von mag 02.10.2018 11:36 Uhr

Ein beispielloses Hilfsprojekt – Die „Stille Hilfe für Südtirol“

Südtirol in der Nachkriegszeit: ein Land in Not. Der Süden Tirols politisch, kulturell und wirtschaftlich total am Boden. Nach der vorübergehenden Befreiung durch die Alliierten fand die Italienisierung Südtirols rasch ihre Fortsetzung. Dabei wurde nach dem alten Rezept vorgegangen: Bau von Fabriken, Arbeiterwohnungen und Vergabe der Arbeitsplätze ausschließlich an die zugereisten Italiener. Mit dieser Methode gelang es, die Zahl der Italiener in Südtirol in den Jahren 1922 bis 1960 zu verzehnfachen.

Beim Alpenregionstreffen der Schützen in Garmisch im Jahr 1986 marschierte der Vorsitzende der „Stillen Hilfe“, Gerhard Bletschacher mit seinen Michelsburger Schützenkameraden mit.

Der deutschen Volksgruppe in Südtirol fehlte es an allem. Zwar hatte Österreich 1960 die Südtirol-Frage bei den Vereinten Nationen zum Thema gebracht und die Einhaltung des Autonomieabkommens sowie die Einhaltung der Gleichberechtigung zwischen der deutschsprachigen und italienischsprachigen Bevölkerung verlangt, doch blieb es in den Folgejahren bei einer deutlichen Benachteiligung der deutschsprachigen Bevölkerung.

Hilfe aus Bayern

Eine Gruppe junger Männer aus Bayern hörte von der Not südlich des Brenners und beschloss kurzerhand den Menschen in Südtirol Hilfe zu leisten. Sie gründeten den Verein: „Stille Hilfe für Südtirol“, der sich laut Satzungen für „in Not geratene Angehörige der Deutschen Volksgruppe in Südtirol“ einsetzte. „Südtirol und sein Leid war schon Anfang der 1920iger Jahre ein Herzensanliegen in Bayern. Mit tiefem Mitgefühl empfand ich den Freiheitskampf der Südtiroler in den 60iger Jahren. Die tiefe Liebe zu Südtirol und mein Mitgefühl für das ertragene Leid der Südtiroler durch die Faschisten überzeugten mich aktiv werden“, so Gerhard Bletschacher, einer der Gründungsmitglieder des Vereins.

Ein Freund vom Kammerabgeordneten Hans Dietl hat Bletschacher auf die Probleme der Südtiroler aufmerksam gemacht. Das hat ihn mit weiteren fünf Personen dazu bewogen, am 13. März 1963 den Verein „Stille Hilfe für Südtirol“ zu gründen. „Ich wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt. Auf Anregung von Dr. Norbert Mumelter wollten wir besonders den Bergbauern helfen um deren Existenz am Berg zu erhalten und eine Abwanderung wie im übrigen Alpengebiet zu verhindern“, sagt Bletschacher. In den Jahren gelang es dem gemeinnützigen Verein, über 30.000 Mitglieder und Förderer zu gewinnen und ca. 60 Millionen DM (umgerechnet ca. 33,2 Millionen Euro) einzunehmen.

    Mit Spendengeldern der „Stillen Hilfe“ wurden vor allem Süd-Tiroler Bergbauernfamilien unterstützt um deren Existenz am Berg zu erhalten und eine Abwanderung zu verhindern.

    Prominente Unterstützer

    Mitglieder und Förderer des gemeinnützigen Vereins waren aus allen Schichten in Deutschland, Österreichs, selbst aus den USA und Südafrika, später auch aus Südtirol. „Auch quer durch die politischen Parteien konnten wir Mitglieder gewinnen, ob Bundeskanzler Helmut Kohl, Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel, der sich besonders engagiert hat, oder Dr. Hans Jochen Vogel“ erinnert sich Gerhard Bletschacher, der dem Verein 32 Jahre lang ehrenamtlich als Vorsitzender vorstand.

    Die Spendengelder wurden fast ausnahmslos nach Befürwortung durch einen Südtiroler Ausschuss unter der Leitung von Landesrat Dr. Anton Zelger unmittelbar auf dem Bankweg den Begünstigten überwiesen. In Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Bauernbund und der Tageszeitung Dolomiten wurde zudem jährlich der „Südtiroler Bergbauernpreis“ für die Bewirtschaftung von Höfen in benachteiligten Lagen vergeben.

      Zehnte Jahreshauptversammlung der Stillen Hilfe am 17.März 1973 in München v.l.: Dr. Josef Rampold von der Tageszeitung „Dolomiten“, der Vereinsvorsitzende der „Stillen Hilfe für Südtirol“ Gerhard Bletschacher, der Landeshauptmann von Süd-Tirol Dr. Silvius Magnago, Bayerns Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel und der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes Senator Dr. Karl Mitterdorfer.

      Großzügige finanzielle Unterstützung

      Mit den Spendengeldern wurden verschiedenste Projekte, darunter 85 Kindergärten, 30 Rettungswägen fürs Weiße Kreuz (allesamt mit dem Namen „Bavaria“), der Bau des Kolpinghauses, das Blindenzentrums St. Raphael, der Bergbauernpreis, verschiedene Katastrophenhilfen (etwa nach dem Großbrand in Planeil), die Restaurierung von Kirchen, Müttererholungswochen, Meeraufenthalte für Kinder sowie 2.000 Stipendien für Heimschüler unterstützt. In einzelnen Fällen wurden auch Südtiroler Schützenkompanien finanziell unterstützt. „Die Reaktionen der Empfänger der Spendengelder waren teilweise sehr rührend und stets von tiefer Dankbarkeit geprägt“, so der ehemalige Vorsitzende der Stillen Hilfe.

      „Unvergesslich ist für mich, als ich am 20. Mai 1979 zusammen mit Dr. Oswald Hager von Strobele am Bozner Bahnhof einen hohen geistlichen Würdenträger in Empfang nehmen wollte. Er sollte das Landestreffen der Schützen geistlich begleiten; auf höherer Weisung kam er nicht. Dr. von Strobele und ich eilten ins Kloster Muri Gries, wo wir zuerst abgewiesen wurden aber dann doch den Abt Dr. Domenikus Löpfe dafür gewinnen konnten, die Messe zu halten“, erinnert sich Bletschacher.

      Die Käseschachtel-Affäre

      Bis zum 5. Mai 1995 war Gerhard Bletschacher in Südtirol ein Mann, um den man sich drängte, den man hoffierte, dem alle Türen offenstanden. Im Zuge der sogenannten Käseschachtel-Affäre, Bleschacher führte eine Kartonagenfabrik, geriet er im Jahr 1995 aber in Schwierigkeiten. Von seinem Amt als Vereinsvorsitzender ist er daraufhin umgehend zurückgetreten.

      Was war passiert? „Die Stille Hilfe wurde von Anfang an hinsichtlich der Kosten von meiner ehemaligen Firma, Eduard Müller, finanziert. Laut Gerichtsurteil mit knapp 10 Millionen DM“, sagt Bletschacher. Auch die vielen Reisen nach Südtirol – rund 40 pro Jahr – hat Bletschacher stets aus eigener Tasche bezahlt.

      Als die Firma Eduard Müller selbst in finanzielle Schwierigkeiten kam (höchstwahrscheinlich auch aufgrund der Finanzierung der Stillen Hilfe, so Insider), genehmigte Gerhard Bletschacher ihr ein Darlehen von 4,7 Millionen DM aus dem Vereinsvermögen, in der Hoffnung, dieses nach dem Verkauf zurückzuzahlen. „Die Beträge wurden offen in den Büchern aufgeführt und nicht vertuscht. Leider ist es zur Rückzahlung nicht mehr gekommen. Es wäre besser gewesen ich hätte für die Firma rechtzeitig Konkurs angemeldet. Im Gerichtsurteil steht, dass ich ein bescheidenes Leben geführt habe und nicht eine DM für mich verwandt habe“, rechtfertigt sich Bletschacher.

      Der Strafbestand der Untreue blieb, 1998 wurde Bletschacher zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Einen Großteil davon saß er im Gefängnis Landsberg am Lech ab. In der Folge versuchte Bletschacher die veruntreuten Gelder zurückzuzahlen. Seit dieser Zeit bestreitet er seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer. Und warum lässt er es mit seinen bald 88 Jahren nicht gut sein und kassiert Hartz IV wie Millionen andere in Deutschland? „Solange ich gesund bin und arbeiten kann, will ich keine Hilfe“, sagt Bletschacher.

      Hochrangige Auszeichnungen

      Der Verein „Stille Hilfe für Südtirol“ wurde schließlich Anfang 2000 aufgelöst. Der Südtiroler Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder dankte damals Gerhard Bletschacher mit herzlichen Worten für seinen unermüdlichen humanitären Einsatz für die bedürftigen Südtiroler Landsleute. Zudem wurden Bletschacher mit zahlreichen hochrangigen Ehrungen (Bayerischer Verdienstorden, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, Großer Tiroler-Adler-Orden, Konrad-Adenauer-Preis in Gold, Ehrenzeichen der Österreichischen Alber-Schweitzer-Gesellschaft, Silbernes Ehrenzeichen des Südtiroler Schützenbundes, Goldenes Ehrenzeichen des Südtiroler Bauernbundes usw.…) ausgezeichnet. „Die bedeutungsvollsten Auszeichnungen sind für mich der Große Tiroler Adlerorden und das Silberne Ehrenzeichen des Schützenbundes“, freut sich der ehemalige Vorsitzende.

        Kurz nach der Ernennung von Gerhard Bletschacher zum Ehrenleutnant der Michelsburger Schützenkompanie am 1. Oktober 1975 auf der Sonnenburg in St. Lorenzen. v.l.: Landesrat Dr. Anton Zelger mit Frau, Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago mit Frau sowie Ministerpräsidenten Dr. Alfons Goppel freuten sich mit Gerhard Bletschacher (rechts in Tracht).

        Wunsch an Südtiroler

        Gerhard Bletschacher gilt als äußert politisch denkender Mensch und war 27 Jahre lang als Kommunalpolitiker in München tätig. Er hat nach wie vor vollstes Verständnis für die Zielsetzungen des Südtiroler Schützenbundes und der vielen Menschen im Land, die sich vom italienischen Staat loslösen wollen. „Ein Grundrecht ist die Selbstbestimmung ohne Wenn und Aber, ob für die Südtiroler oder die Katalanen“, stellt Bletschacher klar. Für Südtirol und seinen Menschen wünscht er sich deshalb: „dass sich das Heimatbewusstsein wieder mehr stärkt, die Tradition erhalten bleibt und in Europa die Selbstbestimmung eine unabdingbare Voraussetzung ist“.

          Gerhard Bletschacher ist und bleibt eine hochverdiente Persönlichkeit, der Südtirol sehr viel zu verdanken hat.

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