Gehirn steuert Computer: Steirer tritt bei “Cybathlon” an
Alleine mit der Kraft der Gedanken einen Computer, Maschinen oder Körperprothesen steuern: das ist Ziel von Brain-Computer-Interfaces (BCI), sogenannten Gehirn- Computer-Schnittstellen. Die Vision begeistert Wissenschafter seit den 1970er-Jahren und weckt große Hoffnungen in der Spieleindustrie wie auch in der Rehabilitation von körperlich schwer behinderten Menschen. “Das beginnt bei der Fähigkeit zu kommunizieren, geht über Muskel- und Nervenstimulation bis hin zur gesteigerten Aufmerksamkeitskapazität”, fasste Gernot Müller-Putz, Leiter des Institut für Neurotechnologie an der Technischen Universität Graz, zusammen. Am Grazer Institut beschäftigen sich Forscher seit 25 Jahren mit der Thematik.
Menschen mit gravierenden körperlichen Handicaps werden am 8. Oktober in der Swiss Arena Kloten mit Prothesen, die sie über ihre eigenen Gehirnsignale steuern, zu Wettkämpfen in sechs unterschiedlichen Disziplinen antreten. Organisiert wird der “Cybathlon” von der ETH Zürich. Rund 80 Teams weltweit haben sich angemeldet. Unter ihnen auch ein von Müller-Putz ins Leben gerufenes Studierendenteam – und der Steirer Gerhard Kleinhofer aus Gußwerk nahe Mariazell (Bezirk Bruck-Mürzzuschlag).
“Unter anderem werden Träger von Beinprothesen miteinander auf einem Hindernisparcours um die Wette laufen, Teilnehmer mit Armprothesen messen sich in einem Geschicklichkeitstest und Piloten mit einer Querschnittlähmung absolvieren einen Hindernisparcours mittels eines motorisierten Exoskeletts”, schilderte der Grazer Teamleader David Steyrl vom Grazer Laboratory of Brain-Computer Interfaces gegenüber der APA. In der Disziplin “BCI Race” kontrollieren und steuern jeweils vier schwer gelähmte “Runner” durch gewisse Gehirnsignale eine Figur (Avatar) in einem Wettrennen am PC.
“Unser Pilot muss die richtigen Signale zum richtigen Zeitpunkt aussenden, damit der Avatar die Einzelstrecken des Parcours beschleunigt bewältigt. Falsche Signale führen zu einer Verlangsamung”, erläuterte Teammitglied Bernhard Frohner. Das Grazer BCI Racing Team “Mirage 91” besteht aus rund 15 Studierenden und ist das einzige hochschulgebundene österreichische Team. Vier weitere Teams mit Österreichbezug hat der Technologieentwickler Otto Bock angemeldet, wie auf der “Cybatholon”-Hompage ersichtlich ist.
Der Steirer Gerhard Kleinhofer ist seit seinem Schlaganfall motorisch schwer eingeschränkt. Am “Cybathlon” tritt er mithilfe von Grazer Forschern zu einem Rennen mit Gedankensteuerung an. In seinem ersten Leben war Gerhard Kleinhofer Sportdirektor des österreichischen Rodelteams im Naturbahn-Rodeln. Im Jänner 2014 hatte der damals 34-Jährige einen Schlaganfall im Hirnstamm erlitten und wurde erst nach mehreren Stunden gefunden. Seitdem ist die Beweglichkeit seiner Arme, Beine und selbst der Finger extrem reduziert. Doch der Vater eines vierjährigen Sohnes kämpfte sich mit Hochdruck wieder ins Leben zurück: unter anderem mit einem speziellen Rollstuhl mit Joystick. Diesen kann er steuern, weil er seine Finger etwas bewegen kann, ebenso gelingt es ihm, kurze SMS zu schreiben.
Somit ist er eigentlich nicht auf ein Brain-Computer-Interface (BCI) angewiesen, um mit seiner Umwelt zu kommunizieren, wie David Steyrl vom Grazer BCI Racing Team gegenüber der APA schilderte. Das Team der TU Graz vereint Studierende der Richtungen Biomedical Engineering, Computer Science und Information and Computer Engineering, die gemeinsam mit Kleinhofer beim “Cybothlon” einen Sieg im “BCI Race” davontragen wollen.
BCI nutzen Hirnsignale, die mittels einer Kappe mit Elektroden gemessen werden. Sie können die elektrische Hirnaktivität von Patienten erfassen und übersetzen sie in technische Steuersignale: zur Manipulation eines Cursors am Computer, zum Tippen von Buchstaben, zur Steuerung von Maschinen oder Hilfsmitteln wie beispielsweise eine Prothese. Um mit Hirnströmen, die den Gedanken entspringen, eine Maschine steuern zu können, muss mehr getan werden als eine EEG-Kappe aufzusetzen: Gehirnströme lokalisieren, Signalverarbeitung, Software programmieren, mit dem BCI-User trainieren.
Er muss sich konzentriert bestimmte Aufgaben vorstellen, die relativ gut erkennbare Hirnsignale erzeugen, die dann zur Steuerung herangezogen werden können. Dazu gehören zum Beispiel spezifische Signale, die entstehen, wenn man an die Bewegung der eigenen Hand, eines Fußes, ans Singen oder an Kopfrechnen denkt, erläuterte Steyrl. Im November 2015 hat das Training für Kleinhofer begonnen. Das Grazer Team fährt zweimal wöchentlich ins Mariazellerland: “Eine bis maximal zwei Stunden Messzeit und Training sind möglich”, schilderte Maria Höller aus dem Studententeam. Woher die jungen Leute die Motivation für den neben dem Studium doch enormen zeitlichen Einsatz nehmen: “Von Herrn Kleinhofer. Er ist extrem motiviert. Er treibt uns an. Doch wir werden auch von der Universität und unseren Sponsoren gut unterstützt”, so die Studentin.
“Ich bin ein Visionär und blicke in die Zukunft. Es besteht vielleicht die Möglichkeit für ein extrem modernes Forschungs- und Therapiezentrum gemeinsam mit der TU Graz. Ich glaube, im neurologischen Bereich ist noch viel möglich”, hielt Kleinhofer gegenüber der APA fest. Bevor er im Oktober antritt, will er mit dem Grazer Team – auf eigenen Vorschlag – noch ein einwöchiges Trainingslager absolvieren. “Wir verfolgen ein Ziel, das ist der Sieg”, betonte Kleinhofer. Wichtig am “Cybathlon” sei ihm aber auch das Kennenlernen verschiedener aktueller BCI-Projekte. Soviel zur Motivation.