Buchvorstellung in Ehrenburg: „Als Tirol geteilt wurde“ zieht zahlreiche Interessierte an
Eröffnung durch Hauptmann Juri Oberlechner
Hauptmann Juri Oberlechner eröffnete die Veranstaltung und schlug einen Bogen von der 2017 erschienenen Publikation „Unsere Helden – Das Schicksal der Gefallenen der Gemeinde Kiens im Ersten Weltkrieg“ zum neuen Werk „Als Tirol geteilt wurde“. Bezirksmajor Thomas Innerhofer hob in seinen Grußworten die Bedeutung des Buches für den Bezirk Pustertal hervor, der direkt von der Grenzziehung betroffen war. Anschließend betonte der Landeskommandantenstellvertreter Christoph Schmid die Wichtigkeit dieser Publikation, da andere Werke oft wesentliche Inhalte verschweigen oder ungenau darstellen.
Ein Fund auf dem Antiquitätenmarkt
Efrem Oberlechner erläuterte die detaillierte Tagesordnung der Veranstaltung, bevor Stephan Gostner, der erste Redner des Abends, das Wort ergriff. Gostner berichtete von einem bemerkenswerten Fund auf einem Antiquitätenmarkt in Bologna: das Fotoalbum „Confine Italo-austriaco“.
Stephan Gostner schilderte eindrucksvoll, wie ihm das Fotoalbum in einem Antiquitätengeschäft ins Auge fiel. Das Album enthielt zahlreiche bisher unveröffentlichte Fotos, die die Grenzziehung zwischen Italien und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg dokumentieren. Die Fotos waren in einem erstaunlich guten Zustand und boten eine detaillierte visuelle Chronik der Ereignisse und der Menschen, die an der Grenzziehung beteiligt waren.
Gostner erkannte sofort den historischen Wert dieses Fundes. Die Fotos illustrierten nicht nur die physischen Veränderungen der Landschaft, sondern auch die sozialen und politischen Auswirkungen der neuen Grenze. Jede Seite des Albums erzählte eine Geschichte von mühseliger Arbeit, diplomatischen Verhandlungen und persönlichen Schicksalen, die durch die neue Grenzziehung geprägt wurden.
Nachdem Gostner das Album erworben hatte, kontaktierte er die Brüder Juri und Efrem Oberlechner, um den Fund zu besprechen. Sie erkannten schnell, dass sie einen bedeutenden historischen Schatz in den Händen hielten. Sie beschlossen, die Fotos in einem Buch zu veröffentlichen, um diese wichtigen historischen Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ihr Ziel war es, nicht nur die historische Bedeutung der Grenzziehung zu beleuchten, sondern auch die persönlichen Geschichten und Herausforderungen der betroffenen Menschen zu dokumentieren.
Besonders interessant war Gostners Vorstellung der Grenzregelungsausschüsse, die dafür verantwortlich waren, die genauen Grenzlinien im Gelände zu ziehen. Diese Fotos boten einen seltenen Einblick in die Arbeit dieser Ausschüsse und die schwierigen Entscheidungen, die sie treffen mussten. In den hochalpinen Gebieten, wo oft keine natürlichen Anhaltspunkte für die Grenzziehung sichtbar waren, kam es zwangsläufig zu Konflikten zwischen Österreich und Italien.
Gostners Fund und die Entscheidung, das Album zu veröffentlichen, waren zentrale Elemente der Buchvorstellung und unterstrichen die historische Bedeutung des Werkes „Als Tirol geteilt wurde“.
Herausforderungen der Grenzziehung im alpinen Gelände
Anschließend erläuterte Efrem Oberlechner, der von Beruf Geometer ist, die gewaltigen Herausforderungen der damaligen Vermessungsarbeiten, insbesondere am Brenner. Die geografischen und klimatischen Bedingungen in den Alpen stellten die Ingenieure und Vermessungsteams vor enorme Schwierigkeiten. Ganze Waldstücke mussten gerodet werden, um die nächsten Grenzpunkte verlässlich anpeilen und Grenzsteine setzen zu können. Diese Maßnahmen wurden auch im Fotoalbum dokumentiert und zeigten, wie viel Arbeit und Aufwand nötig war, um klare Sichtlinien zu schaffen.
Zur präzisen Bestimmung der Platzierungsorte der Grenzsteine wurden pyramidenförmige trigonometrische Signale aufgestellt. Diese Signale dienten als Orientierungspunkte, von denen aus die Grenzsteine gesetzt werden konnten. In den hochalpinen Gegenden, wo das Gelände besonders schwierig war, mussten alternative Lösungen gefunden werden. Wo trigonometrische Signale nicht aufgestellt werden konnten, errichteten die Vermessungsteams sogenannte „Steinmänner“ – kleine, aufgeschichtete Steinhaufen, die als Markierungen dienten.
Eine besonders interessante Anekdote erzählte Oberlechner über die österreichische Bevölkerung, die die Grenzsteine immer wieder verschwinden ließ. Dieses Verhalten führte dazu, dass die österreichischen Behörden die Bevölkerung ermahnen mussten, da die Kosten für das ständige Neuplatzieren der Steine erheblich waren.
Die Grenzziehung hatte tiefgreifende Auswirkungen, nicht nur auf das zukünftige Territorium Österreichs und Italiens, sondern auch auf die betroffenen Familien. Plötzlich verlief eine willkürliche Grenze durch ihre Grundstücke, was zu zahlreichen persönlichen und wirtschaftlichen Problemen führte. Diese Geschichten verdeutlichen das Leid der Betroffenen und regen zum Nachdenken an.
Im Vertrag von Saint Germain wurde die Grenze als „die Linien der Wasserscheide zwischen dem Becken des Inn im Norden und der Etsch im Süden“ festgelegt. Diese vage Formulierung führte zu zahlreichen Streitigkeiten über den genauen Verlauf der Grenze, insbesondere am strategisch wichtigen Brenner. Beide Länder beanspruchten den Brenner als wichtigen Übergangspunkt. Letztlich fiel der Brenner an Italien. Im September 1921 wurde der Grenzstein am Brenner feierlich eingeweiht. Bisher unveröffentlichte Fotos aus dem Album zeigen diese Einweihung aus neuen Perspektiven und dokumentieren die historischen Ereignisse auf eindrucksvolle Weise.
Historische Karten und persönliche Geschichten
Efrem Oberlechner hob die Bedeutung der 20 Originalkarten aus jener Zeit hervor, die durch intensive Recherchen entdeckt wurden. Diese Karten sind wertvolle Zeitzeugen und bieten detaillierte Einblicke in die damalige Grenzziehung und die beteiligten Akteure. Besonders interessant ist die Tatsache, dass diese Karten ursprünglich im Besitz vom Vater von Klaudius Molling waren, der als Ehrengast zur Buchvorstellung eingeladen war. „So schließt sich der Kreis“, kommentierte Oberlechner, und betonte damit die historische und persönliche Bedeutung dieser Dokumente.
Einblicke von Verleger Elmar Thaler
Elmar Thaler, der Verleger des Buches, nahm das Publikum mit auf eine tiefere Reise durch die Geschichte der Grenzziehung in anderen Bezirken und den dahinterliegenden Expansionsdrang Italiens, der maßgeblich durch den Londoner Geheimvertrag von 1915 entfacht wurde. Dieser Vertrag, so Thaler, wurde oftmals so ausgelegt, um Italien für seine Kriegsteilnahme auf der Seite der Alliierten durch territoriale Gewinne zu belohnen.
Thaler begann seinen Vortrag mit einer Frage an das Publikum: „Wie nannten die alten Römer den Brenner- oder Reschenpass?“ Die Stille im Raum sprach Bände, und Thaler beantwortete die Frage selbst: „Für die alten Römer waren der Brenner- und der Reschenpass strategisch irrelevant, weshalb sie keinen speziellen Begriff dafür hatten.“ Dies diente als Einstieg, um den Unterschied zwischen der historischen Bedeutung dieser Pässe und dem späteren italienischen Expansionsdrang zu verdeutlichen.
Er erklärte, dass Italien, als es den Reschenpass und andere Grenzpunkte nach dem Ersten Weltkrieg beanspruchte, nicht nur geografische, sondern auch strategische und wirtschaftliche Vorteile suchte. Der Reschen war als wichtige Verbindung über die Alpen von enormer Bedeutung. Thaler führte aus, dass Italien bei der Grenzziehung systematisch vorging: Unter dem Vorwand, eine unnötige Teilung von Parzellen und Gemeindegebieten zu vermeiden, wurden Gebiete, die eigentlich bei Österreich hätten verbleiben sollen, Italien zugeschlagen. Dies war besonders am Reschenpass und im Pustertal der Fall.
Am Reschenpass stellte Italien den Antrag, auch das kleine Stück Land, das ursprünglich bei Österreich verbleiben sollte, in das italienische Gebiet einzubeziehen, um eine „unnötige Teilung“ zu vermeiden. Diese Strategie der kleinen Schritte führte zu einem erheblichen Gewinn an Land für Italien. Im Pustertal legte Italien der Friedenskonferenz ein Schreiben vor, in dem es Ansprüche auf Innichen und das Sextental erhob. Der ursprüngliche Orientierungspunkt für die Grenzziehung, die Hauptwasserscheide zwischen Rienz und Drau, wurde dabei ignoriert. Stattdessen bevorzugten die römischen Vertreter die Engstelle zwischen Winnebach und Arnbach, was von der Friedenskommission abgesegnet wurde.
Thaler machte deutlich, dass dieser Expansionsdrang Italiens zu erheblichen territorialen Veränderungen führte. Eine der drastischsten Folgen war die Trennung zwischen Nord- und Osttirol, wodurch keine direkte Verbindung mehr zwischen diesen beiden Ländern besteht. Thaler schilderte eindrucksvoll, wie die italienischen Vertreter auf der Friedenskonferenz ihre Positionen durchsetzten und die Grenzziehung zu ihren Gunsten manipulierten.
Abschließend sprach Thaler über die kaum vorstellbaren Anstrengungen bei der Vermessung der Berge, die teilweise erst wenige Jahre zuvor erstmals bestiegen worden waren. Auch diese Vermessungsarbeiten wurden durch Fotos aus dem gefundenen Fotoalbum dokumentiert und im Buch veröffentlicht, was den Zuhörern einen lebendigen Einblick in die schwierigen Bedingungen jener Zeit gab.
Thalers Ausführungen verdeutlichten nicht nur die politischen Aspekte der Grenzziehung, sondern auch die menschlichen und alltäglichen Herausforderungen, die mit dieser historischen Umwälzung verbunden waren.
Katharina Brenner über Verkehr, Grenzübertritte und Schmuggel
Katharina Brenner, verantwortlich für die Texte im Buch, berichtete eindrucksvoll von den immensen Schwierigkeiten des Verkehrs und der Grenzübertritte nach der Grenzziehung. Die neue Grenze hatte dramatische Auswirkungen auf die Verbindungen zwischen Nord- und Osttirol, was zu erheblichen Einschränkungen führte.
Nord- und Osttirol waren durch die Grenzziehung voneinander abgeschnitten, was das tägliche Leben der Bewohner massiv beeinflusste. Besonders betroffen waren die Osttiroler, die für Reisen in die Landeshauptstadt Innsbruck große Umwege in Kauf nehmen mussten. Sie konnten entweder den langen Weg über Kärnten und Salzburg oder die kürzere Route durch Südtirol wählen. Letztere war jedoch mit erheblichen bürokratischen Hürden verbunden.
Brenner erläuterte, dass für die Reise durch Südtirol spezielle Einreisebescheinigungen notwendig waren, die oft schwer zu beschaffen und fehleranfällig waren. Diese bürokratischen Hindernisse führten zu großen Verzögerungen und Unannehmlichkeiten für die Reisenden.
Ein weiteres Thema, das Brenner ansprach, waren die Zollsätze, die beim Überqueren der Grenze nach Italien erhoben wurden. Reisende mussten nicht nur einen normalen Zollsatz zahlen, der auf dem Gewicht des Fahrzeugs basierte, sondern auch einen zusätzlichen Zoll, der 35 Prozent des Fahrzeugwertes betrug. Dieser Wert wurde willkürlich vom diensthabenden Zollbeamten festgelegt, was zu erheblichen Unterschieden und oft unfairen Gebühren führte. Brenner schilderte Fälle, in denen die Zollgebühren so hoch waren, dass sie den Wert eines neuen Autos erreichten, was die Betroffenen vor enorme finanzielle Herausforderungen stellte.
Darüber hinaus ging Brenner auf das Thema Schmuggel ein, der aufgrund der wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Österreich und Italien florierte. Die Entwertung der österreichischen Krone und die Wertsteigerung der italienischen Lira führten dazu, dass österreichische Bauern regen Schmuggelhandel mit italienischen Händlern betrieben. Beide Seiten profitierten von diesem illegalen Handel, der sich auf verschiedene Waren erstreckte.
Brenner beschrieb, wie dieser Schmuggel das tägliche Leben beeinflusste und welche Maßnahmen die Menschen ergriffen, um die strengen Grenzkontrollen zu umgehen. Ihre detaillierten Schilderungen boten einen lebendigen Einblick in die Herausforderungen und kreativen Lösungen, die die Menschen in dieser schwierigen Zeit fanden.
Ihre Präsentation verdeutlichte die tiefgreifenden Auswirkungen der Grenzziehung auf das tägliche Leben und die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region. Die geschilderten persönlichen Geschichten und praktischen Schwierigkeiten machten das Ausmaß der Veränderungen und die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Menschen deutlich.
Auswirkungen auf das tägliche Leben
Rupert Gietl beschrieb die Auswirkungen der Grenze auf das tägliche Leben und zeigte beeindruckende Bilder, die die drastischen Veränderungen veranschaulichten. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel war das Nord- und Osttor in Glurns. Die Fotos zeigten, wie das Tor, einst geschmückt mit dem österreichischen Wappen und dem Doppeladler, einfach weiß übermalt wurde. Diese symbolische Handlung verdeutlichte die radikalen Veränderungen, die die neue Grenze mit sich brachte.
Gietl erklärte, dass diese Übermalung nicht nur ein einfacher Akt des Neuanstrichs war, sondern tiefere Bedeutung hatte. Sie war ein sichtbarer Ausdruck der neuen Machtverhältnisse und der politischen Realität, die die Menschen akzeptieren mussten. Das Wappen und der Doppeladler, Symbole der österreichischen Identität und Zugehörigkeit, wurden entfernt, was für viele Bewohner einen Verlust ihrer kulturellen Identität bedeutete. Glücklicherweise wurde das Tor später wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt, was den Bewohnern ein Stück ihrer alten Identität zurückgab.
Gietl schilderte weiter, wie die neue Grenze das tägliche Leben der Menschen beeinträchtigte. Der Alltag war plötzlich geprägt von bürokratischen Hürden und neuen Vorschriften, die den ehemals freien und ungehinderten Austausch erheblich erschwerten. Familien und Freunde, die durch die neue Grenze getrennt wurden, mussten erhebliche Umwege und Hürden in Kauf nehmen, um sich zu sehen. Auch der lokale Handel litt unter den neuen Bedingungen, da die Transportwege komplizierter und teurer wurden.
Abschluss und Ausklang der Veranstaltung
Am Ende der Veranstaltung wurde den Anwesenden die Gelegenheit geboten, das Werk „Als Tirol geteilt wurde“ käuflich zu erwerben. Die Besucher nutzten die Möglichkeit, ihre frisch erworbenen Exemplare von Efrem Oberlechner und den anderen Mitwirkenden signieren zu lassen. Diese persönliche Note machte das Buch für viele zu einem besonderen Erinnerungsstück an einen informativen Abend.
Der offizielle Teil der Buchvorstellung fand seinen würdigen Abschluss in einem gemütlichen Umtrunk. In entspannter Atmosphäre kamen Autoren, Redner und Gäste zusammen, um sich über das Gesehene und Gehörte auszutauschen. Es war ein Moment des Zusammenkommens und des gemeinsamen Rückblicks auf die bewegenden Geschichten und die historischen Einsichten, die an diesem Abend geteilt wurden.
Die Veranstaltung, die von viel Applaus begleitet wurde, hinterließ einen bleibenden Eindruck bei den Anwesenden. Die Gäste schätzten nicht nur die detaillierten Einblicke in die Geschichte der Grenzziehung und deren Auswirkungen, sondern auch die persönliche Note der Erzählungen und die Möglichkeit, direkt mit den Autoren zu sprechen. Es war eine gelungene Mischung aus historischer Aufarbeitung und persönlichem Austausch, die den Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis machte.