Thomas Sinha

24.02.2015

Wenn Politiker die Bodenhaftung verlieren

Oft genug wird Volksvertretern vorgeworfen, dass sie zu den Bedürfnissen des „einfachen Mannes“ keinen Bezug mehr haben, weil sie sich im Elfenbeinturm der casta, wie die überprivilegierte und –bezahlte „Politikerkaste“ in Italien verächtlich genannt wird, zurückgezogen haben.

Foto: UT24 / Screenshot/salto

Anders kann man den Aufsatz des Abgeordneten Florian Kronbichler auf dem Webportal Salto.bz  nicht interpretieren, lässt er doch erahnen, wie fremd ihm die Anliegen seiner Landsleute mittlerweile geworden zu sein scheinen.

Geringer Bezug zur Bevölkerung

Eventuell kann es auch damit zusammenhängen, dass Herr Kronbichler aufgrund des kranken italienischen Wahlsystems ins Parlament ziehen konnte, obwohl seine SEL-Liste lediglich 3,8% der Wahlstimmen in Süd- und Welschtirol erhielt. Somit war es um seinen Bezug zur Bevölkerung nie sonderlich gut gestellt.

Politik lässt sich treiben?

So beginnt sein Aufsatz gleich mit: „Südtirols Medien sind hysterisch und rufen den Sicherheitsnotstand aus. Die Politik lässt sich davon treiben.“

Laut Kronbichler sind also die Medien hysterisch (natürlich wohl erst nachdem er den Journalistenberuf an den Nagel gehängt hat, um onorevole zu werden). Die Einbrüche und Gewaltstraftaten haben in Südtirol wohl nicht zugenommen?

Recht sonderbar mutet seine Analyse an, die Politik ließe sich davon treiben. Hat der Kammerabgeordnete im fernen Rom etwa nicht mitbekommen, wie im letzten Jahr die verschlechterte Sicherheitslage stets zuerst geleugnet, dann kleingeredet wurde? Beim ersten Sicherheitsgipfel im Januar 2014 beschwichtigten Quästor Carluccio und Landeshauptmann Kompatscher – der eine staatsmännisch, der andere grinsend – mit den Worten, dass die Situation nicht besorgniserregend sei. Gerade letzte Woche erklärte ein höherer Polizeibeamter den Boznern, dass die Lage in Südtirol nicht so schlimm sei „wie anderswo in Italien“.

Falsche Einbruchszahlen

Inzwischen hat eine Landtagsanfrage der Süd-Tiroler Freiheit gezeigt, dass Arno Kompatscher – bewusst oder unbewusst – wohl mit falschen Zahlen arbeitet. Laut Landeshauptmann gab es 2012 in Südtirol 1.857 Wohnungs- und Autoeinbrüche. Der Trientner Generalstaatsanwalt Pescarzoli gibt aber für den Zeitraum Juli 2012 bis Juni 2013 8.623 Wohnungs- und Autoeinbrüche an. Eklatante und alarmierende Unterschiede, zumal die Tendenz seither steigend ist.

Daheim ist es schön

Der Herr Abgeordnete philosophiert weiter: „Genau genommen ist immer alles gleich, alles ruhig, jedes Wochenende die gemütlichste Wirklichkeit. Nur die veröffentliche Wirklichkeit ist wie übergeschnappt. In den Lokalzeitungen, den beiden beherrschenden zumal, lese ich nur noch von Einbrüchen, schlägernden Disco-Besuchern…

Da also Herr Kronbichler in seinen gemütlichen vier Wänden so wie eh und je Ruhe und Geborgenheit erfährt, muss es also wohl auch im ganzen Lande sein. Da mögen ihm die Verbrechensstatistiken noch so widersprechen – der gute „Flor“ fühlt sich daheim wohl, ergo wird es schon überall so sein.

Der SEL-Abgeordnete hakt nach: „Kurz, wenn stimmt, was in Dolomiten und Alto Adige steht, befindet sich Südtirol in einem Sicherheitsnotstand. Am besten bliebe ich in Rom, denn dort lese ich solches nicht. Jedenfalls nicht in solch geballter Menge.“

Am besten gar nichts darüber lesen, so lassen sich die Probleme am Einfachsten ignorieren. Vogel-Strauß- Politik für Fortgeschrittene.

Alles nur Einbildung?

Kulturlandesrat und Parteiobmann Achammer beteuert, alles zu tun, „damit das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung wieder gestärkt wird“. Immerhin spricht er nicht von Sicherheit, sondern von Sicherheitsgefühl. Tatsächlich, es geht eher um gefühlte Gewalt, also weitgehend auch eingebildete.“

Also sind Sorgen und Ängste der Bevölkerung „weitgehend eingebildet“? Volksnähe sieht anders aus.

„Er stehe „mit den Polizeikräften in ständigem Kontakt“, versichert der junge Achammer. Klingt, als stünden wir knapp vor der Verhängung des Ausnahmezustandes.“

Nein, klingt eher so, als würde die Regierungspartei endlich langsam anfangen, Druck auf die Sicherheitsbehörden auszuüben. Hoffentlich bleibt es nicht nur bei Lippenbekenntnissen.

Sicherheitsgipfel

„Übermorgen, Mittwoch, gibt es den nächsten „Sicherheitsgipfel“. Jawohl, Sicherheitsgipfel, schreibt die Partei.
Als wären wir schon in der Ukraine? Der Wortwahl nach sind wir es.“

Na ja, wenn einem die Argumente ausgehen und man schon den Begriff „Ausnahmezustand“ benutzt hat, lässt „Ukraine“ nicht lange auf sich warten. Im Übrigen hat Herr Kronbichler wohl übersehen, dass schon vor einem Jahr ein Sicherheitsgipfel stattfand. Damals wurde brav relativiert, diesmal erwarten die Bürger wohl mehr.

Belagerungszustand? (Oha!)

„Das Land, das sich jährlich gesamtstaatlicher Lebensqualität-Rekorde brüstet, das erst kürzlich als die Provinz mit dem höchsten Prokopf-Einkommen nach Mailand ausgewiesen wurde, dieses Land benimmt sich, als sei es plötzlich im Belagerungszustand.“

Die Lebensqualität in Südtirol ist im Vergleich mit Italien noch recht gut, sinkt aber zur Zeit – unter anderem auch, (welch Überraschung!) aufgrund der steigenden Verbrechensrate.
Zuerst „Ausnahmezustand“, dann „Ukraine“, nun „Belagerungszustand“? Jetzt fehlen nur noch die Worte „Kriegserklärung“, „Flächenbombardierung“ und „Vernichtungswille“.

Straftaten und Intensivtäter

„Schon gut, dass die Diebe dorthin gehen, wo etwas zu holen ist, und schon gut, dass Raufereien noch bis vor gar nicht langer Zeit unverzichtbarer Bestandteil, wenn nicht Krönung Tiroler Festkultur waren.
Wir werden hysterisch.“

Statistisch wird in Italien alle 2 Minuten (!) ein Einbruch verübt. Da wird schon auch mal bei einem einfachen Arbeiter eingebrochen, der nicht viel Wertvolles daheim hat. Trotzdem ist der Schaden – nicht nur der materielle – enorm.

Die „Raufereien“ von denen Herr Kronbichler so verniedlichend schreibt, sind zunehmend Messerattacken, Schläge mit Aschenbechern oder abgebrochenen Flaschenhälsen, zwei/drei/vier/fünf gegen ein Opfer, das schon längst wehrlos auf dem Boden liegt.

Alarmierend ist auch, dass viele Gewaltstraftaten immer wieder von denselben Männergruppen ausgeübt werden, die sich gezielt ein Prügelopfer aussuchen.

Der Intensivtäter Vilson Vata konnte mehreren Menschen bleibende Schäden zufügen, ehe er in seine albanische Heimat abgeschoben wurde.
All dies scheint am Kammerabgeordneten Kronbichler spurlos vorbeizugehen.

Kronbichlers Tipps und Verordnungen

„Der Kulturlandesrat soll sich um Kultur kümmern und nicht „Sicherheitsgipfel“ veranstalten.“ Na gut, da hat unser „Flor“ irgendwo recht. Im Kulturbereich gibt es genug zu tun – zum Beispiel sollte dem Ehrenamt mehr Anerkennung zuteilwerden.

„Und so wie unseren Italienern immer ihr Recht auf einen „disagio“ abgesprochen wird, so verordne ich jetzt einmal uns allen: Übertreiben wir nicht mit unserem „Sicherheitsgefühl“!“

Was für Achammer gilt, gilt auch für Kronbichler: Ein Kammerabgeordneter soll sich darum kümmern, dass im Parlament vernünftige Gesetze verabschiedet werden und nicht auf eigene Faust der Bevölkerung irgendetwas verordnen.

Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt…

„Südtirols reale Sicherheit ist besser als die gefühlte. Und die öffentliche besser als die veröffentlichte.“
Und diese Behauptung Kronbichlers basiert auf…
– seinen ruhigen Wochenenden daheim?
– den Zeitungsartikeln die er nicht liest?
– der Tatsache, dass Südtirol nicht Ukraine ist (ein Schelm, wer jetzt „Italien“ statt „Ukraine“ gelesen hat!)

Schlussplädoyer

„Stopp der Panikmacherei!“ lautet Kronbichlers Schlussplädoyer.
„Wünsche und Sorgen der Bevölkerung ernstnehmen“ das unsere.

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