Zahlreiche Delikte in Wiener Stricher-Szene geklärt
Der Fall war im Februar schon einmal präsentiert worden, damals mit Fokus auf die aus hauptsächlich jungen bis sehr jungen Männern bestehende 16-köpfige Tätergruppe aus einer kleinen Ortschaft in der Slowakei, die im Schweizergarten im Bezirk Landstraße sexuelle Dienste anbot und Eigentumsdelikte beging. Auch etliche ihrer Kunden, die sich teilweise ihrerseits der sexuellen Ausbeutung oder gar des Missbrauchs Jugendlicher schuldig gemacht haben dürften, wurden überfallen, beraubt und bestohlen.
Den Anstoß zu den Ermittlungen der EB2/Raub 1 – Gruppe Götzmann im Landeskriminalamt gab eine sogenannte Home Invasion im Mai 2017. Ein 78-Jähriger wurde in seiner Wohnung von drei Männern überfallen, ein 22-jähriger Slowake rund einen Monat später in seiner Heimat festgenommen. Bereits im Jänner war ein 66-Jähriger bei einem Ãœberfall in ein sechs Wochen dauerndes Koma geprügelt worden. Zwei mutmaßliche Täter sitzen in Wien in U-Haft, sie müssen, je nach dem Ausmaß der Folgeschäden für das Oper bei Verurteilung mit mindestens fünf bis 15 Jahren Haft rechnen.
Überfälle häufen sich
Die Ermittler stellten dann den Konnex zum Schweizergarten her, einem Homosexuellen-Treffpunkt in Gürtel-Nähe, in dessen Umfeld es zu einer Häufung von Überfällen, Einbrüchen und Diebstählen gekommen war. Dort stießen sie zunächst auf eine Mauer des Schweigens, gerade auch bei den Opfern der Eigentumsdelikte, berichtete Gruppenleiter Richard Götzmann am Mittwoch.
Etliche der beraubten oder bestohlenen Kunden dieser Szene – Männer Mitte 40 bis fast 80, vom einfachen Arbeiter bis zum Akademiker und teils verheiratet, so die Kriminalisten – machten falsche Angaben bzw. zeigten Straftaten gar nicht erst an. Schließlich waren sie vielfach auch Täter: Zwölf Einheimische werden mittlerweile als Beschuldigte geführt. Die Ermittler sprechen von zumindest 39 geklärten Fällen von sexuellem Missbrauch Jugendlicher. Andere schwiegen, weil sie Erpressung wegen ihrer sexuellen Orientierung fürchteten. Teilweise wurde die Ãœberfälle auch begangen, um den ausständigen Schandlohn, so die Polizisten, einzutreiben.
Auf der Seite der Slowaken gelten nunmehr 19 Straftaten inklusive der Bildung einer kriminellen Vereinigung als geklärt. Die Stricher im Alter von 15 bis 30 Jahren stammen nämlich alle aus einen kleinen Ortschaft im Bezirk Lucenec in der Mittelslowakei. Ein 55-jähriger elffacher Familienvater, der im Rollstuhl sitzt, organisierte mit einem Helfer den Transport nach Wien. Im Schweizergarten wurden die Männer den Kunden wie bei einer Parade vorgeführt, schilderte der Ermittler Helmut Fröschl.
Teilweise 15-jährige Sex-Arbeiter mitgenommen
Der 55-Jährige – in Wien in U-Haft – soll sogar einen seiner Söhne im Alter von maximal 15 Jahren als Sexarbeiter in den Schweizergarten mitgenommen haben. Ihm und seinem Komplizen werden Menschenhandel, grenzüberschreitender Prostitutionshandel und Zuhälterei in zumindest 19 Fällen angelastet. Einen Teil ihrer Einnahmen mussten die Sexarbeiter abliefern, für Transport und Schutz.
Alle dieser jungen Männer, die einer ungarischen Minderheit in der Slowakei angehören und laut den Ermittlern praktisch über keinerlei Ausbildung und null Perspektiven verfügen, waren während des Aufenthalts in Wien unterstandslos und teils regelrecht verwahrlost. Sie schliefen im Freien und in Stiegenhäusern oder kamen immer wieder eine Zeit lang bei Freiern unter. Teilweise seien sie von der eigenen Familie unter Druck gesetzt worden, so ihr Geld zu verdienen. Drogenmissbrauch, vor allem Cannabis und Kokain, seien verbreitet gewesen.
Von den Kunden habe bisher nur einer den ihm angelasteten Missbrauch zugegeben. Die weiteren Beschuldigten verantworten sich damit, die jungen Menschen nur eingeladen zu haben, um ihnen Unterstand und eine Möglichkeit zum Duschen zu bieten. Die zwölf Verdächtigen wurden auf freiem Fuß angezeigt.
Im Schweizergarten herrscht momentan Ruhe, berichteten die Ermittler. Das Vakuum nach den Festnahmen beginnt sich aber langsam mit anderen Ethnien wieder zu füllen. Aktuelle Sammelpunkte seien die größeren Bahnhöfe, das Einkaufszentrum The Mall in Landstraße sowie die Venediger Au in der Leopoldstadt. Die Polizei setze aber alles daran, solche Szene-Bildungen zu vermeiden.
APA