transitfrage gesprächsbereit, wenn es um neue Lösungen mit unseren Partnern geht. Italien befindet sich aktuell aber leider auf dem verkehrspolitischen Irrweg. Der Frächter-Lobby nach dem Mund zu reden, selbst aber nichts zur Verkehrswende beizutragen – das ist das politische Programm des Matteo Salvini. Er ist mit seiner Linie eindeutig isoliert, nebenbei hat die rumänische Verkehrskommissarin bereits den Hut genommen. Unsere klare Kante zeigt also Wirkung, die Transit-Polterer beißen sich an Tirol die Zähne aus.
UT24: Gibt es konkrete Schritte oder Gespräche, die Sie mit der italienischen Regierung oder Salvini unternehmen, um diesen Konflikt zu lösen? Zum Europäischen Gerichtshof laufen kann doch keine Dauerlösung sein?
Mattle: Die Menschen entlang des Brennerkorridors haben nichts von Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof, sondern erwarten sich zu Recht, dass wir die Situation verbessern. Ich werde die Tiroler Transitmaßnahmen, wenn notwendig, vor jeder Institution dieser Welt verteidigen, argumentieren und erklären. Abseits davon bin ich mit den konstruktiven Kräften in Italien im Austausch und Tirol ist und bleibt gesprächsbereit. Auch der Kontakt mit Bayern und Südtirol funktioniert. Mit der Ausarbeitung eines Slot-Systems haben die Regionen ihre Hausaufgaben gemacht. Die Lösung liegt auf dem Tisch, es braucht nur die Nationalstaaten zur Umsetzung.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle auf die Frage, wie er bei politischen Differenzen umgeht
UT24: Wie gehen Sie allgemein mit politischen Differenzen und Konflikten auf europäischer Ebene um?
Mattle: Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht aus dem Bauch oder den Emotionen heraus entscheide. Für mich zählen Zahlen, Daten und Fakten. Ich sage geradeaus, was ist. Ich bin kein Polterer, sondern Landeshauptmann von Tirol. Deshalb arbeite ich auch an Lösungen.
UT24: Wie wichtig ist Ihnen die geistig-kulturelle Einheit Tirols in der aktuellen politischen und sozialen Landschaft?
Mattle: Die historischen Landesteile Tirols verbindet nicht nur eine gemeinsame Geschichte, sondern vor allem ein starkes Wertefundament. Sich als Tiroler – nördlich oder südlich des Brenners – zu fühlen, bedeutet Identitätsbildung und Gemeinschaftsgefühl. Abseits von den inhaltlichen Themen, die uns beschäftigen, zählt für mich nämlich das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Tiroler sind fleißige, freiheitsliebende und selbstbewusste Leute – unabhängig davon, in welchem Landesteil sie zu Hause sind.
UT24: Welche Maßnahmen oder Initiativen unterstützen Sie, um den Zusammenhalt und die Identität Tirols zu fördern?
Mattle: Ich sehe in der gemeinsamen Arbeit in der Europaregion das größte Potential, um unseren Zusammenhalt und unsere Identität zu fördern. Tirol und Südtirol treten bei offiziellen Anlässen, Ehrungen oder Festtagen gemeinsam auf. Dieses sichtbare Signal, dass die Landeshauptleute und Regierungen Seite an Seite stehen, gibt mir ein gutes Gefühl für unsere gemeinsame Zukunft. In unserer bewegten Geschichte konnten in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Grenzbalken abgebaut, sondern auch die Menschen zusammengeführt werden.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle
UT24: Wie sehen Sie die Rolle der Tiroler Kultur und Traditionen in der modernen Gesellschaft und Politik?
Mattle: Tradition und Moderne sind kein Widerspruch, im Gegenteil. Wir brauchen beides, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Nur wer weiß, woher er kommt, kann sagen, wohin er will. Der Blick zurück ist also ebenso wichtig, wie der Blick voraus. Wenn ich mir etwa die Arbeit des Bundes der Tiroler Schützen ansehe, dann steckt hinter der Traditionsarbeit vor allem ein enormes gesellschaftliches und soziales Engagement. Das ist genau das Wertefundament, von dem ich gesprochen habe. Diese tiefen Wurzeln zeichnen uns Tiroler aus und geben uns Halt, um auch in schwierigen Zeiten erfolgreich, innovativ und zukunftsfähig zu sein.
UT24: Wie sehen Sie die langfristige Vision für Tirol in den kommenden zehn Jahren? Welche Hauptziele möchten Sie in Ihrer Amtszeit erreichen, und wie planen Sie, diese zu realisieren?
Mattle: Die Energie- und die Verkehrswende mit Hausverstand sind unser Beitrag zum Klimaschutz. Ich möchte das Potential der erneuerbaren Energieträger wie Sonne, Wasser oder Biomasse bestmöglich nützen, sodass Tirol in Zukunft energieautonom und damit auch unabhängig von Kohle, Öl oder Gas ist. Im Bereich des Verkehrs möchte ich von Tirol aus den einheitlichen europäischen Eisenbahnraum vorantreiben. Zudem wollen wir mit dem Recht auf Kinderbildung und Kinderbetreuung österreichischer Vorreiter im Bereich der Zukunftschancen für unsere Jüngsten werden. Für alle drei Themenbereiche verfolgt meine Regierung einen konsequenten, durchdachten und bewusst ambitionierten Weg. Mir kommen als Regierungschef mein Detailwissen und meine Hartnäckigkeit zu Gute, denn vieles müssen wir auch gemeinsam mit der Bundesregierung in Wien umsetzen.
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle
UT24: Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Tirol im Kontext der sich wandelnden europäischen und globalen politischen Landschaft? Wie möchten Sie Tirol in diesem sich verändernden Umfeld positionieren?
Mattle: Die internationalen Krisen und Kriege beeinflussen uns unmittelbar. Und gerade die in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren entstandenen Abhängigkeiten bei Rohstoffen oder der Energie stimmen mich nachdenklich. In Tirol befindet sich beispielsweise der einzige Penicillin-Produktionsstandort Europas. Die europäische Medikamentenproduktion ist Großteils nach Asien ausgelagert worden. Wir müssen nicht nur Know-how, sondern auch Produktionsstätten zurück nach Europa holen. Das ist eine der größten Aufgaben vor der wir als Europäische Union stehen. Andererseits stimmt es mich positiv, dass wir in Tirol für die gute Ausbildung unserer jungen Menschen bekannt sind. Gerade die duale Ausbildung ist ein Grund, dass wir eine geringe Jugendarbeitslosigkeit vorweisen können. Die Tiroler wollen Leistung erbringen, der Staat muss sie nur lassen. Deshalb mache ich mir um Tirol und Südtirol keine Sorgen.
UT24: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Andreas Raffeiner






