Der „Blutsonntag“ von Bozen

„Im Jahre 1919 gründete der aus dem sozialistischen Lager kommende Volksschullehrer und Journalist Benito Mussolini die faschistische Bewegung. Deren Name leitet sich von lateinisch „fascis“ und italienisch „fascio“ ab, der Bezeichnung für das römische Rutenbündel mit der Doppelaxt als Herrschaftszeichen. Von Beginn an war die Bewegung totalitär, extrem nationalitisch und imperialistisch ausgerichtet. Ihre Ortsgruppen verstanden sich als Kampfbünde und nannten sich „fasci di combattimento“. Im November 1921 wurde die Bewegung offiziell in die „Nationale Faschistische Partei“ – „Partito Nazionale Fascista“ (PNF) umgewandelt.
Faschistische Strafexpedition gegen einen Trachtenumzug – der „Blutsonntag“ von Bozen
Als erstmals nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wieder in Bozen eine Messe stattfinden konnte und für den 24. April 1921 ein „Südtiroler Trachtenumzug“ als Rahmenveranstaltung geplant war, fassten die Faschisten das öffentliche Tragen der Tiroler Tracht als Kampfansage auf. Am 16. April 1921 forderte das faschistische Zentralkomitee in Mailand die „Fasci“ von Brescia und Verona zur Teilnahme an einer Strafexpedition nach Bozen auf. In dem Schreiben hieß es: „Verehrte Freunde des Direktionskomitees der Fasci di Brescia und Verona – Der Fascio di combattimento von Bozen hat beschlossen, am Sonntag, den 24. des laufenden Monats, eine Kundgebung der Italianità zu veranstalten. Sie ist unbedingt nötig, da die Tiroler an diesem Tag in Massen in Tracht auftreten werden, um ihre Ansprüche auf die Stadt zu erheben, den äußersten Wachposten des Vaterlandes.“
In dem Schreiben hieß es weiter, dass das Zentralkomitee hoffe, „dass eine möglichst umfangreiche squadra (auf Deutsch: Kampftruppe) am kommenden Sonntagmorgen nach Bozen kommt.“
Am 24. April fand der Trachtenumzug anlässlich der Bozner Messe statt. Aus dem schönen Ort Marling im Burggrafenamt war eine Trachtenkapelle gekommen, in welcher der Schulleiter Franz Innerhofer aus Marling die Trommel schlug. Es nahmen an dem Umzug auch Kinder aus Marling teil, auf deren Wohlergehen der Lehrer achtete.
Es war am 24. April aber auch die „möglichst umfangreiche Squadra“ von Faschisten anwesend, wie dies das faschistische Zentralkomitee in Mailand gefordert hatte. Zahlreiche aus dem Süden herangekarrte Gewalttäter mischten sich nun in den Tiroler Trachten-Fest-Umzug.
Die Faschisten gingen mit Knüppeln, Pistolen und Handgranaten auf die Festteilnehmer los. Als der Schulleiter Franz Innerhofer aus Marling den 8-jährigen Hans Theiner aus Marling in einen Hausflur in Sicherheit bringen wollte, schoss ein Faschist ihm in den Rücken und Innerhofer musste verbluten. Insgesamt gab es noch 48 Verwundete, von denen einer, der Sagschneider Giovanni Battista Daprà vom Schloss Ried bei Bozen, nach schwerem Leiden am 12. Juli 1921 ebenfalls verstarb.
Die Sicherheitsorgane hatten den Faschisten freie Hand gelassen und sie nach den Bluttaten noch beschützend bis zum Bahnhof geleitet, wo sie ungehindert die freie Rückreise antraten. Die italienische Presse hetzte in der Folge mehrheitlich gegen die Südtiroler und die Justizbehörden konnten die Täter natürlich nicht ermitteln.
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939“ von Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2022.
ISBN: 978-88-97053-95-8
Der Verfasser hat seinem Buch ein Verzeichnis beigefügt, in welchem Ereignisse, dokumentierte Übergriffe und Gewalttaten nach Daten von 1918 bis Mai 1943 dokumentiert und kartografisch abgebildet sind.






